Der militärische Denker von Clausewitz sprach im 19. Jahrhundert immer vom "Nebel des Krieges". Und meinte damit die vielen Unwägbarkeiten, die sich auf dem Schlachtfeld ereignen und jede noch so gute Planung über den Haufen werfen können. Doch auch heute, im Zeitalter der Joystick-Krieger, "smart bombs" und ferngelenkten Drohnen, reduziert sich der Krieg in seinen extremen Momenten - beim Kampf Mann gegen Mann - zu allererst immer auf eins: das Chaos.
Jon Krakauer ist ein Meister für solche Extremsituationen. In seinem Buch "In eisige Höhen" schilderte er vor wenigen Jahren den dramatischen Überlebenskampf von Bergsteigern am Mount Everest im Jahr 1996. Auch seine weiteren Bücher – allesamt Welterfolge – handeln von Menschen, die für ihre Überzeugungen alles auf's Spiel setzten und nach den letzten Herausforderungen suchten.
So auch im Fall von Pat Tillman. Er war der berühmteste Freiwillige der amerikanischen Streitkräfte im Irak und in Afghanistan. Ein Footballstar mit sicherem Millionenvertrag der "National Football League" in der Tasche. Als Vorzeige- und Elitekämpfer, als Ranger, trat er in den Dienst der Armee, denn Sport bedeutete ihm viel, aber eben nicht alles. Krakauer schildert seinen Lebensweg und seine Motive, hat seine Verwandten, Freunde und Kameraden monatelang befragt und Einsicht in Briefe und Tagebuchaufzeichnungen Tillmans genommen. In einem der vielen Tagebuchaufzeichnungen findet er folgenden Eintrag:
Mein Urgroßvater war in Pearl Harbour, viele in meiner Familie sind in den Krieg gezogen. Und ich habe nichts getan, außer den Ball auf die Linie zu legen. Ich habe großen Respekt vor ihnen und vor dem, wofür die Flagge steht.
Tillman starb im April 2004 in Afghanistan kurz vor der pakistanischen Grenze. Seine Einheit geriet unter Beschuss, verschanzte sich auf einem Bergpass. Es gab Verletzte. Als das letzte Fahrzeug des amerikanischen Konvois durch die Schlucht rollte, feuerten seine Kameraden irrtümlich auf ihn. Sekunden später lag Tillman mit drei Kopfschüssen tot hinter einem Felsbrocken. Der Tod Tilmans - aus den Aufzeichnungen der anschließenden Untersuchungskommission könnte er sich so abgespielt haben:
Wenn er zu seinen Waffenbrüdern hinunterschaute, konnte er bestimmt auch beobachten, wie Alders, der auf der gegenüberliegenden Seite des Humvees saß, sich ihm plötzlich zuwandte und dann seine Waffe auf ihn richtete. Kurz nachdem Alders die Waffe an die Schulter gelegt hatte, hätte Pat dann einen Blitz aus deren gedrungenem Lauf herausschlagen sehen.
Es ist ein unspektakulärer Tod. Und doch schlägt er in Washington wie eine Bombe ein. Denn Pat Tillman ist nicht irgendwer. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte ihm bei seinem Eintritt in die Armee einen persönlichen Brief geschrieben, und die US-Army machte ihn zu einem "Posterboy" im Krieg gegen den Terror. Tillman wurde zum Vorbild für viele andere Freiwillige, die sich bei der Army meldeten – gegen seinen Willen. Seit seinem Eintritt in die Armee verweigerte sich Tillman konsequent jedem Auftritt in den Medien.
Und jetzt hatten ihn die eigenen Kameraden erschossen. "Friendly Fire" heißt dies in Soldatenkreisen. Und jeder seiner Kameraden wusste es.
Dreieinhalb Jahre recherchierte Jon Krakauer den Fall Tillman. Fünf Monate allein davon in Afghanistan. Herausgekommen ist dabei das Porträt eines vielschichtigen jungen Mannes, der weiß Gott alles andere als ein Rambo war.
Tillman, ein Kraftpaket und Mustersportler, gilt schon in seiner aktiven Footballzeit als Querkopf, als Sonderling. Ein Kämpfer auf dem Spielfeld und im Einsatz, der aber auch den amerikanischen Philosophen Emerson und auch Homer liest und – schlimmer noch – sich eigene Gedanken über den Dienst in der Armee macht. Als er eingezogen wird, wird er von einem "Master Sergeant" angebrüllt. Der 27-Jährige brüllt zurück, wie er in einem Brief verrät:
Hey, Sie verwirren hier jeden. Außerdem behandeln Sie uns wie Arschlöcher, und dabei haben wir doch gar nicht unterschrieben, dass man uns wie Arschlöcher behandeln kann.
