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Tod auf dem Jakobsweg

Der Weg ist das Ziel: Das gilt auch für die Pilger auf dem "Camino de Santiago". Der amerikanische Regisseur Emilio Estevez erzählt in seinem Film vom Suchen und Finden des Lebenssinns und von den Schrecken und Schönheiten der Familienbande.

Von Josef Schnelle | 21.06.2012
    "Er ging den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. 800 Kilometer zur Küste Spaniens." – "Sie sind kein Pilger, nicht wahr? Ein Wanderer." – "Es ist eine Familienangelegenheit." –Wir gehen den Camino nach Santiago." – "Wir?" – "Wir beide."

    Tom ist ein gut situierter Augenarzt aus Kalifornien in den 60ern. Die für wohlhabende Amerikaner obligatorische Europareise muss er aus einem traurigen Anlass antreten. Sein Sohn ist umgekommen. Er will dessen Leiche einäschern lassen und einen Weg finden, um ihn zu trauern. Sohn Daniel ist verunglückt, als er versuchte, den Jakobsweg zu erwandern.

    Der Jakobsweg beginnt im französischen Saint-Pied-de-Port im Baskenland, geht über die Pyrenäen nach Pamplona, Burgos und Léon. An der Route hat sich seit dem 11. Jahrhundert nichts geändert. Bis zu 30 Kilometer am Tag müssen die Pilger bis zur nächsten Herberge zurücklegen. Am Ende nach der teilweise strapaziösen Wanderung, die man in sechs bis acht Wochen bewältigen kann, steht ein Gottesdienst in der Kathedrale von Santiago di Campostela.

    Doch eigentlich ist stets der Weg das Ziel, und in diesem Sinne hatte Daniel den Pilgerweg als Reise zu sich selbst angetreten. Im Gegensatz zu seinem Vater ist er immer ein Abenteurer gewesen. Die spießig selbstgewisse Lebensweise seines erfolgreichen Vaters hat er immer abgelehnt. Die letzte Erinnerung des Alten ist nun die an einen Streit mit Daniel. Tom beschließt mit der Asche seines Sohnes selbst den Jakobsweg zu gehen, um ihm wenigstens posthum noch einmal näher zu kommen.
    "Es geht um was Familiäres? Das Kästchen mit der Asche?" "Mein Sohn." "Wie war dein Sohn?" – "Ungefähr wie du: klug selbstbewusst, stur. Er hat mich ziemlich genervt."

    Tom Avery ist mit Rucksack, Wanderstock und mürrischer Grundeinstellung eine ungewöhnliche Figur zwischen all den Sinn- und Selbstsuchern, die auf dem Camino unterwegs sind. Einigen begegnet er. Einem Holländer, der eigentlich nur abnehmen will. Einer Kanadierin, die insgeheim den Mann fürs Leben zu finden hofft. Und einem Iren, der ein Buch schreiben will. Alle haben ein Geheimnis, dessen Lösung sie auf dem Jakobsweg finden wollen. Und der steht ja ganz allgemein für den Weg des Lebens. Meist geht es um Schuld, Vergebung und Familiengeheimnisse. Und natürlich auch immer um den Sinn, der hinter allem steckt. Da kann es schon einmal hoch hergehen, wenn Tom Avery abends nach dem Wein den anderen abspricht, ernsthafte Mitwanderer zu sein.

    "Freunde, die Frage ist: Was muss jemand tun, um ein echter Pilger auf dem Camino zu werden?"

    Mit lockerer Hand, manchmal komisch, manchmal aber auch mit einigem Tiefgang erzählt Emilio Estevez vom Suchen und Finden des Lebensweges und auch von der Aufweichung der engstirnigen Hauptfigur durch die südländische Lebenskultur. Durch die Weinreben gibt es verschiedene parallele Wege. Dann trifft man wieder aufeinander. Ein schöner kleiner Film über die Wonnen der Sinnsuche und die Schönheit der Familienbande.

    2010 als Emilio Estevez den Film an Originalschauplätzen entlang des Jakobsweges drehte, wurden 200.000 Pilger auf dem Camino gezählt. Emilio Estevez hat noch einen persönlichen Grund für diesen Film: Sein Großvater stammt aus dieser Gegend. Außerdem ist der Film natürlich eine Hommage an seinen Vater Martin Sheen, der eigentlich auch Estevez heißt. Für ihn hat er die Rolle geschrieben. Und so ist dieser Film die Geschichte eines Vaters und seines Sohnes (der in einer kurzen Rückblende ebenfalls von Emilio Estevez gespielt wird). Es ist auch das Gemeinschaftswerk von Vater und Sohn Estevez. Martin Sheen zeigt sich auf der Höhe seiner Schauspielkunst und erweist sich einmal mehr als Vollblutschauspieler. Vielleicht ist es die Rolle seines Lebens. Sein Jakobsweg.

    "Er hat die Rolle für mich geschrieben. Es ist eine der Rollen, die ich in einem Hollywoodfilm niemals angeboten bekäme. Es gibt so viele große Stars, die diese Rolle gerne spielen würden. In meinem Alter bekommt man die Gelegenheit nicht mehr, so einen substantiellen Part zu spielen. Entweder man spielt eine kleine Rolle in einem großen Film oder man spielt eine große Rolle in einem kleinen Film. Das finde ich besser."