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Türkei
Ein Café des Gedenkens

Als vor drei Jahren Schüsse in Istanbuls Straßen fielen, versuchten Putschisten die Regierung zu stürzen. Präsident Erdogan rief in einer dramatischen Fernsehansprache seine Bürger dazu auf, den Aufständischen die Stirn zu bieten. Tolga Ecebalin folgte diesem Aufruf - und starb in dieser Nacht.

Von Christian Buttkereit | 13.07.2019
Die Gedenkstätte im Istanbuler Café Tolga. An einer Wand hängen viele Bilder des Verstorbenen Tolga Ecebalin, Türkei-Fahnen und eine Urkunde.
Die Gedenkstätte in einer Ecke im Caé Tolga erinnert an den verstorbenen Tolga Ecebalin (Christian Buttkereit, ARD Istanbul)
Auf den ersten Blick scheint es ein ganz normales Café zu sein am Ufer des Goldenen Horns, mitten in Istanbul. Ein verglaster Pavillon, Stühle und Tische drumherum mit Blick auf einen Park und das nahe Wasser. Tee gibt es hier, Softdrinks, Wasserpfeiffen und kleine Speisen. Drinnen wird schnell klar, was das Besondere am Cafe Tolga ist. Dort gibt es eine Gedenknische für Tolga Ecebalin. Ein Sehit – ein Märtyrer des 15. Juli 2016.
Es war eine Nacht, die sich in das kollektive Gedächtnis der Türken eingebrannt hat. Und es war die Nacht, in der Tarkan Ecebalin seinen Sohn verlor. Schon Stunden davor war klar, dass etwas nicht stimmte auf den Straßen Istanbuls. Es wurde geschossen. Präsident Erdogan rief in einer dramatischen Fernsehansprache seine Bürger dazu auf, den Aufständischen die Stirn zu bieten. Vater Tarkan war deshalb mit seinem Bruder zum Gebäude der Stadtverwaltung gegangen. Überall Panzer und Soldaten.
Die Nacht des 15. Juli 2016
"Mein Telefon vibrierte, es war mein Sohn, der anrief. Er sagte: Ich komme. Weil ich besorgt war, habe ich ihm gesagt, er solle sich besser fernhalten. Er widersprach, sagte, er komme jetzt, und legte auf", sagt Tarkan Ecebalin.
Tolga war damals 25 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, geschieden und neu verlobt. Bilder der Kinder und von der Verlobung hängen in der Gedenknische im Cafe Tolga neben einer großen türkischen Flagge.
Die Soldaten haben heftigst auf uns geschossen. Mein Bruder und ich haben uns auf den Boden geworfen und unter einem Auto verschanzt. Als die Schüsse etwas nachließen, standen wir auf. Ich hatte erst fünf oder sechs Schritte getan, da hörte ich schmerzvolle Schreie. Ich schaute mich um, dann auf den Boden... oh mein Gott, dachte ich nur... Oh mein Gott... das ist ja Tolga", erinnert sich Ecebalin.
Ein Projektil war unterhalb des rechten Auges in Tolgas Kopf eingedrungen. Kurze Zeit später war Tolga tot. Gerichtsmediziner fanden heraus, dass es sich um einen gezielten Schuss handelte. Der Putschist, der ihn abgab, wurde in der Nacht selbst erschossen. Während Tolgas Vater das erzählt, rollen dem 50-Jährigen Tränen über die Wangen:
"Tolga ist Märtyrer geworden. Das war schon immer sein Wunsch. Er wollte eines Tages in die türkische Flagge gehüllt werden. Das ist der würdevollste Status, den ein türkischer Staatsbürger erreichen kann"
Vater Tarkan findet gut, dass die Erdogan-Regierung scharf gegen die Putschisten vorgeht. Auch wenn es letzte Gerechtigkeit erst vor Gott geben könne. Bis zu seinem Tod arbeitete Tolga als Kellner im Istanbuler Hilton. Er habe oft von einem eigenen Lokal geträumt, berichtet sein Vater:
"Als Herr Erdoğan uns einmal besucht hat, habe ich ihm von Tolga's Traum mit dem Lokal erzaehlt. Man hat uns dieses Grundstück hier zur Verfügung gestellt und wir haben hier dieses Cafe aufgebaut."
Ein Café der Erinnerung
In der Gedenknische hängen auch Fotos, die Tarkan mit Staatspräsident Erdogan auf dem Märtyerfriedhof zeigen. Und der höchste Verdienstorden der Türkei, der Tolga posthum verliehen wurde.
So werden auch die Gäste an die Ereignisse vom 15. Juli 2016 erinnert:
"Mit der Zeit verblasst natürlich die Erinnerung. Das Leben geht weiter. Aber auch wenn ich nicht jeden Tag daran denke, so denke ich doch mindestens einmal im Jahr daran."
"Ehrlich gesagt faellt mir die Gedenknische erst jetzt auf, wo Sie es sagen. Ich bin zufaellighier."
"Jetzt, wo ich die Hintergründe weiß, werde ich sicher öfter kommen."
Andere kämen extra hierher, um die Gedenkstätte zu sehen, sagt Tolgas Vater Tarkan mit Tränen in den Augen. Manche würden ihn umarmen:
"Wir können und wollen nicht vergessen. Ich habe mir geschworen, die Erinnerung stets wach zu halten. Und wenn es mich noch so schmerzt... ich werde reden, ich werde erzählen! Bis ans Ende meiner Tage."