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Todesstrafe hautnah

Beklemmung, Abscheu und Ekel - aber auch voyeuristische Neugier und Faszination. Die Kunstausstellung "Verbrechen und Strafe" in Paris gibt Anlass zu Diskussion und Kritik, denn die Frage nach dem Warum dieser Ausstellung bleibt offen.

Von Björn Stüben |
    Da steht sie, "die Witwe", am Ende eines beinahe völlig abgedunkelten Ganges. Der schwarze Gaze-Schleier, der über sie gehängt wurde, will bedeuten, dass sie zurzeit nicht gebraucht wird. "Witwe" nannte man einst die Guillotine, die zwischen zwei Hinrichtungen mit einem schwarzen Schleier verhüllt aufbewahrt wurde. Nun fällt sie dem Besucher der frei nach Dostojewski mit "Schuld und Sühne" oder korrekter übersetzt mit "Verbrechen und Strafe" betitelten Ausstellung im Pariser Musée d‘Orsay am finsteren Ende des ersten Raumes sofort ins Auge. Ihre Konstruktion ist bekanntlich denkbar simpel, sie ist aus dunklem Holz und ihr metallenes Fallbeil funkelt jetzt im Licht eines Punktstrahlers. Diese Guillotine ist kein Museumsstück aus Revolutionszeiten. Sie stammt von 1872 und erfüllte ihren Dienst zum letzten Mal 1977. Vier Jahre später, 1981, wurde die Todesstrafe in Frankreich endgültig abgeschafft.

    Das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten" mahnt zum Auftakt der Schau auf schwarzem Grund. Und er hat es doch getan. Falguière stellt großformatig 1876 Kain dar, den schlaffen Körper seines Bruders Abel tragend. Ihn beugt dabei nicht nur das Gewicht des Toten, sondern vor allem die Last der Schuld. Bei Prud’hon verfolgen weibliche Allegorien der Gerechtigkeit und der Rache das Verbrechen, das sich in Gestalt eines Mannes vom Tatort eines Mordes davonschleicht. "Kain oder Hitler in der Hölle", 1944 von George Grosz gemalt, zeigt unmissverständlich den Diktator vor glutrotem Hintergrund auf Leichenbergen hockend. Und so sind es nicht nur die leuchtenden Katzenaugen des Luzifer, von Franz von Stuck 1890 bedrohlich in Szene gesetzt, die beim Besucher, der jetzt am Ende des ersten Saales vor der Guillotine angekommen ist, für Beklemmung sorgen. Beinahe amüsant wirkt Kubins kleinformatiges Bild "Stunde des Todes" von 1900.
    Zu sehen ist eine Uhr, deren Zeiger Säbel und Stundenziffern Köpfe darstellen, und so fallen Stunde um Stunde die Häupter. Victor Hugo hat eine schockierende, überwiegend schwarz gehaltene Gouache geschaffen, auf der nur ein abgetrennter Kopf hell aus dem Bildgrund auftaucht. Mit Blut steht auf den regennassen Pflastersteinen Justitia, Gerechtigkeit, geschrieben. Aus dem Atelier des Revolutionsmalers David stammt das berühmte Bild "Tod des Marat" von 1793. Die Mörderin zeigt David jedoch nicht, was die Dramatik der Szene verstärkt. Andere Maler geben Charlotte Corday hingegen ein Gesicht. Im folgenden Raum geht es romantisch zu, zumindest auf den ersten Blick. Eine junge Bäuerin scheint sich beim Maler Schnetz auf einer Lichtung zur Rast ausgestreckt zu haben. Erst von Nahem fallen die Blutflecke auf ihrer Brust ins Auge. Sie ist ermordet worden und der Täter macht sich im Hintergrund aus dem Staub.

    Meisterhaft setzt Goya einen Banditen ins Bild, der im nächsten Moment seinem weiblichen Opfer Gewalt antun wird. Düsterer Figuren der Hochkultur bedienen sich die Maler Füssli und Moreau, wenn sie in ihren Werken eine schlafwandelnde Lady Macbeth oder eine verruchte Messalina zeigen. Szenenwechsel: die Schau widmet sich anschließend dem Alltag des 19. Jahrhunderts. Die Tageszeitungen und die populären Groschenromane bilden das blutige Grauen einzelner Verbrechen drastisch in Zeichnungen ab. Später bedienen Fotografien von Tatorten den Voyeurismus.

    Gezeigt werden in der Schau auch die Wachsabgüsse der abgetrennten Köpfe von Serienmördern oder ihrer Hände, die die Taten ausführten. Sie stammen aus den Polizeipräfekturen der damaligen Zeit. Wo läßt sich im Gehirn des Verbrechers das Böse lokalisieren? Ende des 18. Jahrhunderts versuchte Gall mit seiner Phrenologie darauf Antworten zu geben. Noch Degas zeichnet die vermeintlich typischen Physiognomien von Verbrechern.

    Auch die Serien zum "Lustmörder" der Maler der Neuen Sachlichkeit fehlen in dieser Ausstellung nicht. Sie widmet sich gelungen der Faszination bildender Künstler, aber auch vermeintlicher Wissenschaftler für das Gewaltverbrechen und die Täter seit der Geburtsstunde der Guillotine während der Französischen Revolution. Dabei wird auch der Voyeurismus des breiten Publikums thematisiert, das Bestrafungen beiwohnte bei Massenhinrichtungen oder später seinen Sensationshunger durch die Tagespresse stillte.

    Doch die Frage nach dem WARUM dieser Ausstellung bleibt offen. Will sie ein Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe sein, die noch in vielen Staaten praktiziert wird?

    "Man kann der Todesstrafe gegenüber gleichgültig sein, solange man die Guillotine nicht mit eigenen Augen gesehen hat",

    wird Victor Hugo in der Schau zitiert. Sicher wird vielen Besuchern die "Witwe", die verschleierte Guillotine, länger in Erinnerung bleiben als die über 450 anderen Exponate, die eigentlich nur Beiwerk sind, grausige Illustrationen von Verbrechen und Strafe.