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Türkischer Einfluss wächst auf dem Balkan

Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdgoan im Kosovo ist bedeutend. Nicht nur, weil 90 Prozent der Kosovo-Albaner Muslime sind, sondern auch das wirtschaftliche Engagement der Türken ist auf dem Balkan sehr umfangreich - im Gegensatz zur Europäischen Union.

Von Ralf Borchard | 23.10.2013
    Ist Prizren auch hier, ruft der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede in Istanbul. Es ist der 16. Juni dieses Jahres, Erdogan wettert gegen die Istanbuler Gezi-Park-Demonstranten und versichert sich symbolisch der Unterstützung der gesamten islamischen Welt - auch der Menschen in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo:

    Wenn Erdogan nun den Kosovo besucht, hat auch das hohen Symbolwert. 90 Prozent der Bevölkerung hier sind muslimische Kosovo-Albaner. Und dass sich die Türkei in Rückbesinnung auf das Osmanische Reich als eine Art Ordnungsmacht auf dem Westbalkan fühlt, hat Erdogan schon bei vielen Gelegenheiten klar gemacht. Im Kosovo sprechen auch nackte Zahlen dafür, sagt der Volkswirt Lumir Abdixhiku, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Riinvest in Pristina:

    "Der Ausbau des Flughafens wurde an eine türkische Firma vergeben, Straßenbauprojekte wurden an türkische Firmen vergeben, der Energiesektor und höchstwahrscheinlich sehr bald auch das Telefonnetz im Kosovo werden von türkischen Firmen dominiert. Nimmt man noch den Nahrungsmittelbereich dazu, der von türkischen Firmen dominiert wird, hat man ein Bild davon, wie stark dieses Land unter dem Einfluss der türkischen Wirtschaft steht."

    Erdogan besucht nicht nur Pristina, er fährt auch nach Prizren im Süden, wo der Großteil der KFOR-Truppen der Bundeswehr stationiert ist, und wo sich die türkische Bevölkerungsgruppe im Kosovo konzentriert. In Prizren ist türkisch eine von vier Amtssprachen, es gibt türkisches Radio, einen türkischen Fernsehsender. Levent Bush ist Vorsitzender der türkischen Partei in Prizren:

    "Wir stellen momentan den stellvertretenden Bürgermeister. Außerdem zwei türkische Stadträte. Wir regieren zusammen mit der Partei von Premier Hashim Thaci. Und wir haben zusammen etwa 25 türkische Vereine - Frauengruppen, Jugendliche - die verschiedene kulturelle Veranstaltungen organisieren."

    Symbolwert hat auch, dass Erdogan nicht alleine den Kosovo besucht, sondern gemeinsam mit dem neuen albanischen Regierungschef Edi Rama. In Albanien ist der türkische Einfluss ebenfalls besonders groß. In anderen Balkanländern, etwa dem christlich-orthodox dominierten Serbien, wird das mit einiger Skepsis gesehen. Doch auch mit Serbien versucht die Türkei, die Bande enger zu knüpfen, als Ergänzung - viele Experten sagen: als Gegengewicht - zur Annäherung an die Europäische Union. Für den Kosovo, sagt Wirtschaftsexperte Lumir Abdixhiku, hat der türkische Einfluss eine klare Kehrseite:

    "Wir brauchen ehrlich gesagt auch etwas anderes, wir brauchen mehr westliche Firmen im Kosovo. Der Grund, warum es hier nicht mehr westeuropäische Investoren gibt, ist, das sie sich nicht im hiesigen Investitions-Umfeld zurechtfinden. Die Einzigen, die das tun, sind türkische Investoren. Sie kommen mit dem hohen Level an Korruption zurecht, kennen die zähe Bürokratie. Politisch ist die türkische Dominanz gefährlich für uns. Wir brauchen westliche Werte hier. Das ist essenziell wichtig für dieses Land."

    Das türkische Engagement legt auch die Schwächen der EU-Politik bloß: Zwar hat die Europäische Union allen Staaten des Westbalkans eine europäische Perspektive versprochen, also eine schrittweise Annäherung mit dem langfristigen Ziel, EU-Mitglied werden zu können. Doch die EU ist angesichts der Finanzkrise erweiterungsmüde, eine stringente Balkanstrategie fehlt - eine Lücke, in die Regierungschef Erdogan entschlossen vorzustoßen versucht. Er will den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Einfluss der Türkei auf dem Balkan weiter ausbauen.