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"Tod den Unverschleierten"

Mit knapp über sechzig Prozent gewann der ultrakonservative Hardliner Machmud Ahmadinedschad Ende Juni die Stichwahl um das Präsidentenamt im Iran. Seitdem ist nicht nur der Westen beunruhigt. Der neue Präsident, so wenden seine Kritiker im Iran ein, sei ein Islamist, der taliban-ähnliche Verhältnisse einführen wolle. Vor allem Irans gut ausgebildete Frauen sind alarmiert.

Von Katajun Amirpur |
    Sie recken ihre Fäuste, blicken grimmig wütend drein. Vor allem Frauen sind verängstigt bei diesem Anblick. Und bei dem, was sie schreien: Tod den Unverschleierten, Tod den Unverschleierten.

    Tod den Unverschleierten, heißt es bis heute auf den Straßen Teherans, wenn die Radikalen mal wieder gegen die vermeintlich zu freizügig gekleideten Frauen zu Felde ziehen. Der Westen assoziiert bis heute die Islamische Republik Iran im wesentlichen mit dem Tschador, dem Schleier, das Kopftuch. Und schließt: Kopfbedeckung gleich Verbannung der Frau aus der Gesellschaft. Gegen diese Gleichsetzung jedoch wehren sich iranische Frauenrechtlerinnen. Und dagegen, dass es immer nur um das Stück Stoff geht. Shahla Sherkat:

    Shahla Sherkat: "Ich kritisiere immer die ausländischen Journalisten, die hierher kommen und deren erste Frage die Kopfbedeckung betrifft. Die iranischen Frauen und auch die Frauen anderer Länder haben mit Sicherheit wichtigere Probleme als ihre Kleidung. Aber wieso sprechen die Westler immer nur diesen Punkt an? Unsere Probleme sind viel komplizierter und umfassender; man muss nicht immer nur das Kopftuch ansprechen. Und Sie sehen ja: Auch mit diesem Kopftuch, das die Frauen nun mehr oder minder akzeptiert haben, sind sie in allen Bereichen aktiv."

    Sherkat ist Herausgeberin der einflussreichsten iranischen Frauenzeitschrift. Hier werden keine Kochrezepte abgedruckt, sondern Debatten um die rechtliche Gleichstellung der Frau geführt. Die "Rechtsberaterin" der Zeitschrift, die bekannte Juristin Mehrangiz Kar, klärt ihre Leserinnen in einer Kolumne über ihre Rechte auf. Und sie nennt eine nahe liegende Begründung, warum die herrschenden Konservativen so sehr am Kopftuchzwang festhalten.

    Mehrangiz Kar: "Alle islamischen Herrschaftssysteme beginnen mit der Unterdrückung der Frau. Und sie wählen damit die schwächsten Opfer um eine Atmosphäre der Furcht zu schaffen. Wenn Angst herrscht, dann fürchten sich alle und die Herrschenden können ihre Macht stabilisieren. Denn wenn die Hälfte der Menschen in Angst lebt, wird sich die Bevölkerung kaum als Ganzes selbstbewusst mit den politischen Problemen auseinandersetzen. "

    Die Redaktion der Zeitschrift Zanan ist schon häufig von Schlägertrupps überfallen worden. Diese Schlägertrupps beschimpfen Frauen wie Sherkat als verwestlicht und werfen ihr vor, der Revolution zu schaden. Sherkat jedoch lässt sich auch von den Attacken der Schlägertrupps nicht abhalten, ihre Kritik zu formulieren. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Über einen Gesetzesentwurf, der vorsieht, Frauen dürften nur von weiblichen Ärzten behandelt werden, schreibt sie:

    "Wir werden also bald erleben, wie sich vom Krankenhaus abgewiesene Frauen in politisch oppositionelle Gruppen verwandeln. Und: Diese Frauen werden einen solchen Dogmatismus der Religion anlasten und nicht den Verordnungen, die sich die starrsinnigen Hirne der Traditionalisten für sie ausgedacht haben. Und dabei bedenke man einmal, wie schwer es überhaupt für Frauen in dieser Gesellschaft ist, nicht vom Glauben abzufallen."

