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Tinnitus bei Mäusen

Neurologie. - Tinnitus, dieses bisweilen unerträgliche Pfeifen im Ohr, das keine äußere Ursache hat, gibt es nicht nur beim Menschen. Auch andere Säugetiere können diese Störung bekommen und auch - so wurde jüngst in den USA an Ratten gezeigt - von ihr geheilt werden. Doch wie wissen Forscher, ob es in Rattenohren pfeift?

Von Marie Heidenreich | 08.07.2011
    Dieses Dröhnen durchdringt ein Gekreisch von Stimmen, das mit einem falschen Zischen beginnt und bis zu einem furchtbaren Gekreisch ansteigt, als ob Furien und alle bösen Geister auf mich losfahren würden.

    Der tschechische Komponist Friedrich Smetana beschrieb 1880 in einem Brief an einen Freund das unerträgliche Ohrgeräusch, das ihn seit seinem 50. Lebensjahr quälte. In sein Streichquartett "Aus meinem Leben", fügte er den Ton ein, der ihm wie das Gekreische von bösen Geistern erschien.

    "Tinnitus – was ist es? Das ist ein Ohrgeräusch, das heißt, das ist eine akustische Wahrnehmung, aber eben eines Tones, der erst in Ihrem Gehirn entsteht und der praktisch keine äußere physikalische Schallquelle hat."

    Der Neurophysiologe Holger Schulze sucht nach Therapiemöglichkeiten für den Tinnitus. Der Professor von der HNO-Klinik in Erlangen erklärt, wie wir hören und dass ein lautes Konzert oder Stress zu neurologischen Veränderungen im Gehirn führen kann.

    "Sie müssen sich das so vorstellen, dass unser Innenohr die Frequenzen der Töne, die wir so wahrnehmen, zerlegt in die einzelnen Frequenzkomponenten und das dann ordentlich räumlich ablegt, so ähnlich wie die Tasten auf einem Klavier können Sie sich das vorstellen, das heißt hohe Frequenzen sind auf der einen Seite abgebildet, tiefe Frequenzen auf der anderen Seite, alles schön ordentlich nebeneinander und zwischen diesen einzelnen Frequenzbereichen gibt es nun Wechselwirkungen, das heißt bei der Hörverarbeitung beeinflussen diese Bereiche sich gegenseitig."

    Normalerweise hemmen sich nebeneinanderliegende Nervenzellen und schwächen so das benachbarte Signal ab. Dieses Phänomen nennt man laterale Inhibition. Bei einem Hörschaden bekommen einige Zellen nur noch ein schwächeres Signal. Diese unterdrücken ihre Nachbarzellen weniger stark, sodass diese ein stärkeres Signal weiterleiten. Bildlich gesprochen, werden einige Klaviertasten schmaler, andere breiter.

    "Und diese breiteren Tasten, die nehmen wir dann als Tinnitus wahr."

    Holger Schulze versucht, diese Veränderungen wieder rückgängig zu machen und so den Tinnitus zu heilen. An der HNO-Klinik in Erlangen wird an mongolischen Rennmäusen geforscht, weil diese ähnlich hören wie wir Menschen. Dazu fügt er den Mäusen einen Tinnitus zu, indem er sie unter Narkose mit einem 115 Dezibel lauten Ton beschallt. Nun muss er herausfinden, ob die Tiere tatsächlich einen Tinnitus haben und auch nach der Therapie muss er wissen, ob der Tinnitus weg ist.

    "Natürlich können wir sie nicht einfach fragen, wie ich einen Patienten fragen könnte. Da gibt es im Tierexperiment eine relative elegante Methode, wie man das machen kann. Das nennt sich Reflexkonditionierung. Man macht sich dabei zunutze, dass Tiere – wie wir auch – auf bestimmte Reize mit bestimmten Reflexen reagieren und zwar ohne dass man das vorher trainiert hat. Das ist ja eben das Wesen eines Reflexes. Das heißt, das kann zum Beispiel ein kurzer lauter Reiz sein, bei uns ist das so ein Knackton, darauf zucken unsere Mäuschen kurz."
    Vor dem Knackton wird den Mäusen ein langes Rauschen vorgespielt, das sich wie ein Tinnitus anhört. Wird dieses Rauschen jetzt kurz vor dem Knacken von einer Lücke unterbrochen, bereiten sich die Mäuse unbewusst auf eine Veränderung vor und erschrecken beim Knacken weniger. Eine Tinnitus-Maus nimmt die Lücke aber nicht wahr, weil ihr Tinnitus diese überdeckt. Sie erschrickt beim Knackton also mehr als eine Maus ohne Tinnitus. Und auch die Frequenz des Tinnitus können die Forscher so ermitteln. Schulz:

    "Wir können auch in etwa bestimmen durch unterschiedliche Reize, in denen wir diese Lücke präsentieren, die haben eine unterschiedliche Tonhöhe und dann können wir bestimmen – aha, bei der Tonhöhe nehmen sie die Lücke gut war, bei einer anderen Tonhöhe nehmen sie sie nicht wahr und dann wissen wir: Da, wo sie sie nicht wahrnehmen, ist vermutlich auch der Frequenzbereich, in dem ihr Tinnitus liegt."

    Anschließend verlässt sich Holger Schulze nicht alleine auf den Lückenerkennungstest, sondern untersucht zusätzlich die physiologischen Veränderungen im Gehirn.

    "Das heißt wir messen dann in dem Gehirn selbst, wie breit sind denn nun die Gehirntasten, bevor das Schalltrauma ausgelöst wurde und nachdem die Tiere einen Tinnitus entwickelt haben."

    Wenn er an den Stellen, an denen die Maus im Verhaltenstest einen Tinnitus gezeigt hat, auch neurologische Veränderungen misst, kann er mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die Maus tatsächlich einen Tinnitus hat. Im Januar gelang es amerikanischen Forschern, den Tinnitus bei Ratten zu heilen. Holger Schulze warnt jedoch vor zu großer Euphorie.

    "Es gibt jetzt diese neuen Verfahren im Tierexperiment, zur Behandlung von Tinnitus. Man darf sich jetzt nicht erhoffen, dass wir das morgen auch am Patienten können, aber aufgrund der Tierexperimente fangen jetzt die ersten Humanstudien an und dann hoffen wir, dass wir in ein bis zwei Jahren soweit sind, damit Patienten gut behandeln zu können."