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Thüringen
Abgeordnete mit Baby aus Landtag geworfen

Der thüringische Landtagspräsident Christian Carius (CDU) gratulierte zum Start der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause drei jungen Müttern. Doch im Plenarsaal sind die Kinder offenbar unerwünscht: Der Rauswurf der Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling mit ihrem Baby sorgt nun für Diskussionen.

Von Henry Bernard | 30.08.2018
    Die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) in Thüringen mit ihrem Baby
    Die Grünen-Abgeordnete Henfling mit ihrem Sohn ( dpa | Jens Kalaene)
    Im Thüringer Landtag. Es ist die erste Sitzung nach der Sommerpause. Landtagspräsident Christian Carius, CDU, eröffnet wie immer jovial und freundlich: "Dann habe ich eine sehr glückliche und frohe Pflicht zu erfüllen: Zunächst noch einmal persönlich der Abgeordneten Floßmann zur Geburt ihres Kindes zu gratulieren sowie der Abgeordneten Henfling zur Geburt ihres Jungen und der Abgeordneten Muhsal ebenfalls zur Geburt ihres Jungen herzlich zu gratulieren."
    Die drei jungen Frauen hatten in der Sommerpause ihre Kinder bekommen. Aber nur eine von ihnen, die Grüne Madeleine Henfling, saß mit ihrem gerade sechs Wochen alten Sohn auf ihrem Platz im Plenarsaal. Der kleine schlief, gut verpackt in einem Tragetuch.
    Christian Carius: "Wir haben dann eine Prüfung veranlasst, ob sich Kinder im Plenarsaal aufhalten dürfen. Und diese Prüfung und ein Vorstandsbeschluss … auch des Kinderschutzes diese Regeln beachten."
    "Also ich finde es jetzt ziemlich albern"
    Das war der Rauswurf. Die Fraktionsvorsitzende der Linken protestierte, ebenso eine Abgeordnete der Grünen. Junge Mütter würden so zu Abgeordneten zweiter Klasse. Sie sollten doch wenigstens zu Abstimmungen den Plenarsaal mit Baby betreten dürfen. Vergebens. Carius verwies auf die Beschlüsse von Vorstand und Ältestenrat und blieb hart. Er lege hier die Geschäftsordnung aus; außerdem sei ein auch kurzer Aufenthalt im Saal dem Kindeswohl abträglich.
    Carius: "Also ich finde es jetzt ziemlich albern! Und ich möchte auf einen anderen Aspekt hinweisen! Wir haben auch einige ältere Kollegen, deren Anverwandte in einem nicht guten gesundheitlichen Zustand sind. Wenn die jetzt auch noch auf die Idee kämen, dass sie diese mit in den Landtag bringen müssten, müsste ich dem auch Rechnung tragen. Und deswegen möchte ich sie jetzt einfach bitten, Frau Abgeordnete Henfling, den Sitzungssaal jetzt zu verlassen. Und solange das nicht passiert, unterbreche ich die Sitzung."
    Die Sitzung wurde unterbrochen, der Vorstand tagte, der allerdings nur aus dem Präsidenten Carius und seiner Stellvertreterin bestand. Es blieb dabei: Madeleine Henfling musste raus.
    Madeleine Henfling: "Ich wollte eigentlich nichts provozieren, das war auch so groß gar nicht geplant, sondern mir ging es darum, dass wir zu Beginn des Plenums über die Tagesordnung abstimmen, und da gab es Kontroversen. Und ich wollte meiner Pflicht nachkommen, dort über die Tagesordnung abzustimmen. Ich wäre danach auch wieder rausgegangen."
    Knappe Mehrheit im Parlament
    Da die rot-rot-grüne Koalition nur über eine einzige Stimme Mehrheit verfügt, kommt es auf jede Frau und jeden Mann an. Nun argumentiert der Landtagspräsident, dass es ja parlamentsübliche Praxis sei, dass man sich mit der Opposition abstimme: Wenn jemand aus wichtigen Gründen - etwa im Krankheitsfall oder mit einem Baby - verhindert ist, verzichtet auch die Opposition auf eine Stimme. Pairing nennt sich dieses Verfahren.
    "Dann bin ich abhängig von einem einzelnen Abgeordneten! Das ist eine nette Regelung; ich finde die auch wichtig. Aber, wenn es hart auf hart kommt, dann ist das eben nicht das, wo ich sagen kann, ‚Ich bestehe aber darauf, dass du nicht abstimmst!‘, weil, dann würde ich ja das Mandat des anderen Abgeordneten einschränken", so Henfling.
    Das Mandat ist das Problem: Es ist nicht übertragbar, nicht verlängerbar etwa durch eine Elternzeit. Diesem Mandat fühlt sich Madeleine Henfling verpflichtet: "Weil wir nicht einfach fernbleiben können; wir sind verpflichtet, an unseren Sitzungen teilzunehmen. Und da ist halt auch die Geburt eines Kindes keine Entschuldigung."
    Seiteneingang für Mütter
    Auch andere junge Abgeordnete haben kleine Kinder, meist klappt die Betreuung auch irgendwie. Aber auch die Sozialdemokratin Diana Lehmann hat ihre Erfahrung im Plenarsaal mit Kind: Einmal durfte sie bleiben, einmal musste sie gehen. Aber: "Bei mir gab es letztes Jahr die Sonderregelung, dass ich zum Seiteneingang des Plenarsaals mit meiner Tochter auf dem Arm hineindurfte. Hier zum Seiteneingang, dass mich niemand sieht und dass ich trotzdem meine Stimme abgeben kann."
    Am Rande des gestrigen Plenums sagte ihr ein Abgeordnetenkollege einer anderen Fraktion, dass er ja auch nicht seinen Hund mitbringen könne. Parlamentspräsident Carius schlägt nun der Regierungskoalition vor, dass sie ja die Geschäftsordnung des Landtags ändern könne. Dorothea Marx, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und Mitglied im Ältestenrat, hält das für unnötig: "Ich meine, jede Mutter weiß doch, dass sie nicht ständig mit einem kleinen Kind hier im Plenarsaaal sein will. Es kann doch nur um eine Ausnahmesituation gehen, dass man mal eben kurz mit dem Kind reingeht, um da mal einen Abstimmungszettel in die Box zu werfen oder mal die Hand zu heben. Und das kann man ganz unkonventionell und am Rande von Fall zu Fall regeln."
    Das Thema Baby im Plenarsaal wird dem Thüringer Landtag nach dem kleinen Eklat gestern erhalten bleiben.