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Typisch Calexico

Nach vier Jahren Wartezeit erscheint mit "Algiers" das sechste Studioalbum von der amerikanischen Band Calexico. Mit ihrer Musik transportieren sie den Hörer an einen Ort, der atmosphärisch, romantisch und mysteriös zugleich ist.

Von Stefanie Christensen | 22.09.2012
    "Es stimmt schon, dass wir zu einem gewissen Grad mit einer bestimmten Umgebung assoziiert werden. Aber für mich ist das universeller, als auf einen geografischen Ort beschränkt zu sein. Ich verstehe, dass die Leute einen konkreten Ausgangspunkt brauchen, um zu dieser Türschwelle oder diesem Fenster zu gelangen, um in unsere Welt hineinzuschauen. Ich denke, dass die Welt, die wir mit unserer Musik, unseren Ideen, Gedanken und Gefühlen erschaffen haben, weit mehr umfasst als nur einen bestimmten Ort."

    "Desert Rock" als Umschreibung für Calexicos Musik? Das ist eine Bezeichnung, die nach Einschätzung von Sänger und Gitarrist Joey Burns die Musik nur unzureichend beschreibt.

    Auf ihrem neuem Studioalbum "Algiers" besinnen sich Calexico wieder auf ihre Grundtugenden: mitreißende Melodien, getragen von Joey Burns' intensivem, eindringlichen Gesang. Das musikalische Fundament bilden das intuitive Schlagzeugspiel John Convertinos, fiebrige Gitarren, einsame Trompeten und flirrende Streicher. Musik, bei der man andere - oder zur Not sich selbst - umarmen möchte.

    Obwohl das Album in New Orleans aufgenommen wurde, halten sich die offensichtlichen Einflüsse der - nach Hurricane Katrina immer noch im Aufbau befindlichen Stadt - in Grenzen. Den Musikern ging es eher darum, die Atmosphäre der Stadt am Mississippi als Inspirationsquelle zu nutzen.

    "Aus New Orleans kommt eine Menge Musik, die einen ganz wichtigen Teil der amerikanischen Musik definiert. Die Stadt ist Ausgangspunkt für viele verschiedene Stile und Musikgrenres. Es war für uns ein Traum, dorthin zu gehen. New Orleans ist ein eklektischer, lebendiger, dunkler, mysteriöser Ort voller Freude. Daher war es großartig, einige dieser Inspirationen auszusaugen."

    Es wäre ein Leichtes für die Musiker gewesen, die für New Orleans so typischen Musikstile wie Creole oder Jazz verstärkt in das Album zu integrieren. Dennoch ging es der Band hauptsächlich darum, ein Calexico-Album aufzunehmen, mit allen für sie charakteristischen Merkmalen, die die Musik seit 14 Jahren auszeichnen. Für so manchen Kritiker der Band gab es dementsprechend nicht genug Neuerungen auf "Algiers" . Auf den Vorwurf des kreativen Stillstands angesprochen, reagiert Mastermind und Hauptsongwriter Joey Burns schockiert:

    "Das stelle ich stärkstens infrage! Bring diese Kritiker zu unseren Shows und ich zeige denen bei jedem Konzert etwas Neues. Und wie kommt es, dass niemand über die Jazzseite der Trompeten schreibt oder es wenigstens kommentiert? Zum Beispiel: Jacob Valenzuela spielt dieses Solo auf 'No Te Vayas'? Wieso beziehen sie sich nicht darauf? Das ist eine gute Frage!"

    Aber auch die private Situation Joey Burns' fand Einzug in das neue Album. Vor anderthalb Jahren wurde der Mittvierziger zum ersten Mal Vater - von Zwillingen. So ist der Song "Hush" auf "Algiers" eine Variation eines alten Schlafliedes.

    "Die Musik hierzu entstand in New Orleans. Der Song kam etwas unerwartet. Eigentlich wollte ich keinen weiteren sanften, akustischen Gitarrensong mit Fingerpicking. Aber es hat so viel Spaß gemacht und ich habe mich wirklich in das Lied verliebt. Ich wollte einen besonderen Text dafür schreiben. Dann habe ich mir über Generationen überlieferte Schlaflieder und ihre Bedeutungen angeschaut. Ich wollte wissen: Was ist der Ursprung dieser Lieder? Als ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass diese Schlaflieder eine Widmung an die Bindung zur Familie darstellen. Und die Frage, die daraus erwächst: Wirst du immer da sein?"

    Es sind herzergreifende Balladen, die den Hörer mit ihren traumhaft schönen, oft aber auch sehr melancholischen Spannungsbögen immer tiefer in das Universum Calexicos ziehen.

    Einen musikalischen Richtungswechsel konnte man von Calexico wohl nicht erwarten. Bahnbrechend Neues gibt es auf "Algiers" nicht zu hören. Aber warum auch? Alles, was man an dieser Band liebt, findet sich hier verdichtet auf einem Album.

    Es sind eher die Nuancen und Subtilitäten, die den Hörer auf Calexicos neuem Album fesseln. Hier spielt eine altmodisch anmutende Schweineorgel, dort gibt Trompeter Jacob Valenzuela eines der traurigsten Trompetensolos, die jemals gehört wurden, zum Besten. In diesen Nuancen spielen Calexico mit der Erwartungshaltung der Hörer. Gerade, wenn man denkt, man wüsste, in welche Richtung ein Song geht, nimmt er eine überraschende Wendung. So wächst "Algiers" mit jedem Durchlauf und nistet sich tief in die Gehörgänge ein.