Schlimmer noch: Tillman ist ein eigenwilliger Kopf, der auch über die Politik und den Krieg nachdenkt und dies seinem Tagebuch anvertraut. Im Irakkrieg nimmt er dabei an der Befreiungsaktion der amerikanischen Soldatin Jessica Lynch teil. In sein Kriegstagebuch schreibt er:
So sehr ich die Ängste bedaure, die sie ausstehen muss, und den Mut bewundere, den sie ganz bestimmt beweist, halte ich das Ganze doch für eine große PR-Aktion. Versteht mich nicht falsch, natürlich möchte ich, dass jeder, der sich in Schwierigkeiten befindet, gerettet wird, aber so viele Leute auszuschicken, um eine einzige Soldatin zu retten, das sieht doch sehr wie eine Veranstaltung für die Medien aus.
Zur Erinnerung: Das US-Verteidigungsministerium und das Weiße Haus stellten den Fall Lynch so dar, dass die zierliche Soldatin in einen Hinterhalt geriet und dann furchtlos maskierte Fedajin niedermähte, bis ihr die Munition ausging und sie selbst gefangen genommen wurde. In Wirklichkeit hatte sich Lynch mit ihren Kameraden in Nasirija schlichtweg verfahren, einen schweren Verkehrsunfall gehabt und wurde im örtlichen Saddam-Hussein Krankenhaus behandelt und versorgt.
Der "Fall Lynch" war der erste große Einsatz des Meisterpropagandisten Jim Wilkinson, einem Mitstreiter des Bush-Vertrauten Karl Rove. Und er ist sozusagen die Folie für das, was dem toten Pat Tillman widerfahren sollte. Denn im April 2004 stand die Wiederwahl George Bushs an. Der Präsident konnte keine schlechten Nachrichten gebrauchen. Die ersten Bilder vom Foltergefängnis Abu Ghraib liefen durch die Medien und in Falludschah kam es zu verlustreichen Kämpfen. Da passte der Tod Tillmans durch den Beschuss der eigenen Kameraden nicht in die politische Landschaft.
Man braucht einen neuen Heroen, einen, der den Heldentod in einem Hinterhalt der Taliban gestorben war. Und so wird er posthum vom Pentagon zum Corporal befördert. Man verleiht ihm den "Silverstar", die dritthöchste militärische Auszeichnung. Krakauer bilanziert, nach Sichtung aller Dokumente nüchtern:
Die verfügbaren Indizien deuten darauf hin, dass das 75. Ranger-Regiment in eine raffinierte Verschwörung verwickelt war, die Pats Hinterbliebene bewusst täuschen sollte. Hochrangige Verantwortliche des Weißen Hauses und des Pentagons leisteten dieser Täuschung Vorschub.
Interne Memos über die genaue Sprachregelung zu Tillmans Tod gehen hinauf bis in das Büro des Präsidenten. Einer der ranghöchsten Pentagon-Offiziere, die dabei eine wenig rühmliche Rolle spielten, war übrigens General Stanley McChrystal, der heutige Oberkommandierende der NATO-Truppen in Afghanistan, der Obama um weitere 30.000 Soldaten gebeten hatte.
Am Ende aber lässt sich die Wahrheit nicht unterdrücken. Zu viele Kameraden Pat Tillmans wissen, was wirklich geschah. Und Tillmans Bruder, ebenfalls Ranger, deckt durch sein hartnäckiges Insistieren nach und nach die ganze Wahrheit auf.
Jon Krakauer hat in der besten Tradition des amerikanischen investigativen Journalismus eine akribische Studie darüber geschrieben, was Menschen bewegt, für höhere Ziele ihr Leben auf's Spiel zu setzen. Und wie Menschen dabei in das große Räderwerk der Politik geraten können. Es ist eine großartige Menschen- und Milieustudie der Präsidentschaft George W. Bush's. Am Ende zeigt sie vor allem eins: die banale Tragik oder den Clausewitz'schen "Nebel" des Krieges, der aber eins eben nicht verhindern kann: Die Wahrheit kommt früher oder später doch ans Tageslicht. Eine Lehre, die Verteidigungsminister zu Guttenberg im Fall Kunduz beherzigen sollte.
