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Tonalität und Sounds aus einem Guss

Das Duo Chairlift aus Brooklyn wurde mit ihrem Song "Bruises" 2008 über eine MP3-Player-Werbung berühmt. Nach dem Debütalbum folgt nun das zweite Werk "Something", bei dem Caroline Polachek und Patrick Wemberly Synthesizer-Sounds auf unkonventionelle Weise eingesetzt werden.

Von Christian Lehner |
    "Ich könnte diesen Song kein zweites Mal schreiben,"

    sagt Caroline Polachek über "Bruises", den Hit aus der Werbung.

    "Dass damit nicht alle klarkommen, ist nicht unser Problem. Es ist eines der Geschmackspolizei. Was etwas nervt, ist, dass wir ständig danach gefragt werden."

    Keine Blessuren, keine überlangen Schatten, bloß lästige Reporter. Caroline Polachek und ihr Partner Patrick Wimberly interessieren sich nicht für die Nachwirkungen ihrer Hits. Man freut sich über die Aufmerksamkeit. Man freut sich über das Zusatzeinkommen. Aber viel spannender ist doch das nächste Ding. Das zu Erreichende. Das Abenteuer, das Pop immer noch sein kann.

    "Wir machen Popmusik, die nicht Mainstream ist, das heißt wir wollen nicht der aktuellen Konvention entsprechen, aber wir bewegen uns sehr wohl innerhalb der Parameter von Pop, innerhalb dessen was das Ohr als Popmusik empfindet", so Polachek. "Es ist die Popmusik einer imaginären Welt. Etwas, das wir selbst gerne im Radio hören würden, das dort aber nicht gespielt wird"."

    Chairlift nehmen Pop ernst, ohne daraus eine akademische Disziplin zu machen. Darin liegt ihre Stärke. Das hat sie zu einer der wichtigsten Bands der Musikszene von Brooklyn gemacht. Jetzt halten sie Hof in einem Café im Herzen des Kreativviertels. Sie, Caroline Polachek die Schöne, die Bewunderte, die eindeutig das Sagen hat, er, Patrick Wemberly, der Schweigsame, der Mann fürs Instrumentarium, der sich in diesem Moment wohl in sein Tonstudio sehnt.

    So wie der Rest der Welt, liegt auch Brooklyn im Retrofieber. Legionen von Kunststudenten arbeiten sich an den 80er-Jahren ab. Sie versuchen, vor allem die coole Distanziertheit des Post Punk und New Wave wiederauferstehen zu lassen. Depeche Mode, The Cure oder The Human League werden als unnahbare Gestalten aus dem Trockennebel gedeutet. Chairlift gehen hingegen, gehen den umgekehrten, den mutigeren Weg: Synthesizersounds und Drum-Computer werden auf ihren expressiven Gehalt geprüft und häufig gegen die Gebrauchsanweisung gespielt.

    ""Es gibt so viele Synth-Bands im Moment und alle werden sie mit dem Label "80er-Jahr Pop" versehen. So auch wir. Manchmal frage ich mich, wie man die Musik unserer Zeit wohl in 20 Jahren bezeichnen wird", so Polachek. "Am neuen Album habe ich nun versucht, das Synthesizer-Spiel etwas voranzutreiben. Ich liebe Gitarren-Melodien aus den 70er-Jahren. Robert Fripp von King Crimson ist zum Beispiel ein großes Vorbild. Da ich aber die Gitarre nicht beherrsche, versuche ich diese Stimmung mithilfe meiner Synthesizer zu kreieren."

    "Something" ist der Name des zweiten Chairlift Albums. Glich das Debüt vor drei Jahren noch eher einer Versuchsanordnung, sind die neuen Stücke in Sachen Tonalität und Sounds wie aus einem Guss. Die Balance zwischen Experimentierfreude und Durchhörbarkeit lässt die seltsamsten Melodiefolgen und Arrangements wie vertraut erklingen.

    ""Das Album sollte leicht und flockig anmuten, sodass ein 14-jähriges Kid dazu im Kinderzimmer auf und abhüpfen kann", so Polachek. "Aber es sollte auch vielschichtig werden und physisch richtig spürbar, wie eine Skulptur über deren Oberfläche man mit der Hand streichen kann. Unser Produzent, Dan Carey, war uns dabei sehr behilflich. Er polierte nicht bloß die Demos etwas auf. Er hat sich jeden einzelnen Sound vorgenommen und ihm Farbe und Raum verliehen"."

    "Something" ist ein Album, das nicht nur durch exzellentes Songwriting und eine ausgeklügelte Produktion beeindruckt. Es traut sich auch ganz schön was: Caroline Polachek und Patrick Wimberly wagen sich nämlich bis an die käsigsten Ränder der 80er-Jahre vor. Dorthin wo zurecht in Vergessenheit geratene Bands wie T‘Pau oder Haircut 100 mit voluminöser Haarpracht und riesen Schulterpolstern herrschten. Die Ballade "Cool As Fire" erinnert zum Beispiel an billige Studiodeko aus der Hitparadensendung, an Dieter Thomas Heck und Play-back-Auftritte.

    Doch Chairlift schaffen das Kunststück, dieser längst er- und vergrauten Musik ein Stück Würde zurückzugeben. Im Gegensatz zur Popmassenware der 80er stimmt hier einfach alles: das Talent, das Songwriting, die Inszenierung und das Herz. Die Schöne und der Schweigsame sind sichtlich stolz auf ihr neues Album. Können sie auch ruhig. Mit "Something" haben sie eine Lücke geschlossen. Und vielleicht kann man ja jetzt endgültig einen Schlussstrich unter das ewige 80er-Jahre Revival ziehen.