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Über den Umgang mit dem Iran

Iran: ein nach wie vor undurchsichtiges Atomprogramm, unterdrückte Frauen und verblendete Mullahs - so der erste Eindruck. Dabei gerät die Vielschichtigkeit der iranischen Eliten völlig aus dem Blick. Das wurmt Volker Perthes, den Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik und einen der profiliertesten deutschen Iran-Kenner. Er empfiehlt, mit dem Land anders umzugehen.

Rezensiert von Daniel Blum | 18.08.2008
    "Wenn wir Iran als einen Staat betrachten, der von üblen Kräften regiert wird, die kein anderes Ziel haben, als Atomwaffen zu erwerben, um damit andere Staaten zu bedrohen oder zu zerstören - dann ist das Spektrum politischer Handlungsoptionen eng begrenzt. Ist die Islamische Republik Iran ein `Mullah-Regime' oder `Gottesstaat'? In diesen Beschreibungen schwingt immer die Vorstellung mit, die führenden Vertreter eines solchen Regimes würden weniger von Interessenkalkulationen als vielmehr von religiösem Eifer getrieben."

    ... und das sei eine Fehleinschätzung, meint Volker Perthes. Nein, jenseits der gelegentlichen Brachialrhetorik auf dem diplomatischen Basar, dem Feilschen, Schwindeln und Großtönen verstecke sich, davon ist der Nahostexperte überzeugt, eine politische Elite, die nicht anders handele als die anderer Staaten. Man hat Ziele, man hat Interessen, und bei allem Tun und Lassen schätzen die Verantwortlichen nüchtern ab, ob es ihren Ambitionen dienlich ist oder nicht. Mit dieser Einschätzung ist Perthes nicht alleine. Die europäischen Staaten erkennen im Iran schon seit langem einen Verhandlungspartner, den man vernünftig ansprechen kann. Die US-amerikanischen Geheimdienste sind Ende des vergangenen Jahres in einer Analyse zum selben Schluss gekommen - nur in ihrer eigenen Regierung muss diese Erkenntnis wohl noch ein Weilchen reifen. Pragmatismus ist nicht die Stärke des derzeitigen Präsidenten. Für Perthes ist Pragmatismus indes die Essenz erfolgreicher Diplomatie:

    "Man muss die Interessen aller Akteure berücksichtigen, um internationale Beziehungen vernünftig zu managen und haltbare Lösungen für Konflikte zu finden. Prinzipiell haben alle Staaten legitime Interessen. Diplomatie hat die schwierige Aufgabe, einen Ausgleich zwischen oder eine Annäherung dieser Interessen zu suchen."

    Weil sich dies aber noch nicht alle Diplomaten ins Pflichtenheft geschrieben haben, macht Perthes für sie die Hausaufgaben. In seinem Buch "Iran - Eine politische Herausforderung", das heute bei Suhrkamp erscheint: eine kompakte Analyse des Landes, gerade mal 160 Seiten stark. Einleitend liefert Perthes einen knappen Aufriss zu Geschichte, Wirtschaft und dem politischen System. Gründlich beschäftigt er sich dann mit der politischen Elite, den verschiedenen Gruppen, aus denen sie sich zusammensetzt und ihren jeweiligen Zielen und Interessen. Stilistisch ist der Text des Berliner Politikwissenschaftlers eine Freude. Perthes trägt seine Analysen auf engem Raum prägnant und vor allem übersichtlich vor, formuliert einen gut erkennbaren roten Faden und kommt immer wieder auf ihn zurück. Man merkt dem Titel an, dass sein Autor gewohnt ist, sowohl in der Fach- als auch der Tagespresse zu publizieren: Der Text verfügt über die Qualitäten eines guten Fachbuches, ist aber so verständlich gestaltet, dass er auch von einem breiten Publikum mit Gewinn gelesen werden kann. Bei den politischen Entscheidungsträgern hierzulande wird Perthes ohnehin wohl aufmerksam gehört werden, ist er doch Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der wichtigsten unabhängigen Denkfabrik für Bundestag und Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Wie Perthes' Methode funktionieren könnte, Konflikte durch Interessenausgleich zu lösen, demonstriert er beispielhaft am Streit um das iranische Atomprogramm, dem diplomatischen Kardinalkonflikt. Präsident Ahmadinedschad zeigte hier bislang wenig Entgegenkommen:

