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"Tristan und Isolde" ist mehr als achtbar in Mainz zu sehen

Den historischen Hintergrund der Tristan-Sage in der von Richard Wagner kolportierten Form bilden die Versuche im Mittelalter, Irland von englischem Territorium aus zu unterwerfen oder wenigstens tributpflichtig zu machen. In diesem Kontext ist der Abwehrkampf von Morold zu sehen, dem Verlobten der Prinzessin Isolde, der gegen die vom Held Tristan kommandierten Invasionstruppen des Königs Marke geführt wird.

Von Frieder Reininghaus |
    Die Mainzer Inszenierung von Tilman Knabe, optisch ausgerüstet durch Beatrix von Pilgrim und Kathi Maurer, verschiebt die aus einer nebligen Zone der Geschichte stammende Story nicht in das Niemandsland einer abstrakten Versuchsanordnung, sondern zeigt zunächst, ganz im Sinne des Dichterkomponisten Wagner, kriegerische Seefahrt und die Innenansicht eines der ihr dienlichen Fahrzeuge: Auf dem Zwischendeck einer modernen Fregatte wird Isolde in einer Kabine unter Verschluss gehalten. Von einem Mannschaftsraum aus sehen sich Marineoffiziere das auf einem Screen an, was die Überwachungskamera im Verlies aufzeichnet. Nachdem Isolde den Kommandeur Tristan wegen der Tötung Morolds zur Rede stellen und zum gemeinsamen Selbstmord überreden konnte, ist – abweichend von Wagners Handlungskonzept – sie es, die den Todestrank austauscht. Vermutlich gegen Leitungswasser. Das Entbrennen in Liebe und Lust nimmt kraft der dem Alphamännchen und der Superfrau innewohnenden Triebstruktur seinen Lauf. Regisseur Knabe gab dem ersten "Tristan"-Akt eine operettenhafte Wende.

    Im zweiten Aufzug wird es dann ernst: König Marke, optisch nach besten Kräften einem unlängst abgetauchten nordafrikanischen Despoten angenähert, hält im Festsaal seiner Residenz eine kurze Ansprache, bevor er mit seiner Meute zur Jagd aufbricht. In dieser ungastlichen Atmosphäre kommt es zum neuerlichen Liebesakt, der allerdings mit einer Pantomime zur Frauenfrage in einem muslimisch ausgerichteten Land aufgelockert wird: Da werden verschleierte Frauen erschossen. Die Statistinnen erstehen allerdings bald wieder auf und vervielfältigen mit einem Kopiergerät frauenemanzipative Botschaften. König Marke, der Tristan und Isolde in flagranti erwischt, zeigt in Knabes Lesart der Tragödie kein Verständnis für den "treulos treuesten Freund", sondern nur Häme und ein wenig körperliche Gewalt mit einem Messer. Bevor er durch einen Schuss verletzt wird, gelingt es Tristan, des Königs allerallergetreuesten Melot mit dem kurzfristig außer Acht gelassenen Messer als Geisel zu nehmen. Die folgende Befreiungsaktion führt dann zu einer heftigen Schießerei, die von Wagner ebenfalls nicht vorgesehen wurde.

    Bevor die Produktion aus dem Ruder lief, sorgte ein starkes stilles Theaterbild für einen Kontrapunkt: Der auf den Tod verwundete Tristan wird in seiner "Burg" medizinisch notdürftig versorgt und das lange Warten auf die einzig kompetente Ärztin hebt an: Zu sehen ist ein geschlagener Trupp bewaffneter Maghrebiner hinter den in der Fensteröffnung aufgehäuften Sandsäcken – in einem ramponierten Zufluchtsraum.
    Im tagesaktuellen Bild des Unterstands könnte es mit Tristan und Isolde auf überzeugende Weise zu Ende gehen. Denn gesungen wird von den Protagonisten, die alle aus dem Mainzer Ensemble stammen, kompetent: Patricia Roach erweist sich als spursichere Brangäne, Heikki Kipeläinen als glaubhafter Kriegsgefolgsmann Kurwenal. Ruth Staffa sorgt in der Höhe für etwas viel Druck (so laut ist das Orchester unter Hermann Bäumer dann auch wieder nicht und das Haus ja nicht allzu groß); insgesamt aber meistert diese hochdramatische Sopranistin die riesige Herausforderung der Isolde-Partie gut – und Alexander Spemann schlägt sich als Tristan auch mehr als achtbar. Die beiden übertreffen so manches, was an weit größeren Häusern zu Gehör kommt.