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Thomas Schroedter: Globalisierung

Die Globalisierung geht weiter. Seattle und Genua waren Höhepunkte der Protestbewegung, doch Globalisierung ist ein permanenter Prozess, der schon vor Jahrhunderten begonnen hat und so schnell keine Pause einlegen wird. Die Zuwanderungsdebatte, der Welternährungsgipfel in Rom, der bevorstehende Umweltgipfel in Johannesburg - kaum ein Problem lässt sich heute noch wirklich lokal begrenzen. "Globalisierung" heißt das neue Buch von Thomas Schroedter. Auf 96 Seiten führt Schroedter durch die Geschichte und bringt den Leser auf den Stand der aktuellen Debatte - ein Crashkurs!

Jesko Hirschfeld |
    Rot und gelb ist das Umschlagbild - in den Farben eines Mineralölmultis. Und die Banane über dem Titel, zu der darf man endlich wieder "einfach nur Banane" sagen. Zwei kleine grafische Anspielungen und schon ist klar: In Thomas Schroedters Buch "Globalisierung" geht es um multinationale Konzerne, um Geld, Macht und Ausbeutung. Auch ein Blick in die Literaturliste zeigt: Hier ist ein Kritiker am Werk. Schroedter hat seine Naomi Klein, seinen Elmar Altvater und Noam Chomsky gelesen. Die Adressensammlung am Ende des Buches zielt mitten ins Netzwerk der Globalisierungskritiker - nur die Homepage der Welthandelsorganisation weist einsam in ein anderes Lager. Der Neoliberalismus wird es hier also sicher schwer haben.

    Braucht die Welt noch ein kritisches Buch zur "Globalisierung"? Ist zu diesem Thema noch irgendeine Geschichte zu erzählen, sind noch irgendwelche Aspekte zu entdecken, die noch nicht in jeder Zeitung zu lesen waren? Nach 96 kurzweiligen Seiten sind diese Fragen mit einem klaren "Ja" zu beantworten. Doch erst einmal von vorn: Thomas Schroedter, Dozent an der Fachhochschule Darmstadt, eröffnet seinen Grundkurs "Globalisierung" mit einem Kapitel über die Anfänge der Weltwirtschaft - und die liegen in einer Zeit lange vor Chiquita, Shell und Coca Cola:

    Am 9. Januar 1443 schrieb der Kaufmann Linrun Hirsfogel aus Venedig seinem Schwager Michael Behaim nach Nürnberg einen Brief: Die Pfeffergaleeren aus Beirut und Alexandria seien ausgelaufen, Behaim solle seinen Vorrat abstoßen. Der Brief wurde durch einen Eilboten überbracht, ein riskantes Unterfangen angesichts von Überfällen durch bewaffnete Straßenräuber. Doch als die mit Gewürzen beladenen Schiffe 18 Tage später Venedig erreicht hatten, war Behaim in Nürnberg nicht nur informiert, sondern hatte sein Lager bereits geleert. Kurz darauf informierte ihn sein Schwager erneut: diesmal über den aktuellen Pfefferpreis und den in Venedig gültigen Wechselkurs.

    Schon ein halbes Jahrtausend vor unserem "Informationszeitalter" also konnte die Schnelligkeit einer Nachricht über Gewinn oder Verlust der Händler entscheiden. Thomas Schroedter erzählt viele solche kleinen und größeren Geschichten, er macht Globalisierung anschaulich als einen Prozess, der Menschen betrifft, der Lebenswelten verändert - und das nicht erst seit zehn Jahren. Das Buch erweitert den Horizont der aktuellen Globalisierungsdebatte, indem es sie in den geschichtlichen Kontext setzt. Da steht dann mit einem Mal das verrostete Flüchtlingsschiff vor der italienischen Küste vom März dieses Jahres in unmittelbarer Tradition der Migrantenschiffe des 19. Jahrhunderts. Die Sterblichkeit pro Reise lang damals übrigens bei bis zu 30 Prozent. Und wenige Jahre davor wiederum sind auf solchen Schiffen Sklaven transportiert worden, da zählte ein Leben noch weniger. Vom Kolonialismus über die Dampftechnik kommt Schroedter dann zügig auf den ersten Weltkrieg zu sprechen:

    Über zehn Millionen Tote und ein verwüstetes Europa waren das Ergebnis des ersten deutschen Versuchs, die Machtverhältnisse zwischen den 'Global Players' mit kriegerischen Mitteln zu verschieben. Die USA, die 1917 in den Krieg eingetreten waren, wurden durch den Krieg zur führenden Wirtschaftsnation, da die europäischen Staaten sich gegenseitig ihre Ökonomien zerstört hatten.

