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Thema: Makelloses Aussehen ist kein Garant für Qualität

Die ersten Erdbeeren aus Spanien kommen in diesen Tagen in den Lebensmittelhandel - moderne Anbautechnik und Transportlogistik machen es möglich. Die Frage aber, wie diese Erdbeeren schmecken oder ob sie überhaupt schmecken, steht - neben der Verfügbarkeit - auf einem anderen Blatt. Denn gezüchtet werden diese Früchte vor allem nach technischen Gesichtspunkten: sie sollen schon im Winter wachsen und nach der Ernte den Transport nach Deutschland heil überstehen. Wo bleibt bei dieser Pflanzenzucht die Ernährungsqualität, zu der ja auch der Geschmack gehört? Mit diesem Thema befasste sich am Wochenende eine Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft im anthroposophischen Zentrum in Kassel.

von: : Michael Schlag |
    Die ersten Erdbeeren aus Spanien kommen in diesen Tagen in den Lebensmittelhandel - moderne Anbautechnik und Transportlogistik machen es möglich. Die Frage aber, wie diese Erdbeeren schmecken oder ob sie überhaupt schmecken, steht - neben der Verfügbarkeit - auf einem anderen Blatt. Denn gezüchtet werden diese Früchte vor allem nach technischen Gesichtspunkten: sie sollen schon im Winter wachsen und nach der Ernte den Transport nach Deutschland heil überstehen. Wo bleibt bei dieser Pflanzenzucht die Ernährungsqualität, zu der ja auch der Geschmack gehört? Mit diesem Thema befasste sich am Wochenende eine Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft im anthroposophischen Zentrum in Kassel.

    Vollständige Nahrung ist mehr als nur die Summe aller Nährstoffe. Warum sonst freuen sich Astronauten nach der Rückkehr auf die Erde so sehr auf richtiges Essen – obwohl sie doch wochenlang perfekt mit allen Nahrungsbestandteilen aus Pillen und Pasten versorgt waren? Das ist einfach zu erklären, findet Petra Kühne vom Arbeitskreis Ernährungsforschung in Bad Vilbel: der bloßen Summe der Nährstoffe fehle eben die biologische Organisation der höheren Pflanzen. Oder anders gesagt: es fehle die Lebenskraft, die aber nicht erst in der Weltraumnahrung verloren gehe, sondern schon im alltäglichen Essen. Petra Kühne:

    Also, wir erleben ja heute deutlich, dass damit, was bisher schon in der Züchtung veranlagt worden ist, eine Veränderung der Qualität der Produkte einher gegangen ist, so dass man sich darum kümmern muss, was will man eigentlich gezielt mit einer Züchtung im Hinblick auf Nahrungsqualität erreichen? – Dass in erster Linie doch der Mensch und seine Gesundheit da stehen sollte und weniger Transportprobleme oder Ähnliches, die eben zum Beispiel Sorten sehr fest machen, aber dafür nicht gut schmecken lassen.

    Jahrelang habe die Pflanzen-Zucht einseitig technische Kriterien erfüllt – zum Beispiel die Eignung der Pflanze für mechanische Erntegeräte oder ihre Haltbarkeit im Lebensmittelhandel. Diese Ziele laufen der Geschmackszüchtung aber oftmals zuwider. Die Frage ist nur: welcher Geschmack soll es sein? So ergab ein Möhren-Test auf der Tagung in Kassel zu jeder Sorte unterschiedliche Meinungen: der eine fand die Möhrensorte fade, der andere scharf, der eine sagt süß, der andere sagt erdig oder seifig, dem einen schmeckt sie, dem anderen nicht. Pflanzenzüchterin Ute Kirchgaesser vom Verein Kultursaat:

    Das ist - wenn man mit so einem Laienpublikum anfängt mit Geschmack zu üben – ganz normal und häufig so, weil man sich auch klar sein muss, wie stark Geschmacksbewertung mit Gewohnheitsbewertung zusammenhängt. Und wenn ich sozusagen nur – ich sag’s jetzt platt und übertrieben – aus dem Supermarkt schlecht schmeckende Möhren esse, dann gewöhne ich mich irgendwann an diesen Geschmack. Und wenn man dann nachfragt: ‚ist das die Gewohnheit, die Sie dazu führt, zu sagen: das ist Möhren-typisch, oder wissen Sie eigentlich’ … dann differenziert sich das sehr stark aus und die Meinungen werden auch einheitlicher dann.

    In der ökologischen Saatzucht wird solange geschmeckt und diskutiert, bis eine gemeinsame Auffassung besteht, welche Sorten man weiterzüchten soll. Anders bei der Bundesanstalt für Züchtungsforschung in Quedlinburg: hier arbeiten die Test-Schmecker einzeln im Labor, ergänzt durch die technische Analyse der Gas-Chromatografie. Sie zerlegt den Erdbeergeschmack in über 300 chemische Komponenten. Säulen-Diagramme zeigen dann, welche Geschmacks- und Aromastoffe eine Sorte enthält. Bei der modernen Handelsware zeigen sich auffällige Lücken. Detlef Ulrich von der Bundesanstalt für Züchtungsforschung:

    Also in unserer Arbeit, die eine langjährige Arbeit darstellt, haben wir festgestellt, dass natürlich die Wildsorten zum großen Teil die aromatischsten Erdbeeren darstellen. Dann gibt es einige alte Kultur-Erdbeersorten, die ein so intensives Aroma aufweisen, wie es von den neueren Kultur-Erdbeersorten nicht mehr erreicht wird. Ziel unserer Züchter ist es deshalb, gesunde Erdbeerpflanzen herzustellen, und gleichzeitig in der geschmacklichen Qualität den alten Sorten nahe kommen. Diese Sorten müssen so beschaffen sein, dass sie beispielsweise Transport und Lagerung gut überstehen und beim Verbraucher in einer annehmbaren Form ankommen.

    So erreicht zum Beispiel die alte Erdbeersorte "Mieze Schindler" regelmäßig den ersten Platz beim Geschmackstest, gilt aber als nicht vermarktungsfähig, weil ihre Frucht zu weich ist. Früchte, die einen Transport um die halbe Welt überstehen, müssten schon hart sein wie Fußbälle. Die aktuelle Aufgabe der Pflanzenzucht sei es, diese Kluft zwischen technischen Eigenschaften und Ernährungsqualität wieder zu schließen.