Freitag, 03. Mai 2024

Archiv

"Tiny Times"
"Sex and the City" auf Chinesisch

Man könnte die chinesische Filmserie "Tiny Times" als eine Art "Sex and the City" auf Chinesisch beschreiben - vier Freundinnen in Schanghai gehen shoppen und verlieben sich. Nur der Sex spielt keine Rolle - das erlaubt die Zensur nicht.

Von Markus Rimmele | 17.04.2015
    Die Millionenmetropole Schanghai isz Schauplatz von "Tiny Times"
    Die Millionenmetropole Schanghai isz Schauplatz von "Tiny Times" (picture alliance / dpa)
    Hallo! Markus Rimmele aus Schanghai. Heute in der Funktion als Filmkritiker. Ich war endlich mal wieder im Kino und habe mir "Tiny Times" angeguckt. Das ist einer der größten chinesischen Blockbuster der letzten Zeit. Genau genommen sind es drei Filme, die hintereinander auf den Markt gekommen sind, der vierte hat bald Premiere.
    Buben aus der Zahnpastawerbung
    Die Filme sind riesig in China. Die Schauspieler sind Megastars. "Tiny Times" ist "Sex and the City" auf chinesisch. Vier junge Frauen in Schanghai, die befreundet sind, gerne shoppen, sich verlieben. Nur der Sex spielt natürlich keine Rolle. Das erlaubt die Zensur nicht. Die Handlung ist schnell erzählt. Es gibt nämlich keine. Die vier Frauen, Typ Prinzessin, sind alle hübsch und irgendwie reich. Sie studieren, gehen arbeiten, am liebsten irgendwas mit Mode, und treffen auf Männer, mit denen es immer Probleme gibt. Die "Männer" sehen aus wie Buben aus der Zahnpastawerbung und wissen, wie man süß schräg von der Seite in die Kamera guckt. Die eigentliche Hauptrolle spielen Luxusartikel. Schleichwerbung in jeder zweiten Szene.
    "Ich habe dem Film eine sehr positive Botschaft gegeben. Nämlich: Egal, wo du geboren bist, du kannst deine Träume erfüllen, wenn du dich anstrengst.", sagt Guo Jingming, der Regisseur, der auch die Romanvorlage geschrieben hat. Er ist selbst ein chinesischer Superstar. Traum - das bedeutet hier: teure Handtaschen, Hochnäsigkeit, Edel-Schuhe und ein Chauffeur. Der für mich zentrale Dialog des ersten Films der Serie ist dieser: Sie: "Ohne materielle Dinge ist Liebe wie Sand. Sie fliegt sofort weg. Wenn ich eine arme Studentin wäre: Würdest du mich immer noch lieben?" Er: "Natürlich! Wenn ich ein armer Junge wäre, würdest du mich lieben?" Sie schweigt. Er, lauter: "Würdest du?" Sie schweigt weiter.
    Materialismus statt geistige Nahrung
    Viele in China kritisieren "Tiny Times" wegen des zur Schau gestellten Materialismus der Hauptfiguren. Diese Lehrerin zum Beispiel. Sie hat sich den Film angeguckt, um ihre Schülerinnen besser zu verstehen - und ist besorgt: "Unsere Gesellschaft gibt den jungen Menschen zu wenig geistige Nahrung. Die denken nicht und haben keine Ziele. Die sind innerlich arm!"
    Mag sein. Ich finde "Tiny Times" trotzdem gut. Denn immerhin ist es ehrlich. Das heutige China vergöttert Konsum und Status. Wer Geld hat, hat Macht. Wer Macht hat, behandelt andere mit Arroganz. In den dicksten Autos in Schanghai sitzen die rücksichtslosesten Fahrer. Berühmt wurde vor ein paar Jahren eine junge Frau in einer TV-Show. Sie sitze lieber heulend in einem BMW als lachend auf einem Fahrrad, sagte sie.
    Botschaft zensiert
    Der Erfolg von "Tiny Times" kommt nicht von ungefähr. Die Filme treffen den Zeitgeist - und den allgemeinen Kino-Geschmack: "Filme mit einer tiefen oder kritischen Botschaft schaffen es nicht durch die Zensur", sagt die Shanghaierin Peggy Liu. Sie arbeitet in der Unterhaltungsbranche. Das heißt: Der Kommerz will Oberflächlichkeit. Und alles andere ist von der Politik verboten. Irgendwann geben sich die Leute damit zufrieden. Wer also einen wirklich guten Film sehen will, sollte um "Tiny Times" einen großen Bogen machen. Wer aber China besser verstehen möchte, kann sich das ruhig angucken. Gibt's im Netz auch mit Untertiteln.