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Timber Timbre
Fröhlicher Song über den Sturz aus dem zweiten Stock

Timber Timbre machen Musik, die mit Americana und Weird Folk zu tun hat und in ihrer morbiden Romantik an Nick Cave oder Ennio Morricone erinnert. Gestern ist ihr famoses fünftes Album "Hot Dreams" erschienen. Und für ihre Verhältnisse ist es fröhliche Musik.

Von Bernd Lechler | 29.03.2014
    Zugegeben, sie klingen von Album zu Album weniger düster und desperat. Und einige Songs auf "Hot Dreams" wirken beim ersten Hören geradezu sonnig - aber irgendwie wähnt man doch hinter jedem Dur-Akkord einen Abgrund. Und meistens lauert auch einer, sodass man Taylor Kirk fragen möchte: Hast du dich eigentlich schon mal an einem fröhlichen Song versucht? Gegenfrage:
    "Hab ich nicht gerade eine ganzes fröhliches Album geschrieben?"
    Im Ernst? Eine Band, deren Songs oft als gruselig beschrieben werden oder mit David-Lynch-Filmen verglichen werden, weil da auch in jeder Landschaftsidylle irgendwann eine Leiche liegt? Aber nachdem ihm die finstere Attitüde zur Karikatur zu verkommen drohte, hat sich Taylor Kirk mehr Licht verordnet.
    "Der Song 'Grand Canyon' ist ein Beispiel. Der beschreibt einen Moment totaler Zufriedenheit."
    Vorausgesetzt, man wird gern samt Flugzeug von einer Schlucht verschlungen. Wirklich schön. Aber es gibt noch genug geisterhafte Orgeln oder Zeilen über tarnende Gardinen und Stürze aus dem zweiten Stock.
    Das Album klingt auf eine gute Weise alt, eingespielt teils auf historischen Instrumenten, wofür Timber Timbre auch Ausflüge in museale Einrichtungen wie das National Music Center in Calgary unternommen haben, erklärt Kirks langjähriger Sidekick Simon Trottier:
    "Wir fühlten uns wie Kinder in einem Vergnügungspark. Wir bekamen eine Führung und da waren diese ganzen Instrumente vom Cembalo bis zum Gitarrensynthesizer, eine unglaubliche Sammlung von Klassikern. Eben auch für das, was uns vorschwebte - mehr so ein 70er-Jahre-Sound."
    Klassisch eben. Wie das Sportcabrio in überbelichtetem Schwarzweiß auf dem Cover. Damit fuhr Taylor Kirk ein paar Wochen durchs legendäre Laurel Canyon in L.A., wo in den 60ern Jim Morrison lebte oder Joni Mitchell; wo Crosby Stills & Nash ihr erstes Lied sangen und Frank Zappa nebenan wohnte - und viele Filmstars. Kirk schrieb Songs und dachte an großes Kino.
    "Ich kam ganz nostalgisch drauf, weil ich daran denken musste, wie ich diese Filme der zweiten goldenen Ära Hollywoods von 1970 bis '80 in einem prägenden Alter das erste Mal sah. Bevor wir die Streicher-Arrangements aufnahmen, schickte ich den Musikern alte Trailer, zu 'Taxi Driver', 'Rosemary's Baby', 'Einer flog übers Kuckucksnest'. Das war so das Gefühl, das ich erzeugen wollte."
    "We Beat The Drum Slowly" handelt tatsächlich vom Niedergang Hollywoods. Und der schwer erotische Titeltrack "Hot Dreams" - der beflügelte Kirks eigene filmische Fantasie zu einem sehr sehenswerten Video, das in einem Striptease-Club spielt. Haben sie dahin auch Ausflüge gemacht?
    "Actually it was my first time."
    Für Trottier war der Dreh das erste Mal. Und Kirk?
    "Ich war öfter mal in so einem Club, ja. Und einmal in Toronto traf ich eine Tänzerin, die uns kannte und sagte, sie strippt zu Songs unseres letzten Albums. Das fand ich echt spannend. Das wollte ich sehen! Irgendwie tanzen Stripperinnen auch selten zu einer sonderlich sexuellen Musik. So kam ich auf die Idee zu diesem Video."
    Natürlich handelt "Hot Dreams" auch von Albträumen - man traut dieser scheinbaren Idylle ja eh nicht. Düsternis ist ja auch interessanter; wobei sie ursprünglich nur von seiner Unsicherheit vor Publikum ablenken sollte, sagt Kirk, der stets freundlich erzählt, aber zwischen viel Stocken und Denkpausen dann doch wenig preisgibt. Etwa zum beklemmendsten Song, "Run From Me".
    "Naja, wie auch bei 'Hot Dreams' ist das schon ein einsamer Typ, der da seine Frau warnt, und ihr eine Chance gibt, davonzukommen."
    Aber warum sollte sie vor ihm weglaufen? Gute Frage, sagt Taylor Kirk. Eine Antwort gibt er nicht.