    Andererseits sind Frauen in allen Sphären der iranischen Gesellschaft vertreten; Frauen werden heutzutage Ärzte, Lehrer, Präsidentenberater und Bürgermeister. Sie arbeiten als Journalistinnen und machen Filme. Und sogar die klassische Männerdomäne des Nahen Ostens haben sie mittlerweile erobert: Sie fahren Taxi.
    In der Gesellschaft sind sie präsent, und sie verfügen auch über mehr politische Rechte als Frauen in anderen islamischen Ländern – beispielsweise über das aktive und passive Wahlrecht. Die Forderungen der meisten Frauenrechtlerinnen setzen daher im rechtlichen Bereich ein. Sie wollen, dass sie ihre bürgerlichen Rechte zurückerhalten, von denen ihnen viele nach der Revolution genommen wurden. Nur politische Rechte zu haben, reiche nicht. Die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi:

    Schirin Ebadi: "Als jemand der an die Menschenrechte glaubt, bin ich der Überzeugung, dass wir zuerst bürgerliche Rechte haben müssen und dann politische. … Ein Beispiel: Wir hatten zwar unter Chatami eine stellvertretende Staatspräsidentin. Aber was hat das für einen Zweck, wenn diese stellvertretende Staatspräsidentin für eine Konferenz im Ausland eine schriftliche Erlaubnis von ihrem Mann einholen muss. Und weiß man, ob er sie ihr gibt? Wenn die zwei sich am Abend vor der Abreise streiten, bleibt dann der Stuhl Irans auf einer wichtigen internationalen Konferenz leer? "

    Seit Juni hat Iran nun einen neuen Präsidenten. Nicht wenige waren schockiert. Ein Ultrakonservativer. Mahmud Ahmadinedschad. Im Wahlkampf hatte er angekündigt: Wir haben die Revolution in Iran nicht gemacht, um die Demokratie einzuführen. Begleitet wurde diese Wahl daher vor allem von Befürchtungen der Frauen. Dabei waren sie noch vor wenigen Jahren, 1997, so voller Hoffnung. Hatten den Mann gewählt, der ihnen eine Verbesserung der Frauenrechte versprochen hatte. Im Wahlkampf hatte Chatami erstaunliche emanzipatorische Töne angeschlagen. Er schaffte es dadurch - wie Schahla Scherkat es einst formulierte – in den Frauen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu wecken. Wer jedoch hoffte, unter Chatami werde sich die rechtliche Situation der Frau entscheidend bessern, wurde enttäuscht. In seiner Amtszeit wurden sogar einige Gesetze verabschiedet, die als massive Rückschläge bezeichnet werden müssen: beispielsweise ein Gesetz, dass Frauen und Männer nun auch in Mini- und Überlandbussen getrennt sitzen müssen, in den Stadtbussen war dies bereits vorher Vorschrift. Chatami selbst kommentierte dieses Gesetz mit den Worten, der Versuch, Frauen und Männer in jedem gesellschaftlichen Bereich zu trennen, sei gegen die Natur des Menschen. Geholfen haben seine Einwände allerdings nicht. Auch die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi ist zwiegespalten:

    Schirin Ebadi: "Nein, es hat sich nicht viel verändert für die Frauen. Wir haben Gesetze, die die Ungleichheit zementieren. Wir werden aufgrund unseres Geschlechts diskriminiert: … Das Zeugnis einer Frau ist nur halb so viel wert wie das eines Mannes. Ein Mann kann vier Frauen heiraten. Eine Frau braucht die Erlaubnis ihres Mannes, wenn sie das Land verlassen will. All das sind gesetzliche Ungerechtigkeiten. Und die Frauen Irans wollen, dass sich dies ändert. Diese Hoffnung setzten sie in Präsident Chatami. "

    Und was befürchten junge Frauen jetzt, nach der Wahl des ultrakonservativen Mahmud Ahmadinedschad. Betty Arvand ist eine junge Frau aus der Teheraner Mittelschicht:

    Betty Arvand: "Ich denke, er würde die Entwicklung gerne wieder zurückdrehen. Aber nach all dem, was in den letzten Jahren geschehen ist, wird er es nicht können. Vor allem bei dieser Jugend geht das nicht. Auf keinen Fall. Sie werden sich widersetzen, sich auflehnen. Allerdings nicht in der Politik. Sie sind die Politik leid nach diesen Jahren der Regierungszeit Mohammad Chatamis. Die Jugend war sehr hoffnungsvoll. Aber nachdem daraus nichts geworden ist, interessiert sie die Politik nicht mehr. Aber gegenüber ihren persönlichen Freiheiten sind sie beileibe nicht gleichgültig geworden. Sie werden nicht erlauben, dass man ihnen diese Freiheiten wieder nimmt. "

    Dennoch sind die Frauenrechtlerinnen optimistisch. Sie vertrauen auf die Stärke und die Entschlossenheit der iranischen Frauen, für ihre Rechte zu kämpfen. Denn als unterwürfige Dienerinnen der Männer verstehen die sich nicht, im Gegenteil. Dies lässt sich vielleicht auch daran ablesen, dass der beliebteste Frauensport in der Islamischen Republik Karate sein soll – was sicher auch eine Art ist, auf ein Rechtssystem zu reagieren, dass es Männern erlaubt, ihre Frauen zu schlagen.