Archiv


These mit überwältigendem Echo

Das Jahrhundert der Weltkriege ging zu Ende, und während der Ostblock zusammenbrach und die Vereinigten Staaten zur einzig verbliebenen Weltmacht avancierten, suchte die irritierte Öffentlichkeit nach griffigen Formeln zur Erklärung einer Welt im Umbruch. Der amerikanische Historiker Francis Fukuyama verkündete 1989 frohgemut das "Ende der Geschichte". Wenige Jahre später wandte sich sein Kollege Samuel Huntington an die Öffentlichkeit mit seiner donnernden These vom "Clash of Civilisations", im Deutschen übersetzt als: "Kampf der Kulturen". Ein Schlagwort, das die Debatte über Islam, Terror und Integration bis heute mitbestimmt. Thilo Kößler über das Buch und seine Wirkungsgeschichte:

    Es war, als sei seine Prophezeiung in Erfüllung gegangen - die Anschläge vom 11. September 2001 wirkten wie eine Bestätigung für die These Samuel Huntingtons vom "Clash of Civilisations". Seither wird der angebliche Kampf der Kulturen immer wieder in die öffentliche Debatte eingebracht, wenn der islamistische Terror seine Fratze zeigt oder wenn es gilt, einen griffigen Kurzkommentar zum Streit um die Mohammed-Karikaturen abzugeben. Selten hat eine These ein so überwältigendes Echo gefunden - selten eine so lange Haltbarkeit gezeigt. Doch so sehr Huntington schon kurz nach der Veröffentlichung seines Buches auf öffentlichen Zuspruch stieß - in Fachkreisen regte sich schnell und vernehmlich Widerspruch, und zwar aus allen Disziplinen. Allzu holzschnittartig sei der Professor aus Harvard da vorgegangen - seine These halte keiner systematischen Prüfung stand, hieß es.

    Im Kern geht es um Huntingtons Behauptung, dass nach dem Konflikt der Nationalstaaten und der Ideologien im vergangenen Jahrhundert nun der Kampf der Zivilisationen drohe. Im Zeitalter der Globalisierung nehme der Wunsch nach Identität zu und damit auch die Bindungskraft der Religionen. Huntington machte in den Bruchlinien zwischen den Kulturen die Schlachtlinien der Zukunft aus und nahm damit nicht nur die Weltmacht China ins Visier, sondern auch und vor allem den Islam. Das rief zunächst die Islamwissenschaftler auf den Plan, die Huntington eine unzulässige Generalisierung vorwarfen - viele islamische Nationen ergäben noch keinen monolithischen islamischen Block. Er schnitze an einem kollektiven Feindbild und schere alle Muslime über den islamistischen Kamm. Für zu schwammig und undifferenziert befanden auch die Historiker den Zivilisationsbegriff Huntingtons: Er überschätze das Zusammengehörigkeitsgefühl der unterschiedlichen Kulturgemeinschaften - gemeinsame Identität definiere sich in einem viel kleineren Bezugsrahmen als von ihm unterstellt: Nicht nur der Islam, sondern auch der angeblich so homogene Westen zerfalle bei näherer Betrachtung in ein höchst widersprüchliches Muster unterschiedlicher Gegen-, Neben- und Subkulturen. Ins selbe Horn stießen die Konfliktforscher, die nachwiesen, dass die meisten Kriege eben nicht zwischen den Kulturen ausgetragen werden, sondern innerhalb der Kulturen. Bissig wies Huntingtons britischer Kollege Niall Ferguson darauf hin, dass die meisten Muslime von Glaubensbrüdern umgebracht werden.

    Und doch hat die These Huntingtons eine unglaubliche Wirkungsmacht entfaltet - trotz oder gerade wegen ihrer polarisierenden Vereinfachung. In George Bushs Krieg gegen den Terror und in all seinen anderen Kriegen schwingt immer auch ein Stück Kampf der Kulturen mit. Und auch Al Kaida hat die These Huntingtons begierig aufgegriffen - das islamistische Konzept vom Kampf zwischen Dar es Salam, dem Haus des Friedens, und Dar el Harb, dem Haus des Krieges, offenbart bemerkenswerte Parallelen: Hier wie dort sind die Vordenker auf der Suche nach simplen Gewissheiten, die so einfach eben nicht zu haben sind.

    Heute wird die These vom Kampf der Kulturen als gefährliche Falle interpretiert: Wer immer sich ihrer bedient, läuft Gefahr, genau das heraufzubeschwören, was es eigentlich zu verhindern gilt. "Die falsche These produziert die falsche Politik", analysierte der amerikanische Historiker Jonathan Fox. Samuel Huntington hat das längst erkannt. Er ist von seiner eigenen Formel abgerückt und warnt seither davor, den Kampf gegen den Terror auf dem verminten Gelände der Kultur auszutragen. Doch der Geist ist aus der Flasche. Und er hat das versöhnliche Fazit Huntingtons in der anhaltenden kontroversen Debatte untergehen lassen. Es lautet: Alle Zivilisationen müssen lernen, miteinander zu leben.

    Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" - wieder gelesen von Thilo Kößler.