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Trötende Abflussrohre und schwebende Kakaokörnchen

Physik. - Die Alarmglocken der PISA-Studie klingen den Verantwortlichen noch immer in den Ohren: Um Lesen und Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften ist es in deutschen Klassenzimmern miserabel bestellt. Ein besonderes Sorgenkind ist dabei der Physikunterricht. Wie der auf den ersten Eindruck dröge anmutende Stoff effektiver und attraktiver gestaltet werden kann, untersucht eine Initiative europäischer Forschungsorganisationen. Unter dem Motto "Physics on Stage" fand im niederländischen Noordwijk in dieser Woche das zweite europäische Physikfestival statt. Noch bis morgen können Lehrer und Didaktiker aus 22 Ländern ihre Ideen für einen innovativen und spannenden Physikunterricht einbringen.

    Es klingt ein wenig nach dem Nebelhorn eines Fischkutters, dennoch würde kein Fischer sein Vehikel damit verunzieren. Miguel Cavadariso bläst in ein simples Abflussrohr aus grauem PVC, an einem Ende offen, das andere mit einem Fetzen Latexgummi abgedichtet. Ein denkbar einfaches Musikinstrument, erklärt der Spanier von der Universität Granada: "Ein Musikinstrument besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Ein Teil, etwa eine Membran, kann schwingen. Das andere ist ein Hohlraum, der die Resonanzen erzeugt. Bei uns dient das Rohr als Resonanzkörper und das Latexgummi als Membran. Bläst man in das Rohr hinein, so bringt man die Membran zum Schwingen, und im Rohr bildet sich eine stehende Welle aus." Ohne die PISA-geprüften Schüler gleich mit abstrakten Formeln zu schocken, kann also auch mit einfachsten Mitteln demonstriert werden, wie ein Musikinstrument funktioniert. Doch solche Griffe in die Trickkiste der Pädagogen sind dringend nötig, denn europaweit steckt die Physikausbildung in der Krise. So nahm in den 90er Jahren die Zahl der Studienanfänger drastisch ab. Die Folgen zeigen sich jetzt: Universitäten, Forschungsinstituten und der Industrie geht der wissenschaftliche Nachwuchs aus.

    Ein Grund für die Misere liegt in der Schule, meint Professor Michael Kobel von der Universität Bonn: "Der Physikunterricht ist vor 40 Jahren stehen geblieben und hat sich in der Methodik und im Inhalt nicht weiterentwickelt. Es wird weiterhin Physik des inzwischen schon vorletzten Jahrhunderts vermittelt." Dabei fehle aber der einleuchtende Bezug zur Gegenwart. Für den Wissenschaftler hat das Übel mehrere Wurzeln. So ließen die Lehrpläne den Lehrern zu wenig Freiheiten bei der Unterrichtsgestaltung. Überdies mangele es an ausreichender Weiterbildung der Physiklehrer. Und schließlich werde an Schulen kaum aktuelle Spitzenforschung vermittelt, obwohl gerade sie zumeist spannender sei als das altbewährte Lehrbuchwissen.

    Genau das aber soll sich nun ändern. So bringen Physiker der Universität Münster die Nanotechnologie ins Klassenzimmer - in Gestalt des Rastertunnelmikroskops. Mit diesem lässt sich, auf den Millionstel Millimeter genau, das Höhenprofil einer Probenoberfläche aufzeichnen. Das Mikroskop können Schüler und Lehrer selber bauen, Software und Bauanleitung finden sie im Internet. Mit einem Preis von deutlich unter 800 Euro liegt das Do-it yourself-Instrument für eine Schule durchaus im Bereich des Möglichen. Noch preiswerter ist eine Idee von Annette Schmitt und Klaus Wendt von der Universität Mainz: Sie entwickelten einen Teilchenkäfig, in dem kleine Teilchen, etwa Kakaopulver oder sogar auch Ionen, eingekerkert werden können. Die schlichte Version einer so genannten Paul-Falle kostet gerade fünf Euro, stellt dafür jedoch anschaulich etwa das Prinzip der Atomuhren an Bord der GPS-Satelliten dar. Und die kennt fast jedes Kind.

    [Quelle: Frank Grotelüschen]