Das Buch von Jon Krakauer "Auf den Feldern der Ehre" ist bei Piper erschienen. Es hat 320 Seiten und kostet 19,90 Euro (ISBN: 978-3492052283). Christoph Birnbaum hat es für uns besprochen.
Jon Krakauer ist ein Meister für solche Extremsituationen. In seinem Buch "In eisige Höhen" schilderte er vor wenigen Jahren den dramatischen Überlebenskampf von Bergsteigern am Mount Everest im Jahr 1996. Auch seine weiteren Bücher – allesamt Welterfolge – handeln von Menschen, die für ihre Überzeugungen alles auf's Spiel setzten und nach den letzten Herausforderungen suchten.
So auch im Fall von Pat Tillman. Er war der berühmteste Freiwillige der amerikanischen Streitkräfte im Irak und in Afghanistan. Ein Footballstar mit sicherem Millionenvertrag der "National Football League" in der Tasche. Als Vorzeige- und Elitekämpfer, als Ranger, trat er in den Dienst der Armee, denn Sport bedeutete ihm viel, aber eben nicht alles. Krakauer schildert seinen Lebensweg und seine Motive, hat seine Verwandten, Freunde und Kameraden monatelang befragt und Einsicht in Briefe und Tagebuchaufzeichnungen Tillmans genommen. In einem der vielen Tagebuchaufzeichnungen findet er folgenden Eintrag:
Mein Urgroßvater war in Pearl Harbour, viele in meiner Familie sind in den Krieg gezogen. Und ich habe nichts getan, außer den Ball auf die Linie zu legen. Ich habe großen Respekt vor ihnen und vor dem, wofür die Flagge steht.
Tillman starb im April 2004 in Afghanistan kurz vor der pakistanischen Grenze. Seine Einheit geriet unter Beschuss, verschanzte sich auf einem Bergpass. Es gab Verletzte. Als das letzte Fahrzeug des amerikanischen Konvois durch die Schlucht rollte, feuerten seine Kameraden irrtümlich auf ihn. Sekunden später lag Tillman mit drei Kopfschüssen tot hinter einem Felsbrocken. Der Tod Tilmans - aus den Aufzeichnungen der anschließenden Untersuchungskommission könnte er sich so abgespielt haben:
Wenn er zu seinen Waffenbrüdern hinunterschaute, konnte er bestimmt auch beobachten, wie Alders, der auf der gegenüberliegenden Seite des Humvees saß, sich ihm plötzlich zuwandte und dann seine Waffe auf ihn richtete. Kurz nachdem Alders die Waffe an die Schulter gelegt hatte, hätte Pat dann einen Blitz aus deren gedrungenem Lauf herausschlagen sehen.
Es ist ein unspektakulärer Tod. Und doch schlägt er in Washington wie eine Bombe ein. Denn Pat Tillman ist nicht irgendwer. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte ihm bei seinem Eintritt in die Armee einen persönlichen Brief geschrieben, und die US-Army machte ihn zu einem "Posterboy" im Krieg gegen den Terror. Tillman wurde zum Vorbild für viele andere Freiwillige, die sich bei der Army meldeten – gegen seinen Willen. Seit seinem Eintritt in die Armee verweigerte sich Tillman konsequent jedem Auftritt in den Medien.
Und jetzt hatten ihn die eigenen Kameraden erschossen. "Friendly Fire" heißt dies in Soldatenkreisen. Und jeder seiner Kameraden wusste es.
Dreieinhalb Jahre recherchierte Jon Krakauer den Fall Tillman. Fünf Monate allein davon in Afghanistan. Herausgekommen ist dabei das Porträt eines vielschichtigen jungen Mannes, der weiß Gott alles andere als ein Rambo war.
Tillman, ein Kraftpaket und Mustersportler, gilt schon in seiner aktiven Footballzeit als Querkopf, als Sonderling. Ein Kämpfer auf dem Spielfeld und im Einsatz, der aber auch den amerikanischen Philosophen Emerson und auch Homer liest und – schlimmer noch – sich eigene Gedanken über den Dienst in der Armee macht. Als er eingezogen wird, wird er von einem "Master Sergeant" angebrüllt. Der 27-Jährige brüllt zurück, wie er in einem Brief verrät:
Hey, Sie verwirren hier jeden. Außerdem behandeln Sie uns wie Arschlöcher, und dabei haben wir doch gar nicht unterschrieben, dass man uns wie Arschlöcher behandeln kann.
