Zahllose Riffe von Tiefwasserkorallen ziehen sich wie eine Perlenschnur entlang der europäischen Küsten. Diese Korallen haben höchst genaue Vorstellungen vom richtigen Lebensraum. Sie lassen sich immer am Abbruch des Kontinents zur Tiefsee hin nieder. Dort, wo starke Strömungen den lästigen Sand wegschaffen, der sie ersticken könnte – und die ihnen ihre Nahrung anliefern. Nur wenn viel Plankton im Wasser ist, können sie überleben, denn anders als ihre Verwandten im tropischen Flachwasser müssen Tiefwasserkorallen in ihrer dunklen Lebenswelt auf die Hilfe von symbiotischen Algen verzichten. Lange war unklar, was Tiefwasserkorallen alles verzehren: nur Zooplankton, oder auch planktonische Algen – oder nutzen sie gar chemische Energie in Form von Methan, das aus dem Meeresboden dringt? Das klärt sich nun. André Freiwald, Paläontologe an der Universität Erlangen:
Es gibt zwei wichtige Korallenarten, die am Riffaufbau im Nordatlantik beteiligt sind. Da ist zum einen die große, weiße Koralle Lophelia. Und da scheinen die Ergebnisse darauf hinzudeuten, daß sie ausschließlich Zooplankton frißt, also kleine Krebse, die in der Wassersäule driften. Wohingegen die zweite wichtige Art, die heißt Matripora okulata, die scheint auch pflanzliches Plankton aufzunehmen. Wir haben bislang keine Hinweise auf Kohlenwasserstoff beeinflußte Nahrungsketten finden können.
Alles hängt von der Strömung ab. Deshalb richten sich die Korallen in ihrem Wuchs nach den lokalen Strömungen aus. Neue Messungen haben ergeben, daß sie nur dort aktiv wachsen, wo sie direkt umspült werden. Die Riffe sind in Zonen aufgebaut.
So ein Riff ist genauso zoniert wie ein Flachwasserriff, das heißt, wir haben ein Riffdach, das sich aus lebenden Korallenkolonien zusammensetzt, und dann haben wir eine Zone, die sich wie im Flachwasser aus abgestorbenen Korallen zusammensetzen, sehr spaltenreich, höhlenreich, und da gibt es sehr viele Fische, die in diesen Höhlen leben.
Sowohl die Korallenzone selbst als auch die Schutt-Zone sind sehr wichtige Lebensräume. In beiden Habitaten leben mehr Arten und mehr Individuen als in dem Meeresboden darum herum.
Lisbet Jonsson von der Universität Göteburg. An den Tiefwasserriffe leben viele Fischarten, die diese Riffe als Kinderstube nutzen – und es sind oft wirtschaftlich interessanten Fische. Vor Norwegen tummeln sich Rotbarsch, Seehecht oder Seelachs in den Riffen. Weiter im Süden trifft man Haie, Grenadierfische und neuerdings den Kaiserbarsch, der die Begehrlichkeiten der Fischereiwirtschaft weckt:
Um an die Fische ranzukommen, muß man das Riff zerstören, damit die aus ihren Verstecken kommen, damit sie dann in der freien Wassersäule abgefischt werden.
Dazu setzen die Fischereiflotten "Felshopper" ein: schwere Eisenkonstruktionen, die alles niederwalzen. Riffe, die in Jahrtausenden entstanden, sind auf immer verloren. Aber nicht nur die direkten Folgen der Fischerei bedrohen diese Habitate. Vor den indirekten sind noch nicht einmal die Riffe sicher, die unter Schutz gestellt worden sind. Beispielsweise vor Schwedens Küste, erklärt Tomas Lundalv von der Universität Göteburg:
Die Fischerei bereitet selbst in den Schutzgebieten Probleme, wenn die Trawler ihre Netze manchmal nur 100 Meter von den geschützten Riffen entfernt ausbringen dürfen. Dadurch wird viel Sediment wieder aufgewirbelt, das die Korallen bedecken kann. Wir werden wohl breitere Pufferzonen als heute brauchen, um dieses Problem für die Korallen zu minimieren.
Die Meeresbiologen kämpfen gegen die Zeit. Sie entdecken Tausende von neuen Riffen – noch viel mehr sind unentdeckt – und der Fischereidruck ist sehr hoch. Die Tiefwasserriffe drohen verloren zu gehen, noch bevor sie erforscht sind. Noch hat beispielsweise niemand die Larven der Tiefwasserkorallen gesehen und deshalb weiß man auch nicht, wie sie sich fortpflanzen. Man weiß noch so gut wie gar nichts.
Links:
2nd International Symposium on Deep-Sea Corals
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