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TV-Führer für Blinde

Für Sehende sind Fernsehzeitschriften meist gut organisiert und übersichtlich - schnell ist das Gewünschte gefunden. Anders aber für blinde Mitmenschen: Ihnen helfen die optischen Wegweiser nicht weiter. Das will die Lesehilfe "Daisy" jetzt ändern.

Von Hartmut Schade |
    Fernsehzeitschriften gibt es vielleicht nicht wie Sand am Meer, aber wohl ebenso viele wie Fernsehsender. Nun kommt noch eine auf den Markt, scheint auf den ersten Blick überflüssig. Aber es ist die erste TV-Zeitung für Blinde. Auch sie wollen im Freundes oder Kollegenkreise mitreden - und das geht nur mit TV-Konsum. Das Besondere an der neuen Programmzeitschrift: Es ist eben keine in Blindenschrift gedruckte Zeitung, sondern eine CD. "Daisy-TV" steht auf der Silberscheibe, die Thomas Kalisch, Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde in Leipzig, in eine kleine Box vor sich auf dem Tisch schiebt. Daisy heißt "Digital Accessible Information System==" und ist der Name eines Standards, den Blindenbüchereien in aller Welt nutzen, um Informationen für ihre Nutzer aufzubereiten.

    "Technisch ist das ein offener Internetstandard auf XML-Basis und es ermöglich, Text, Audio- und Videoinformationen miteinander zu synchronisieren und auf diese Weise Bücher multimedial aufzubereiten."

    Daisy bietet die technische Plattform, um überhaupt eine TV-Zeitschrift für Blinde zu kreieren. Gedruckt in Blindenschrift würde das wöchentliche Fernsehprogramm 2000 Seiten umfassen. Doch vorgelesen und ins MP3-Format konvertiert, passt das Fernsehprogramm einer Woche auf eine Silberscheibe. Das Vorlesen übernimmt dabei "Kollegin Steffi" - eine Spracherkennungssoftware. Die MP3-Files bekommen dann eine innere Struktur, die dem Blinden die Navigation ermöglicht, erläutert Andreas Regis. Der blinde Softwareprogrammierer ist der geistige Vater von Daisy-TV.

    "Wir haben hier die Möglichkeiten, verschiedene Überschriftsebenen zu setzen in bis zu sechs Ebenen. Das haben wir genutzt. Wir haben drei Ebenen: Erstens den jeweiligen Tag, dann den Sender und auf der dritten Ebene haben wir den Tagesabschnitt. Ich habe es nochmals unterteilt in morgens, vormittags, mittags, vorabends, abends und nachts. Wir können zunächst die Ebene auswählen, wählen den Tag, Sender und den Tagesabschnitt, können dann mit anderen Tasten durch die Sendungen navigieren."

    Voraussetzung für das Hören und vor allem Navigieren durch Daisy-TV ist ein Daisy-Lesegerät oder ein entsprechendes Programm in Rechner. Das Lesegerät hat die Größe eines Tischtelefons und besitzt einen Schlitz für die CD sowie Tasten zum Surfen. Doch Daisy kann mehr als das Fernsehprogramm liefern. Thomas Kalisch setzt großen Hoffnungen in das System.

    "Blindenbüchereien nutzen den Daisy-Standard, um im gleichen Format weltweit Audio sowie Audio- und Textkombinationen anzubieten. In Zukunft werden sich sehr viele Möglichkeiten ergeben, über Daisy im Medienzugang für blinde Menschen viele Dinge zu realisieren, die bislang gar nicht vorstellbar waren, darunter etwa Telefonbücher oder Kataloge"

    Doch von Daisy könnte auch der sehende Hörbuchnutzer profitieren. Wer sich schon mal geärgert hat, weil er eine ganze Viertelstunde des Hörbuches noch einmal hören musste, nur weil er versehentlich "Stop" statt der "Pausetaste" drückte, der wird die feine Strukturierung von Daisy, die das rasche Wiederfinden des zuletzt Gehörten ermöglicht, bald zu schätzen wissen. Ganz zu schweigen von den Fähigkeiten der Daisy-Player, sich von rund 1000 CD´s jeweils die Stellen zu merken, an denen man ausgestiegen ist.