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Türkei schießt sich auf Frankreich ein

Das Vorpreschen Frankreichs in der Libyen-Krise sei gefährlich – und für Nicolas Sarkozy vor allem eine "Investition in seine Wiederwahl". Es waren deftige Worte, die der türkische Ministerpräsident Erdogan in Bezug auf die Rolle Frankreichs im Libyen-Konflikt wählte.

Von Steffen Wurzel |
    Vergangenen Samstag in Paris. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verkündet den Beginn der Luftangriffe auf Gaddafi-Stellungen in Libyen. Zuvor hatte er mit hochrangigen Politikern aus der EU, den USA und der Arabischen Liga über das militärische Vorgehen in dem nordafrikanischen Land beraten. Die Türkei saß nicht mit am Tisch. Obwohl die Türkei nach den USA immerhin die zweitgrößte Armee in der NATO stellt.

    "Selbstverständlich werden wir diese Konferenz in Paris hinterfragen," so der sichtbar erregte türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan Anfang der Woche im Parlament in Ankara. Seine Regierung werde sich noch kritisch mit dem Fernbleiben der Türkei bei dem Gipfeltreffen auseinandersetzen.

    Was bei dieser kritischen Auseinandersetzung herauskommen soll, ließ Erdogan offen. Fest steht: Die Nichteinladung nach Paris ist eine diplomatische Ohrfeige für den türkischen Regierungschef. Die ohnehin schlechten Beziehungen zwischen Erdogan und Sarkozy haben einen neuen Tiefpunkt erreicht.

    Schaden genommen hat der türkische Premier dadurch nicht. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit und die Kommentatoren des Landes stellen sich hinter Erdogan. Der außenpolitische Experte des türkischen Thinktanks SETA, Taha Özhan:

    "Frankreich hat den Libyen-Einsatz provoziert, indem es alle Absprachen, die in vergleichbaren Krisenfällen üblich sind, umgangen - und somit den Weg für Militärschläge vorbereitet - hat. Herr Sarkozy mag glauben, es sei besonders clever gewesen, den NATO-Partner Türkei nicht nach Paris einzuladen. Allerdings dürfte Sarkozy nicht damit gerechnet haben, dass die NATO nun plötzlich doch wieder wichtig ist."

    Und tatsächlich: Hieß es Anfang der Woche noch, die Türkei blockiere die NATO, hat sich die Wahrnehmung inzwischen geändert. Der kanadische NATO-General Pierre St. Amand lobte das türkische Militär dafür, dass es "integraler Bestandteil" der NATO-Seeblockade gegen Libyen sei.

    Umgekehrt steht Frankreich plötzlich als Buhmann da, weil man in Paris nicht möchte, dass die NATO das Kommando über die Luftangriffe auf Libyen übernimmt.

    In der Türkei nimmt man diesen Rollentausch in der öffentlichen Wahrnehmung mit Genugtuung zur Kenntnis. Der türkische Präsident Abdullah Gül ging noch einen Schritt weiter. Ohne seinen Namen direkt zu nennen, warf er Nicolas Sarkozy Unaufrichtigkeit vor.

    "Der eigentliche Sinn des Militär-Einsatzes war es, das libysche Volk vor Unterdrückung schützen. Ganz offensichtlich haben einige Länder aber andere Interessen. Sie verhalten sich opportunistisch. Bis gestern haben sie mit den Diktatoren in Nordafrika noch Geschäfte gemacht. Geschäfte, die selbst ihre eigenen Bürger moralisch verwerflich fanden."

    Frankreichs Präsident Sarkozy habe "versteckte Absichten", so Gül weiter. Dahinter dürfte sich der Vorwurf verbergen, Sarkozy habe den Angriff auf Gaddafis Stellungen aus wahltaktischen Gründen gestartet. Auch in der Türkei nimmt man zur Kenntnis, dass der französische Präsident in den vergangenen Wochen massiv an Zustimmung verloren hat beim eigenen Volk.

    Ironischerweise ist es nun ausgerechnet der nicht-gerade-beste Freund von Nicolas Sarkozy, der den türkisch-französischen Zwist ebenfalls wahltaktisch ausschlachtet: der türkische Premierminister Tayyip Erdogan. Innenpolitisch kommt ihm der Streit mit seinem französischen Kollegen gerade gelegen. In nicht einmal drei Monaten wird gewählt in der Türkei.