Schlimmer noch: Tillman ist ein eigenwilliger Kopf, der auch über die Politik und den Krieg nachdenkt und dies seinem Tagebuch anvertraut. Im Irakkrieg nimmt er dabei an der Befreiungsaktion der amerikanischen Soldatin Jessica Lynch teil. In sein Kriegstagebuch schreibt er:
So sehr ich die Ängste bedaure, die sie ausstehen muss, und den Mut bewundere, den sie ganz bestimmt beweist, halte ich das Ganze doch für eine große PR-Aktion. Versteht mich nicht falsch, natürlich möchte ich, dass jeder, der sich in Schwierigkeiten befindet, gerettet wird, aber so viele Leute auszuschicken, um eine einzige Soldatin zu retten, das sieht doch sehr wie eine Veranstaltung für die Medien aus.
Zur Erinnerung: Das US-Verteidigungsministerium und das Weiße Haus stellten den Fall Lynch so dar, dass die zierliche Soldatin in einen Hinterhalt geriet und dann furchtlos maskierte Fedajin niedermähte, bis ihr die Munition ausging und sie selbst gefangen genommen wurde. In Wirklichkeit hatte sich Lynch mit ihren Kameraden in Nasirija schlichtweg verfahren, einen schweren Verkehrsunfall gehabt und wurde im örtlichen Saddam-Hussein Krankenhaus behandelt und versorgt.
Der "Fall Lynch" war der erste große Einsatz des Meisterpropagandisten Jim Wilkinson, einem Mitstreiter des Bush-Vertrauten Karl Rove. Und er ist sozusagen die Folie für das, was dem toten Pat Tillman widerfahren sollte. Denn im April 2004 stand die Wiederwahl George Bushs an. Der Präsident konnte keine schlechten Nachrichten gebrauchen. Die ersten Bilder vom Foltergefängnis Abu Ghraib liefen durch die Medien und in Falludschah kam es zu verlustreichen Kämpfen. Da passte der Tod Tillmans durch den Beschuss der eigenen Kameraden nicht in die politische Landschaft.
Man braucht einen neuen Heroen, einen, der den Heldentod in einem Hinterhalt der Taliban gestorben war. Und so wird er posthum vom Pentagon zum Corporal befördert. Man verleiht ihm den "Silverstar", die dritthöchste militärische Auszeichnung. Krakauer bilanziert, nach Sichtung aller Dokumente nüchtern:
Die verfügbaren Indizien deuten darauf hin, dass das 75. Ranger-Regiment in eine raffinierte Verschwörung verwickelt war, die Pats Hinterbliebene bewusst täuschen sollte. Hochrangige Verantwortliche des Weißen Hauses und des Pentagons leisteten dieser Täuschung Vorschub.
Interne Memos über die genaue Sprachregelung zu Tillmans Tod gehen hinauf bis in das Büro des Präsidenten. Einer der ranghöchsten Pentagon-Offiziere, die dabei eine wenig rühmliche Rolle spielten, war übrigens General Stanley McChrystal, der heutige Oberkommandierende der NATO-Truppen in Afghanistan, der Obama um weitere 30.000 Soldaten gebeten hatte.
Am Ende aber lässt sich die Wahrheit nicht unterdrücken. Zu viele Kameraden Pat Tillmans wissen, was wirklich geschah. Und Tillmans Bruder, ebenfalls Ranger, deckt durch sein hartnäckiges Insistieren nach und nach die ganze Wahrheit auf.
Jon Krakauer hat in der besten Tradition des amerikanischen investigativen Journalismus eine akribische Studie darüber geschrieben, was Menschen bewegt, für höhere Ziele ihr Leben auf's Spiel zu setzen. Und wie Menschen dabei in das große Räderwerk der Politik geraten können. Es ist eine großartige Menschen- und Milieustudie der Präsidentschaft George W. Bush's. Am Ende zeigt sie vor allem eins: die banale Tragik oder den Clausewitz'schen "Nebel" des Krieges, der aber eins eben nicht verhindern kann: Die Wahrheit kommt früher oder später doch ans Tageslicht. Eine Lehre, die Verteidigungsminister zu Guttenberg im Fall Kunduz beherzigen sollte.
Das Buch von Jon Krakauer "Auf den Feldern der Ehre" ist bei Piper erschienen. Es hat 320 Seiten und kostet 19,90 Euro (ISBN: 978-3492052283). Christoph Birnbaum hat es für uns besprochen.