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Top secret: Geheimsprachen und stille Post

Verschlüsselte Nachrichten am Ende des Mittelalters sollten die Position des Gegners verraten oder über den Gesundheitszustand der Braut informieren. Über die pikanten chiffrierten Details tauschten sich Philologen, Historiker und Informatiker in Gotha auf Schloss Friedenstein aus.

Von Christian Forberg |
    Unter den Sammlungen von Schloss Friedenstein befindet sich die Forschungsbibliothek mit Hundertausenden von Bänden, darunter einige Jahrhunderte alte Drucke, die in die Geheimnisse der Kryptologie und Kryptografie einführen, in das Verschlüsseln schriftlicher Mitteilungen. Doch nicht ihretwegen waren Forscher aus Europa nach Gotha gereist, zumal Experten ein Vielfaches davon erforscht haben und auch besitzen. Filippo Sinagra aus dem venezianischen Mestre gab etwa 600 derartige Schriften als sein Eigen an.

    Überhaupt waren es die Italiener, die ausgangs des Mittelalters wieder Bewegung in eine alte Kulturtechnik brachten. Das lag sowohl an der Konkurrenz der italienischen Stadtstaaten untereinander als auch am mächtigen Vatikan.

    "Im Vatikan beginnt die Chiffrierung schon um 1340 bis '50. Da sind die Deutschen ja noch im Wald."

    Gerhard F. Strasser, emeritierter Philologieprofessor, gibt damit die herablassende Meinung der Italiener wieder, die aber durchaus zutreffe.

    "In Nürnberg habe ich einen Beispielfall. Da wird mit Vogelnamen chiffriert. Da wird ein Bericht geschrieben, wo es heißt: Der Truthahn balzt. Das ist vereinbart und heißt: Die Schweden rücken an, so in dieser Richtung. Ganze Chiffrensammlungen werden mit Vogelnamen belegt. Und das klingt recht lustig. Die Nürnberger arbeiten mit Vogelnamen, während in Rom schon was ganz anderes gemacht wird."

    So stammen sowohl die Chiffrierscheibe wie auch die Ablösung von Buchstaben, Silben und Wörtern durch Zahlen von Italienern. Der wichtigste deutsche Kryptograf um 1500 ist für Gerhard Strasser Johannes Trithemius, Mönch und Gelehrter, Büchersammler und Bücherschreiber.
    "Erfinder, wenn man so will, einiger kryptografischer Methoden, die bis dahin noch nicht bekannt waren. Und zweifelsohne die "Polygraphiae", die Vielschreibekunst, die er in einigen seiner Bücher sehr praktisch ummünzt."

    So dienten ihm lange Gebete zur Verschlüsselung: Deren Phrasen ergaben für den Besitzer des Codes den eigentlichen Sinn. Mit Trithemius wurde ein weiterer Zweig der Kryptologie aufgewertet: die Steganografie, das Verbergen von Informationen in einem offenen Text oder auch Bild. So stellten in Landschaftsstichen die Äpfel am Baum, die Sterne am Himmel und die Augen von Menschen und Tieren Buchstaben dar, die über Alphabettabellen ausgelesen wurden.

    Gut ein Jahrhundert nach Trithemius lebte ein anderer deutscher Geistlicher und Universalgelehrter: Athanasius Kircher. Zu seinen Werken zählt die 1663 veröffentlichte "Polygraphia nova". In ihr kreiert er eine Sprache, die in der ganzen Welt verstanden werden sollte. Was aber misslang, sagt Gerhard Strasser:

    "Man kann mit 1203 Worten nicht gut arbeiten. Aber sekundär kommen im zweiten und dritten Teil der Polygraphia ja die kryptografischen Methoden. Und die sind hervorragend."

    Was auch Herzog August zu Braunschweig-Lüneburg, ein vielseitig interessierter Herrscher, anerkennt. Er notiert in sein Exemplar von Kirchers "Polygraphia nova":

    "'Habe dies im Alter von 84 Jahren bei Licht abends um 9:30 Uhr gelesen.' Er geht sofort auf den kryptografischen Teil ein. Und stellt dann Kircher prompt Fragen."