    500 Jahre auf den ersten 30 Seiten: Das ist ein Tempo, bei dem die Genauigkeit zwangsläufig leidet. Etwas mehr Zeit nimmt sich Schroedter für die Nachkriegsordnung der Weltwirtschaft - da geht es beispielsweise um die Rolle des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes bei der Gründung des Internationalen Währungsfonds oder um den Aufstieg des Chicagoer Professors Milton Friedman, der als Berater von General Pinochet in Chile das erste große neoliberale Wirtschaftsexperiment startete. Auch in diesen ausführlicheren Passagen wird jedoch deutlich, dass dem Buch ein strengeres Lektorat gut bekommen wäre. 96 Seiten sind ein enger Rahmen - da ist es dem Autor nicht vorzuwerfen, dass er nicht in die analytische Tiefe eines Joseph Stiglitz vordringt, der auf 300 Seiten und mit engerem zeitlichen Fokus die Schattenseiten der Globalisierung ausbreitet. Wenn der Platz knapp ist, muss jedes Wort stimmen, jede Grafik den Kern des Problems treffen. Leider wirkt das Buch in diesen Punkten etwas hastig produziert. Doch zurück zur Liberalisierungspolitik, mit der IWF und Weltbank in den 80er Jahren zahlreiche hoch verschuldete Entwicklungsländern zu schmerzhaften Reformen zwangen. "Der Markt ist ungerecht" konstatiert Schroedter und stellt sich auf die Seite der Verlierer:

    Globalisierungsbefürworter unterstellen eine Situation am Weltmarkt, bei der durch Wirtschaftswachstum und Angleichung von Produktions- und Investitionsbedingungen alle gewinnen. Doch was passiert, wenn wirtschaftliches Wachstum ausbleibt oder sehr ungleich verteilt ist? Die Armut von Menschen in den ärmsten Ländern der Erde soll durch einen optimierten Handel, durch Bildung und Haushaltsdisziplin abgebaut werden. Doch die Last der Schulden und die Notwendigkeit der Menschen, jeden Tag ums Überleben zu kämpfen, lassen diese Ratschläge zynisch wirken.

    Die Diskussion um eine menschliche Gestaltung der Globalisierung ist nicht neu - das stellt Thomas Schroedter mit seinem Buch klar. Natürlich wirft er am Ende trotzdem auch einen Blick auf den aktuellen Protest der Globalisierungskritiker von der europäischen Attac-Bewegung bis zu den mexikanischen Zapatisten. Da spart der Autor dann nicht mit Sympathie und Hoffnung:

    Die neoliberale Globalisierung scheint unabwendbar wie ein Naturgesetz. Doch signalisiert der weltweite Widerstand etwas anderes: Es gibt Alternativen zu einer Weltwirtschaft des gesteigerten Profits der Konzerne. Bestärkt von den ersten Erfolgen und dem wachsenden Interesse der Öffentlichkeit organisieren sich immer mehr Menschen in diesem Widerstand. Sein Erfolg wird nicht zuletzt aus der Anerkennung der Vielfalt erwachsen und der Fähigkeit, eine Vision zu entwickeln, die dieser Unterschiedlichkeit gerecht wird.

    Dieses Buch ist nützlich für alle, die sich schnell auf den Stand der Debatte bringen wollen oder die ihr verstreutes Wissen ohne viel Aufwand vervollständigen möchten. Wer es genauer wissen will, muss zu anderen Büchern greifen.

    "Globalisierung" von Thomas Schroedter ist erschienen in der Reihe "Wissen 3000" der Europäischen Verlagsanstalt, hat 96 Seiten und kostet 8 Euro und 60 Cent.