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Töten oder getötet werden

In Dänemark sorgt ein Buch für Aufsehen, von dem noch gar nicht feststeht, ob es überhaupt erscheinen darf: Darin berichtet der ehemalige Elitesoldat Thomas Rathsack über seine Zeit in Afghanistan. Doch nun hat eine Tageszeitung das Buch vorab veröffentlicht.

Marc-Christoph Wagner im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Das kann dem dänischen Verteidigungsminister natürlich nicht sehr recht sein, Marc-Christoph Wagner in Kopenhagen: Er versucht deshalb, das Buch gerichtlich verbieten zu lassen – mit welcher Begründung?

    Marc-Christoph Wagner: Stefan Koldehoff, er beruft sich auf die nationale Sicherheit und auf die Beziehungen Dänemarks zu anderen Staaten, mit denen man in Afghanistan kooperiert, und das sind ja nun sehr nebulöse Begriffe, die alles beinhalten und gar nichts. Das wird auch immer wieder kritisiert. Tøger Seidenfaden, der Chefredakteur der Tageszeitung "Politiken", sagt etwa, es könne ja nicht angehen, dass in einer Demokratie die Militärführung sagen könnte, welche Bücher erscheinen dürfen und welche nicht.

    Koldehoff: Und deswegen hat er reagiert und hat was sehr Spektakuläres getan: Sie konnten nämlich gestern das Buch, wie wahrscheinlich Millionen anderer Dänen auch, schon lesen.

    Wagner: Ja, Millionen nicht, die Tageszeitung "Politiken" erscheint in 114.000 Exemplaren. Aber genau, er hat es veröffentlicht, eben weil er gesagt hat, die dänische Öffentlichkeit hat ein Anrecht auf dieses Buch. Er wollte der Gerichtsverhandlung heute zuvorkommen. Und er sagt, gerade in Kriegszeiten ist es ganz wichtig, dass wir debütieren, was unsere Streitkräfte tun und was wir in Afghanistan tun.

    Koldehoff: Die Gerichtsverhandlung läuft noch. Dieser Chefredakteur, Herr Seidenfaden, wie geht es dem jetzt? Hat der sich damit strafbar gemacht?

    Wagner: Nein, das ist eine ... dieses Gerichtsverfahren, dass zur Stunde läuft, läuft gegen den Verlag. Man möchte erst mal eine einstweilige Verfügung erreichen, dass das Buch nicht erscheinen darf. "Politiken" hat das Buch abgedruckt ohne Erlaubnis des Verlages und muss sich da natürlich für stellen. Also, man beruft sich auf die Meinungsfreiheit, aber man sagt, man muss natürlich sozusagen die Konsequenz nehmen, der Verlag hat angekündigt, "Politiken", dagegen zu klagen. Also Sie sehen, hier ziehen alle gegen alle vor Gericht.

    Koldehoff: Das ist jetzt der urheberrechtliche Aspekt, aber wahrscheinlich muss der Verleger der Zeitung und auch der Chefredakteur doch, je nachdem, wie das Urteil ausfällt, auch damit rechnen, da noch mal Ärger mit dem Verteidigungsministerium zu bekommen, oder?

    Wagner: Die haben ihn auch bei der Polizei sozusagen gemeldet. Die hat gesagt, man muss sich das jetzt erst mal angucken, weil so einen Fall hat es noch nicht gegeben. Man wird dazu Stellung nehmen in der kommenden Woche. Man kann sagen, so der so: Das Buch polarisiert. Es ist sehr lustig, zu sehen, gerade in Dänemark, wir erinnern uns alle an den Karikaturenstreit, wo Dänemark sich ja zum Vorreiter der Meinungsfreiheit machte: Drei von vier Dänen finden es nicht richtig, dass "Politiken" das Buch veröffentlicht hat, also sie sind da sehr hörig der Armeeführung gegenüber. Und auch sehr interessant: "Jyllands-Posten", die Zeitung, die seinerzeit die Mohammed-Karikaturen veröffentlichte, hat sich heute in ihrem Leitartikel dafür ... sie hat "Politiken" kritisiert und hat gesagt, man müsse doch darauf hören, wenn der Staat Dänemark und die Militärführung sagt, da seien nationale Interessen im Spiel, darauf müsse man Rücksicht nehmen. Also, Sie sehen ganz interessante Verschiebungen, die es hier gibt.

    Koldehoff: Nun glauben wir ja alle, Herr Wagner, wahrscheinlich nicht ernsthaft, dass ein Buch einen Krieg, der noch nicht mal Krieg heißen darf, tatsächlich in irgendeiner Weise beeinflussen kann. Da wird ja wahrscheinlich niemand detaillierte Schachzüge ausbreiten, Strategien enthüllen und so weiter und so fort. Was steckt denn Ihrer Meinung nach tatsächlich dahinter?

    Wagner: Drei Sachen ganz kurz kann man, glaube ich, sagen: Es geht nicht um die Details, sondern um das Gesamtbild, kann man sagen, vielleicht wird da eine Denke vermittelt, ... aber ich habe das Buch gestern Abend in großen Teilen gelesen und kann eigentlich nicht, kann dieses Argument der Armeeführung da nicht nachvollziehen. Was sehr interessant ist, ist, dass das Buch nennt, dass zum Beispiel auch deutsche Spezialeinheiten seit 2002 in Afghanistan operieren, die KSK, die Bundeswehr hat ja auch diese Spezialeinheit. Vielleicht möchte man das nicht, dass das nicht an die Öffentlichkeit kommt. Und dann hat ein Experte hier auch gesagt, man möchte an diesem Thomas Rathsack ein Exempel statuieren – es geht gar nicht so sehr um das Buch, sondern darum, dass andere Elitesoldaten vielleicht folgen werden, andere Bücher schreiben werden und dann so eine Art von Konkurrenz entsteht, wer denn an diese Geheimhaltung sozusagen am dichtesten rankommt, sozusagen die würzigsten Geschichten vermitteln kann. Und dem möchte man vorbeugen und möchte an Thomas Rathsack ein Exempel statuieren.

    Koldehoff: Mit der Bitte um ein kurzes Beispiel Ihres prophetischen Könnens: Wie wird sich das Gericht verhalten, wie stehen Gerichte dem gegenüber, dem Einsatz in Afghanistan und konkret diesem Fall?

    Wagner: Wenn das Gericht heute nicht stattgibt, dieser Anfrage der Militärführung, dann verliert die Militärführung und auch der Verteidigungsminister hier ja völlig das Gesicht. Man kann sich vorstellen, dass man diese zwei Wochen – also, in zwei Wochen sollte das Buch erscheinen –, dass man das genehmigt, dass man am Ende vor einem wirklichen Gericht dann aber das fallen lässt und das Buch erscheinen darf. Ich denke, so wird es ausgehen.

    Koldehoff: Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Marc-Christoph Wagner war das, aus Kopenhagen, vielen Dank!