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Trügerische Sicherheit

Medizin. - Bislang gibt es in Sachen Vogelgrippe nur einen Gewinner - und das ist das Pharmaunternehmen Roche, Hersteller des antiviralen Grippemedikaments Tamiflu. Rund 6 Millionen Dosen Tamiflu hat die Bundesregierung bei Roche geordert. Insgesamt sind die Bestände nun groß genug, um 20 Prozent der Bevölkerung im Falle einer Grippeepidemie zu schützen. Was aber, wenn Tamiflu in so einem Fall nicht wirkt? Das könnte nach Meinung einiger Experten tatsächlich geschehen. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift "Science".

Von Kristin Raabe | 21.04.2006
    Für 113 Menschen war Tamiflu jedenfalls keine Rettung. So viele starben bislang weltweit an der Vogelgrippe. Wichtig sind die antiviralen Medikamente Tamiflu und Relenza vor allem zur Prophylaxe. Rechtzeitig eingenommen können sie eine Infektion mit dem Erreger der Vogelgrippe verhindern. Theoretisch ließe sich so die Ausbreitung einer weltweiten Grippeepidemie, einer sogenannten Pandemie, verhindern. Wäre da nicht die Fähigkeit aller Viren, sich auf einen neuen Feind einzustellen. Durch Mutation können sie eine Resistenz gegen die antiviralen Medikamente herausbilden. Bei einer älteren Klasse von Antigrippemitteln sind mittlerweile schon zwölf Prozent der Grippeviren resistent. Sebastian Bonhoeffer von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich:

    "Hier ist es vereinfacht gesagt so: Eine sehr effiziente Strategie, die verhindert, dass sich eine Grippeepidemie ausbreitet, hat als Kehrseite meistens den Effekt, dass der Druck, der Selektionsdruck, für die Entstehung resistenter Mutanten sehr hoch ist, das heißt, wenn dann resistente Mutanten entstehen sollten, per Mutation, können sich diese auch sehr schnell verbreiten."

    Mit anderen Worten Wenn alle prophylaktisch Tamiflu einnehmen, dann haben nur die Viren eine Chance, die durch eine Mutation resistent gegen das Medikament sind. Und diese resistenten Viren würden sich vermutlich ziemlich rasant ausbreiten. Die Waffe Tamiflu könnte also im Falle einer Pandemie schnell stumpf sein. Bonhoeffer:

    "Wenn man keinen Impfstoff hat, dann bleibt einem gar nichts anderes übrig als zu behandeln und prophylaktisch diese Medikamente zu benutzen. Meine Hoffnung ist, dass wenn eine Pandemie ausbrechen sollte, dass das Problem der Resistenz, was durch Prophylaxe entstehen würde, doch so lange unter Kontrolle gehalten werden kann, bis gut funktionierende Impfstoffe entwickelt werden können."

    Aber natürlich ist es wichtig, jetzt schon auf das Problem Resistenz vorbereitet zu sein. Und schließlich gibt es nicht nur Tamiflu. Relenza beispielsweise funktioniert nach demselben Wirkprinzip. Bonhoeffer:

    "Man kann vielleicht untersuchen, inwieweit es sinnvoll wäre, unterschiedliche Medikamente einzusetzen für Prophylaxe und Behandlung. Hier wären Computermodelle vielleicht sehr nützlich, um verschiedene Szenarien durchzuspielen. Natürlich sind solche Computermodelle immer nur ein erster Schritt, aber ich glaube, gerade in einem solchen Fall, wo es viel Unsicherheit gibt, und es keine Möglichkeit gibt, solche Fragen durch detaillierte klinische Studien zu untersuchen, sind solche Modelle sehr hilfreich."

    Sebastian Bonhoeffer hofft, dass die Ergebnisse solcher Simulationen vorliegen, bevor es tatsächlich zum Ausbruch einer Pandemie kommt. Schließlich ist die Angst vor der Vogelgrippe in der Bevölkerung offenbar so groß, dass in immer mehr bundesdeutschen Haushalten Tamiflu im Badezimmerschrank lagert, nur um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Bonhoeffer:

    "Ich glaube allerdings, dass einem, wenn eine solche Pandemie ausbrechen würde, einem eine einzelne Packung Tamiflu nicht helfen würde, denn eine solche Pandemie dauert sicherlich einige Wochen und man muss dann schon sehr große Mengen an Tamiflu zuhause haben, um seine ganze Familie zu schützen und bei dem jetzigen Preis ist das tatsächlich etwas, was sich nur wenige Leute leisten können, beziehungsweise leisten wollen."