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Trinkfeste Dschungelbewohner

Biologie. - Auch Tiere wissen mitunter einen guten Tropfen zu schätzen, greifen manche doch etwa gerne zu vergorenen Beeren und ähnlichem. Entsprechend bleiben die Folgen nicht aus. Allerdings, so fanden Biologen von der Universität Bayreuth heraus, gibt es auch ziemlich trinkfeste Naturen, so etwa im malaiischen Regenwald. Der Biologe Frank Wiens berichtet über die Entdeckung im Gespräch mit Ralf Krauter.

    Ralf Krauter: Herr Wiens, wie kamen Sie überhaupt darauf, sich mit dem Alkoholkonsum der Spitzhörnchen zu beschäftigen?

    Frank Wiens: Wir sind da eigentlich drauf gestoßen durch einen Zufall. Wir sind dabei gewesen, die Nahrung und das natürliche Verhalten von zwei Arten in Malaysia im Regenwald zu untersuchen. Und dabei ging es um das Federschwanz-Spitzhörnchen. Das hat hauptsächlich meine Kollegin Annette Zitzmann untersucht, und ich habe mich eigentlich auf einen nachtaktiven Halbaffen spezialisiert. Wir hatten beide die Tiere mit Radiohalsbändern versehen und sind denen zu Fuß im natürlichen Habitat gefolgt.

    Krauter: Das heißt, die hatten Funksender umhängen, so dass Sie sie leicht verfolgen konnten. Was genau fressen die Tiere?

    Wiens: Wir haben herausgefunden, dass sie hauptsächlich den Blütennektar einer Palme fressen.

    Krauter: Und dieser Blütennektar hat es aber in sich.

    Wiens: Ja, wir haben herausgefunden, dass der Nektar einen Alkoholgehalt von bis zu 3,8 Prozent hat, also wie ein schwaches Bier. Und der riecht auch sehr stark, die Blütenstände kann man schon aus relativ großer Entfernung riechen. Und offensichtlich finden die Tiere das attraktiv.

    Krauter: Die Tiere fressen reichlich davon. Wie würde es denn einem Menschen ergehen, der sich einer ähnlichen Diät hingeben würde, dauerhaft?

    Wiens: Wir haben berechnet, dass das Federschwanz-Spitzhörnchen ungefähr jede dritte Nacht eigentlich betrunken sein müsste.

    Krauter: Wie würde sich das äußern bei den Tieren, würden die nicht mehr geradeaus auf dem Baum laufen?

    Wiens: Wie das aussehen würde, wenn die betrunken sind, das wissen wir ja gar nicht, weil wir haben sie nie betrunken erlebt. Aber wir haben berechnen können aus der Menge von Nektar und aus dem Alkoholgehalt des Nektars, wie viel die aufnehmen, wie viel sie an Menge trinken. Und das müsste, wenn die einen ähnlichen Stoffwechsel hätten wie der Mensch, sie eigentlich betrunken machen, regelmäßig. Aber ganz offensichtlich haben sie eben einen Stoffwechsel, der ein bisschen anders ist als unserer.

    Krauter: Das heißt, die stecken diesen regelmäßigen Alkoholkonsum weg, ohne mit der Wimper zu zucken?

    Wiens: So kann man das fast sagen. Also die scheinen einen effektiveren Weg zu haben, um den Alkohol zu entgiften. Das heißt aber noch lange nicht, dass die keinen Effekt von Alkohol haben.

    Krauter: Es ist nur kein äußerlich sichtbarer Effekt, der also Verhaltensänderungen bewirken würde?

    Wiens: Was man ausschließen kann, ist, dass die sehr stark so in ihren generellen Bewegungen beeinträchtigt sind durch den Alkohol. Da haben wir absolut keinen Hinweis darauf gefunden. Es kann aber sicher sein, dass es viel unauffälligere Effekte gibt und die könnten durchaus dafür verantwortlich sein, dass das überhaupt stattfindet, also dass die Palme alkoholischen Nektar produziert und dass die Tiere da auch so gerne daran naschen.

    Krauter: Weil der alkoholische Nektar anziehend riecht?

    Wiens: Ja, das könnte einmal besser wahrgenommen werden oder sie könnten das schneller lernen oder weniger schnell verlernen, wo eine gute Futterquelle ist. Es könnte andere Effekte haben, denken Sie nur an die Effekte, die Alkohol auf Sie selbst hat: möglicherweise sind die Tiere auch entspannter. Und es könnte durchaus dazu beitragen, dass sich das vermutlich über viele Generationen oder gar Millionen von Generationen gehalten hat.

    Krauter: Was verrät das denn alles über den Menschen? Indirekt sind wir ja auch mit diesen Tieren verwandt.

    Wiens: Ja, genau, wir sind also mit denen deutlich näher verwandt als wir das mit Mäusen oder Ratten sind, oder mit vielen anderen Säugetieren. Die Spitzhörnchen sind nahe Verwandte der Primaten. Was besonders an denen ist, die ähneln in ihrer allgemeinen Erscheinung und eben vielleicht auch in ihrer Ökologie dem hypothetischen Vorfahren aller Primaten oder dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Spitzhörnchen und Primaten. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Palme auch etwas ganz Urtümliches darstellt und vielleicht auch schon Alkohol produziert hat, als diese Vorfahren gelebt haben. Das würde bedeuten, dass tatsächlich in unserer fernen Verwandtschaft, in unserer fernen Vergangenheit Alkohol schon einmal eine Rolle gespielt hat in der Evolution.

    Krauter: Werden Sie wieder zurückgehen in den Regenwald, um genauer hinzuschauen bei den Spitzhörnchen?

    Wiens: Auf jeden Fall, das ist jetzt eine sehr gute Gelegenheit, um mehr über die Ursachen und Wirkungen von Alkoholgenuss in einer natürlichen Umwelt zu lernen.