Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Türkei
Kommunistischer Bürgermeister auf Erfolgskurs

In Anatolien genießt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan traditionell große Unterstützung. Gegen den Trend sorgt in der Stadt Ovacik nun aber ein kommunistischer Bürgermeister für Aufsehen. Mit biologischen Kooperativen finanziert er ein kostenfreies Bussystem und Schulstipendien für Kinder.

Von Gunnar Köhne | 23.04.2018
    Eine türkische Fahne weht im Gegenlicht.
    Türkische Fahne im Gegenlicht (imago stock&people)
    "Alle mal herkommen, es gibt was zu tun": Bürgemeister Maçoğlu winkt ein paar Männern vor seinem Rathaus und greift sich dann einen Stapel Faltkartons, die im Eingang liegen. Macoglu packt immer auch selbst mit an. Sein Dienstauto ist ein Kleinwagen und zu seinem buschigen Schnurrbart trägt er lieber ein Holzfällerhemd als Krawatte. Fatih Mehmet Maçoğlu ist Kommunist, vor vier Jahren mit über 36 Prozent an die Spitze einer Rathauskoalition gewählt. Seitdem herrscht in seiner Stadt Ovacik das Prinzip Solidarität:
    "Einer bringt Schuhe im Rathaus vorbei, ein anderer Bücher, wieder ein anderer Kleider. Und wer etwas davon braucht, nimmt es wieder von hier mit. Bei uns wird Solidarität groß geschrieben. Sehen Sie: Diese Männer sind hier auch nicht angestellt, sondern freiwillig hier."
    Regierungspartei AKP erhielt weniger als vier Prozent der Stimmen
    Das 3000-Einwohner-Städtchen Ovacik liegt weit im Osten der Türkei, 800 Kilometer von der Hauptstadt Ankara entfernt. Auf den ersten Blick ein Flecken Anatoliens wie jeder andere auch. Doch das örtliche Café heißt "Kuba" und im Rathaus hängt nicht der Staatspräsident, sondern Che Guevara.
    In Ovacik ist manches anders als im Rest der Türkei. Alkohol kann man problemlos kaufen und Kopftücher sieht man nur selten. In dieser Region sind die Anhänger des liberalen islamischen Alevitentums in der Mehrheit. Die Regierungspartei AKP erhielt in Ovacik bei der letzten Wahl weniger als vier Prozent der Stimmen.
    Zu den Rathaussitzungen sind alle Bürger eingeladen. Ein Ratsmitglied ist mit ihrem Kleinkind erschienen. Zwei andere Repräsentanten muss Maçoğlu zu Beginn der Sitzung entschuldigen: Dem kurdischen Ratsmitglied wird Terrorunterstützung vorgeworfen. Alltag unter dem von Erdogan verhängten Ausnahmezustand.
    Schulstipendien und kostenloses Busfahren
    In der Rathausbücherei nebenan lernen Studenten derweil für ihre Prüfungen. Maçoğlu, gelernter Laborant, finanziert Jugendlichen aus armen Familien mit einem bescheidenen Stipendium das Studium. In einer von islamisch-konservativen Anhängern Erdogans regierten Stadt wollen sie nicht leben:
    "Hier ist es doch freier als anderswo im Land. Vor allem für Frauen!"
    Stolz zeigt Bürgermeister Maçoğlu die Versandstelle für die Bio-Produkte von Ovacik. Salz, Bohnen und Honig der örtlichen Kooperative werden inzwischen aus der ganzen Türkei geordert. Viele Erdogan-Gegner wollten damit das linke Experiment unterstützen, vermutet er.
    "Mit den Erlösen machen wir dreierlei: Ersten vergeben wir Schulstipendien, zweitens unterstützend wir Bauern mit Traktordiesel und drittens kaufen wir davon Saatgut, das wir gratis verteilen. Inzwischen sind etwa 250 Bauern der Gegend unserer Kooperative beigetreten."
    Bio-Produkte aus Ovacik werden im ganzen Land geordert
    Und es werden immer mehr. Auf einem Acker vor der Stadt entnehmen Mitarbeiter des Rathauses Bodenproben. Auch hier soll demnächst für die sozialistische Kooperative angebaut werden. Der Landwirt hatte sich - enttäuscht von der Regierung - an die Stadtverwaltung gewandt:
    "Der Kilopreis für Bohnen liegt bei umgerechnet 1,50 Euro. Bezahlt haben uns die Händler aber immer nur die Hälfte. Aber diese Stadtverwaltung garantiert mir, dass ich den fairen Preis von 1,50 Euro bekomme. Und das nach 14 Tagen!"
    Der Kommunist Maçoğlu ist nicht nur bei seinen Bürgern beliebt - auch über die Grenzen Ovaciks hinaus sehen ihn viele schon als Hoffnungsträger der türkischen Opposition. Doch Maçoğlu winkt ab. Er sieht seine Aufgabe hier in der anatolischen Provinz. Aber fürchtet er nicht seine Verhaftung oder Zwangsabsetzung? Der Bürgermeister lächelt und zuckt mit den Schultern:
    "Wir glauben, dass wir das Richtige tun. Wenn wir für das Richtige bestraft werden sollten oder ich abgesetzt werden sollte - dann müssten wir diesen Preis zahlen. Aber wir würden trotzdem weiter für unsere Überzeugungen eintreten."