    Herzog August übte sich auch selbst im Chiffrieren, was unter den Herrschern eher die Ausnahme als die Regel war. Gab es zunächst Sekretäre, die das nebenher erledigten, entstanden peu à peu ganze Abteilungen, wie Professor Leopold Auer anhand des Wiener Hofes darlegte. Eine Spirale habe sich in Gang gesetzt, die sich bis heute drehe. Nach oben, versteht sich.

    Nicht in Wolfenbüttel oder Wien, sondern in Dresden lag der Ausgangspunkt für die Tagung, erklärt Martin Mulsow, Professor an der Uni Erfurt und Chef des Gothaer Forschungszentrums:

    "Wir haben am Forschungszentrum ein Graduiertenkolleg, das heißt 'Untergrundforschung'. Die Idee davon ist, dass in verschiedenen Disziplinen religiöse Dissenter und philosophische Freidenker, aber auch Spionage und alle möglichen Formen von Sich-Verstecken gemeinsam wahrgenommen werden. Und Anne war eine von den Postdoktoranden, die sich da beworben haben und so verschiedene Ideen hatte."
    Anne, das meint die Historikerin Anne-Simone Rous, die Organisatorin der Tagung. Während ihrer Promotion über die Heiratspolitik der Wettiner stieß sie in Dresden auf Chiffrenlisten.

    "Man hat immer versucht, dass die Höfe solche Verbindungen möglichst lange geheim halten, damit, falls es doch noch scheitern sollte, nicht irgendjemand sein Gesicht verliert. In der Heiratspolitik war es von Nutzen, dass man vor dem Gegner diese Verbindungen noch geheim hält oder eben auch transportiert, ob die Prinzessin schon 'geblattert' ist, also schon Blattern hatte, ob sie gebärfähig ist, ob sie krank oder gesund ist. Solche Nachrichten wurden in den Fließtext chiffriert. Das waren aber nur kleine Bestandteile."

    Während dessen gewichtigere Themen auch einen größeren verschlüsselten Anteil erhielten. So auch 1547 während des Schmalkaldischen Krieges, als die protestantischen Sachsen gegen den katholischen Kaiser kämpften. Elisabeth von Rochlitz sandte 16 chiffrierte Schreiben an ihren Kurfürsten, in denen sie die Truppenstärke und Positionen des Gegners meldete.

    "Und als sie vor der drohenden Kriegsfront fliehen musste, ist dieses Nachrichtennetz zusammengebrochen. Der Kurfürst wusste nicht mehr, wo sein Gegner stand und hat nicht zuletzt deswegen diesen Krieg verloren, musste kapitulieren und die Kurwürde verlieren."

    Dass die Forschung an verschlüsselten Dokumenten oft verschiedene Experten einschließt, machte Christiane Schaefer von der schwedischen Universität Upsala deutlich. Die Philologin hatte die Kopie einer mehr als 100 Seiten starken Handschrift aus dem 18. Jahrhundert erhalten. Auf diesen "Codex Copiale" konnte sie sich aber keinen Reim machen; der Text war chiffriert. Da kam ihr ein amerikanischer Computerlinguist zu Hilfe, der hinter das Prinzip der Verschlüsselung kam. Er notierte zum Beispiel den Satz: "Ben ehre und gewissle fren behenle honle". Was keinen Sinn ergibt.

    "Der Kollege konnte überhaupt kein Deutsch und hat auch als Vergleichsmaterial im Grund nur Hochdeutsch zur Verfügung gehabt. Ich arbeite mit Handschriften und bin gewöhnt, aus wenig Material möglichst viel Information zu ziehen. Dann kommt die deutsche Sprachkompetenz hinzu. Und so konnte ich das ausfüllen."

    Was zu dem Satz führte: "Bei Ehre und Gewissen frei bekennen könne." Am Ende war es klar, dass es sich um den Initiationsritus einer Geheimorganisation handelte, um Okulisten. Eine verfängliche Formulierung, musste Christiane Schaefer feststellen, denn jeder vermutete sofort Okkultisten dahinter.

    "Das hat nichts mit okkult zu tun, sondern mit Oculus, das Auge. Die haben sich in ihrem offiziellen Programm den Anstrich gegeben, die Augenheilkunde zu fördern, Menschen sehend zu machen. Die schreiben so ein bisschen ironisch über die Gründung der Freimaurerloge und beklagen, dass in dieser Loge die Frauen nicht zugelassen werden. Und sie haben jetzt eine eigene Gründung; da sind aber Frauen mit dabei."