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Trainee im besten Alter

Für Akademiker, die vom Arbeitsleben eine längere Familienpause gemacht haben, sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt schwierig. Der Leverkusener Chemiekonzern Lanxess umwirbt diese Gruppe mit einem Traineeprogramm für Männer und vor allem Frauen, die mindestens sieben Jahren aus dem Job ausgestiegen sind.

Von Sandra Pfister | 05.03.2013
    Leverkusen-Uerdingen; das Baustofftechnikum der Chemiefirma Lanxess liegt in einem rostroten alten Bayer-Werk direkt am Rhein. Ein älterer Kollege im Blaumann führt Erika Lipfert, 49, lange, blonde Haare, schicker blauer Hosenanzug, durch die großen Hallen, in denen Farbpigmente zusammengerührt werden – dabei wird es oft ganz schön laut. Erika Lipfert, die seit zehn Jahren nicht mehr gearbeitet hat, soll diese Pigmente in Zukunft noch besser vermarkten – aber erst mal muss sie von der Pike auf lernen. Ihr ungewöhnlicher Titel lautet: Senior Trainee.

    "Ja, mein erster Eindruck war, als ich herkam und sagte: Ich bin der Trainee! Sagt er: Sie sind ja keine 20 mehr! Nein, das bin ich auch nicht mehr, ich bin der Senior Trainee. Aber klar muss ich einiges lernen hier."

    Die gebürtige Schwedin hat in den vergangenen zehn Jahren als erfolgreiche Familienunternehmerin gearbeitet, wie man so schön sagt: als Hausfrau mit drei Kindern und ebenso vielen Ehrenämtern. Als ihre jüngste Tochter zehn war, wollte sie wieder zurück in den Job – schließlich hatte sie vorher 16 Jahre bei großen Unternehmen wie AT Kearney und McKinsey Marktanalysen erstellt.

    "Dachte ich, jetzt wird man mich mit Handkuss nehmen, mit meiner Berufserfahrung, mit meinen Zeugnissen, aber nein, ich war einfach so lange raus, ich bringe es nicht mehr."

    Zu lange draußen war auch Hannah Schmidt. Die schlanke, blonde 57-Jährige sitzt, wie Erika Lipfert auch, erst seit zweieinhalb Monaten wieder im Business-Kostüm am Schreibtisch; 20 Jahre nach ihrer ersten Karriere im Marketing einer internationalen Kosmetikfirma, ständig unterwegs zwischen Düsseldorf und New York. Kurz vor ihrem Wechsel nach London wurde sie schwanger.

    "Es war zu diesem Zeitpunkt einfach ein Karrierebruch. Da hieß es einfach: Entweder ist es dieser Move nach London, oder Sie lassen es sein. Ja, gut, dann habe ich mich dafür entschieden, und hab einfach die Flughäfen dieser Welt und die Lounges gegen die Spielplätze ausgetauscht und den Schreibtisch mit dem Kinderwagen vertauscht."

    Und mit einem Vollzeit-Pflegejob. Denn wenig später erkrankte zudem ihre Mutter ihre Mutter an Demenz. Erst mit über 50 war sie wieder frei für eine reguläre Stelle. Aber welcher Arbeitgeber sucht Über-50-Jährige, die jahrelang zuhause geblieben sind? Keiner, darüber machte sie sich keine Illusionen. Bis sie im Juni die Anzeige von Lanxess in der Zeitung fand.

    "Mindestanforderung 7-jährige Familienpause. Unser Mindestanforderungskriterium war eine siebenjährige Familienpause, ganz hart, das sind üblicherweise die Personen, die dann sich kaum mehr trauen, sich irgendwo zu bewerben, mit den auf dem Arbeitsmarkt sehr geringen Chancen."

    Gudrun Ihling hat das Programm in der Personalabteilung von Lanxess konzipiert. Sie suchte vor allem studierte Ökonominnen, Chemikerinnen und Ingenieurinnen – und fand unter 170 Bewerbern 13 zupackende, lebenserfahrene, hoch qualifizierte Frauen. Und einen Mann, der drei Kinder groß gezogen hat, 16 Jahre lang.

    "Vorbilder gab’s keine, wir sind mit diesem Programm einzigartig. Wir haben das als erstes großes Industrieunternehmen gestartet, insofern hatten wir natürlich jetzt auch ein ganz großes Risiko."

    Zwar läuft das Programm erst wenige Wochen, doch wenn es nach der Personalerin geht, sollen die Trainees nach 18 Monaten übernommen und nicht wesentlich schlechter bezahlt werden als ihre Kollegen - wenn sie die Erwartungen erfüllen.

    Erika Lipferts zehnjährige Tochter ist am Telefon. Sie wartet zu Hause auf den "neuen" Familienmanager, Erika Lipferts Mann.

    Der aber musste kurzfristig in die Firma. Damit Erika Lipfert es trotzdem schafft, Vollzeit zu arbeiten, hat sie einen Vertrag mit einem Taxiunternehmen abgeschlossen, das die drei Kinder zu festen Zeiten zur Musikschule, zur Nachhilfe oder zum Sport bringt, während sie im fachlichen Training und mit Coaching und Mentoring fit gemacht wird für ihren neuen Job. Der hat jetzt oberste Priorität. Hannah Schmidt sieht das genau so – schließlich legt sie in einem Alter, wo andere übers Aufhören nachdenken, erst wieder richtig los.

    "Ich habe mit Schrecken gehört jetzt von einem Politiker, dass er darüber nachdenkt, wenn er an die Regierung kommt, dass er darüber nachdenkt, das Rentenalter wieder zurückzunehmen, und ich war entsetzt darüber, weil ich dachte: Der kann mir doch nicht zwei nicht zwei Jahre meines Arbeitslebens wegnehmen, die ich noch arbeiten möchte, also so rum kann man auch denken, ja. "