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Über sieben Brücken

Eine Brücke ist nicht bloß ein Bauwerk, das Verkehrswege über Hindernisse führt. Eine Brücke kann auch hochsymbolisch sein: Der Papst wird Pontifex Maximus, also Oberster Brückenbauer, genannt und Brücken können auch Angstwege sein, wie Sigmund Freud ausführlich dargelegt hat. Eine Fußgängerbrücke mit Glasboden des Stararchitekten Santiago Calatrava sorgt nun in Venedig für Proteste.

Von Thomas Migge |
    Ein Gondoliere fährt durch einen venezianischen Kanal. Es ist Nacht. Die öffentlichen Wasserbusse fahren nicht mehr. Da bleibt nur die Gondel.

    Die Gondel kostet zwar ein wenig, ist aber sehr romantisch. Als Alternative bleibt nur der Fußweg nach Hause - oder ins Hotel. Je nach dem, von wo man kommt, muss man dafür in Venedig allerdings einen langen Weg zurücklegen. Die Stadt hat zwar mehr als 400 kleine Brücken, doch über den Canal Grande, der die Lagunenstadt in zwei Hälften teilt, gibt es nur drei: die 1588 errichtete Rialtobrücke, die Akademiebrücke von 1932 und die nur zwei Jähre später gebaute Scalzi-Brücke beim Hauptbahnhof. Weil das seit langem zu wenig ist, entschied sich die Stadtverwaltung vor acht Jahren, eine neue Brücke zu errichten . Sie soll ebenfalls in der Nähe des Hauptbahnhofs Santa Lucia stehen , um den immensen Besucherstrom in die Stadt besser in die einzelnen Viertel zu lenken und die ständig überfüllten Wasserbusse zu entlasten. Ein Auswahlkomitee entschied sich für einen eleganten Brückenentwurf des spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava. Auch das ist inzwischen lange her. Zu sehen allerdings, ist von der Brücke nach wie vor nichts, erklärt Venedigs Bürgermeister Massimo Cacciari:

    "Es ist doch eine ganz normale Entwicklung, wenn sich heute, wo nicht mehr nur ein Mann entscheidet, sondern viele Bürger das Recht haben mitzureden, ein Projekt in die Länge zieht. Hinzu kommt, dass wir weitere technische Untersuchungen durchführen müssen und die dauern. Untersuchungen, die die Pfeiler der Brücke betreffen, auf die bei der Anbringung des Brückenweges ein Druck von 1.500 Tonnen ausgeübt wird. Wir hoffen aber, dass diese Untersuchungen bis Juni abgeschlossen sein werden. Die Proteste gegen die Brücke? Sinnlose Rufe, nicht mehr."

    Tatsächlich nämlich gibt es auch Kritik an Calatravas Plänen, die vielen Venezianern zu modern sind.

    Für Massimo Cacciari dagegen handelt es sich bei der neuen Brücke um ein weltweit einmaliges Kunstwerk. Der Architekt entwarf einen 81 Meter langen Steg mit einem ganz niedrigen Bogen. An seinen Enden ist die Brücke 6 Meter breit, in ihrem Zentrum ganze 9 m. Das tragende Gerüst besteht aus Stahl. Der Fußboden wird aus Glas und Stein sein. Hypermodern und, erklärt die venezianische Kulturmanagerin Claudia Albrin, ein unnötiger Fremdkörper in einer Stadt, die nur über alte Bausubstanz verfügt:

    "Man hat sich immer dafür eingesetzt, seit den 70er Jahren, die Stadt architektonisch zu modernisieren, damit sie kein Architekturmuseum wird. Das ist auch richtig so, aber Neubauten sollten nur am Stadtrand entstehen. Calatravas geplante Brücke ist wunderschön, passt aber keineswegs in den historisch gewachsenen und relativ homogenen Kontext der Stadt. Hier passen nur Neubauten hin, die mit der bestehenden Architektur kompatibel sind."

    Die Brücke von Santiago Calatrava liegt, zum großen Teil schon fertig produziert, in einer riesigen Lagerhalle. Montiert werden kann sie aber nicht, weil immer neue technische Probleme auftauchen - präsentiert vor allem von einem Komitee aus Architekten und Kunsthistorikerin, die sich entschieden gegen die Brücke aussprechen. Neben dem Hinweis auf das im historischen Ambiente der Stadt angeblich störende moderne Design und offene technische Fragen, denn immerhin besteht der Baugrund aus in den Schlamm der Lagune getriebenen Baumstämmen, gibt es auch einen anderen Kritikpunkt, der in der italienischen Öffentlichkeit für viel Aufsehen sorgt. Die geplante Brücke kann nicht von gehbehinderten Menschen in Rollstühlen befahren werden. Repräsentanten von Behindertenverbänden aus ganz Italien halten das für einen Skandal. Verwiesen wird auf ein nationales Gesetz, wonach alle Neubauten für Rollstuhlfahrer zugänglich sein müssen. Venedigs Stadtverwaltung scheint dieses Gesetz bewusst ignoriert zu haben, wies sie doch jahrelang darauf hin, dass Calatrava nicht einfach ein Brückenbauer sei, sondern ein Künstler und einem Künstler dürfe man nicht vorschreiben, wie er war zu bauen habe.

    Nach langen Diskussionen und unter dem Druck, der auch aus Rom auf die Stadtverwaltung Venedig ausgeübt wurde, gelang es den spanischen Architekten dazu zu bewegen, sein Projekt ein wenig zu verändern. Aber auch danach wird es kein Kinderspiel für Rollstuhlfahrer sein, die Brücke zu nutzen. Die Stadtverwaltung versucht es mir einer, wie sie es nennt, salomonischen Lösung: einem kostenlosen Wasserbusservice, der Gehbehinderte von einem Ufer zum anderen bringen soll. Sie bliebe, argumentiert man im Rathaus, das originale Brückeprojekt bestehen und die Behindertenverbände wären befriedigt. Doch von einem venezianischen Brückenfrieden kann keine Rede sein, denn da gibt es ja immer noch das Gesetz für behindertenfreundliche Neubauten - es sei denn, so die Hoffnung des venezianischen Bürgermeisters, der italienische Kulturminister würde die Calatrava-Brücke zu einem Kunstwerk erklären. In so einem Fall müssten die Proteste der Behindertenverbände ad acta gelegt werden, denn ein Kunstwerk muss ja nicht unbedingt behindertenfreundlich sein.