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Totgeglaubte liegen länger ...

30 Jahre alte Unterseetelefonkabel helfen Geophysikern bei ihrer Forschung. Über die von Telefonfirmen ausgemusterten Kabel werden Messinstrumente am Meeresgrund mit Strom versorgt. In die andere Richtung fließen Messergebnisse aus der Tiefsee direkt an den Schreibtisch der Forscher.

    von Volker Mrasek

    Es ist zwei Zentimeter breit, sitzt nach 30 Jahren noch immer auf dem Meeresboden und hat 5000 Meter Wasser über sich?

    Man könnte glatt eine Quiz-Frage hinter dem vermuten, was Rhett Butler da schildert. Der US-Geophysiker spricht nicht von phlegmatischen Tiefsee-Tieren. Sondern - von daumendicken Telefonkabeln, die quer durch den Pazifik und Atlantik verlaufen, unsichtbar auf dem Meeresgrund, über Tausende von Kilometern ...

    AT&T und andere Telekommunikations-Konzerne in den USA und in Europa nehmen gerade die zweite Generation von Seekabeln außer Dienst. Sie stammen aus den späten 80er und frühen 90er Jahren. Es waren die ersten Glasfaser-Kabel. Sie bieten eine enorme Bandbreite für die digitale Daten-Übertragung.

    Dennoch sind diese transatlantischen und transpazifischen Telefon-Kabel jetzt reif für die Rente - nach kaum einmal 15 Jahren. Das Internet-Zeitalter erfordert enorme Kapazitäten für den Daten-Transfer. Dieser Bedarf muss gedeckt werden. Das geschieht mit immer leistungsfähigeren Glasfaser-Kabeln. Die heute verlegten optischen Leiter übertragen ‘zig Millionen Telefongespräche gleichzeitig - gut und gerne 100mal mehr als die Glasfaser-Kabel der ersten Generation.

    Die sind nun strenggenommen Schrott. Doch nicht für Rhett Butler. Der Geophysiker möchte die Übersee-Leitungen erhalten. Und zwar für die Wissenschaft. Daraus sollten Tiefsee-Observatorien werden, wie Butler sagt:

    Das Kabel als solches erlaubt uns keine Messungen. Aber es gewährleistet den Daten-Transfer. Und es liefert uns Strom auf den Meeresboden. An das Kabel können wir nun eine Verbindungsbox anschließen. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine wasserfeste Steckdosen-Leiste in der Tiefsee. Und da kann man dann einfach seine Messinstrumente einstöpseln.

    Butler ist der Programm-Manager des Globalen Seismographischen Netzwerks mit rund 130 Erdbeben-Messstationen weltweit.

    Der Mann redet keinen Unfug. Im Gegenteil: Zwei Tiefsee-Observatorien arbeiten bereits: eines vor Japan, das andere in der Nähe von Hawaii. Dort wurden tatsächlich Steckdosen auf dem Meeresboden platziert, gespeist von ausgemusterten, aber am Netz gebliebenen Telefonkabeln. Die Forscher bekamen sie geschenkt ...

    Wir sind mit dem Schiff ‘rausgefahren und haben einen ferngesteuerten Tauchroboter abgelassen. Es war derselbe, der die "Titanic" aufspürte. Der Roboter fand das Kabel und durchtrennte es mit seinem automatischen Greif-Arm. Wir haben es dann an Bord geholt, mit der Anschluss-Box bestückt und es wieder in die Tiefe geschickt. Dort existiert nun eine seismologische Station und liefert ständig aktuelle Daten vom Meeresgrund.

    Auch Hydrophone hängen an der Tiefsee-Leitung vor Hawaii. Damit lässt sich Unterwasser-Schall einfangen. Als nächstes folgen sollen ein Sensor für Magnetfeldmessungen und eine Kamera, die das Leben am Meeresboden filmt.

    Der Reiz der Tiefsee-Messstationen liegt in ihren abgelegenen Standorten. Weite Bereiche des Ozeans sind bisher wissenschaftliches Niemandsland. Diese Lücke könnte ein Netzwerk von Seekabel-Observatorien schließen, wie Butler es sich vorstellt. Damit bekäme man kontinuierliche Messdaten auch aus den großen Wasser-Wüsten.

    Butlers Pläne bekommen jetzt allerdings einen großen Dämpfer. Im Atlantik werden in den nächsten Monaten gleich vier Glasfaser-Kabelstränge stillgelegt. Einer davon verbindet Deutschland mit Nordamerika. Doch anders als AT&T in den USA weigerten sich die europäischen Konzerne, ihre Alt-Leitungen der Wissenschaft zu überlassen - auf Haftungsgründen, so Butler.

    Gerade deshalb sei er nach Nizza gekommen - um auch hier Unterstützung zu finden:

    Ich hoffe, dass auch Europas Forscher die Chancen der Tiefsee-Observatorien erkennen und auf die Konzerne einwirken. Das ist auf jeden Fall nötig.