    "Was die Atomenergie angeht, wird unsere Nation ihren Weg weitergehen. Atomenergie ist unser Recht, und wir werden allem Druck widerstehen, bis dieses Recht verwirklicht ist."

    Eine Haltung, die Perthes historisch zu erklären weiß. Der Iran ist über Jahrhunderte hinweg immer wieder von anderen Nationen besetzt oder gegängelt worden, von Arabern, Mongolen, Russen, Briten und nicht zuletzt den Amerikanern, die 1953 durch eine CIA-Operation dem Schah auf den Thron verhalfen. Als später die so genannte Islamische Republik vom irakischen Diktator Saddam Hussein angegriffen wurde, versorgte ihn der Westen mit Waffen. Perthes hat bei seinen Besuchen im Iran die Erkenntnis gewonnen, dass überall in der politischen Elite - egal, wo sie sich weltanschaulich verortet - der Wunsch dominiert, die Stärke und Unabhängigkeit der Nation zu sichern. Den atomaren Brennstoffkreislauf zu beherrschen, da sind sich Führung und Bevölkerung einig, wäre ein modernes Symbol für die Größe des Landes. Im Westen glaubt man überwiegend, der Iran strebe nur vordergründig nach Kernreaktoren, eigentlich nach Kernwaffen. Perthes beschreibt die politische Elite des Iran in dieser Frage als uneinig. Nach seinem Eindruck wolle man mehrheitlich lediglich einen Status erreichen, wie ihn auch Japan oder Deutschland haben: das technische Potential, die Bombe zu bauen, gekoppelt mit dem Versprechen, es nicht zu tun. Die Option auf die Bombe soll die militärische Abschreckung sichern. Wenn man nun dem Iran den Weg zur potentiellen Atommacht verstellen will, argumentiert Perthes, dann müsse man dem Land einen anderen Weg zeigen, seine Interessen zu wahren. Die da wären: der Schutz vor Angriffen von außen, vor Putschversuchen und Kriegen. Und natürlich die Chance, sich wirtschaftlich zu entwickeln und nationales Prestige zu erwerben.

    "Die USA sind der einzige Staat, der mit Blick auf die sicherheitspolitischen Sorgen des Landes etwas anzubieten hat. Solange das Regime überzeugt ist, dass es sich auf der Zielscheibe amerikanischer Politik befindet und nicht als legitimer Akteur akzeptiert wird, werden seine Mitglieder gerade in der Nuklearfrage nicht die Entscheidungen treffen, die notwendig wären. Das Bemühen um eine antiiranische Allianz, die Präsident Bush auf seiner Mittelostreise Anfang 2008 verkaufen wollte, dürfte genau der falsche Ansatz sein. Irgendwann wird Washington ein Angebot machen müssen, das Iran nicht zurückweisen kann."

    Zum Beispiel dieses, das Perthes vorstellt: Der Iran verzichtet auf einen eigenen Brennstoffkreislauf, bekommt aber im Gegenzug Sicherheitsgarantien der USA und zudem atomare Brennstäbe. Gefertigt werden sie von einem internationalen Konsortium unter Beteiligung des Iran, bei dem in jedem Land ein Teil der Produktion stattfindet - aber in jedem Staat ein anderer. So gewinnt jeder seine Brennstäbe - und ist abhängig von einem gedeihlichen Miteinander.

    Volker Perthes: Iran. Eine politische Herausforderung. Die prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit. Suhrkamp Verlag, 159 Seiten, 9 Euro.