Im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina, nah beim weltweit größten "Oktoberfest" außerhalb Münchens, hat die Theatermacherin Karin Beier fundamental fremde Deutsche getroffen: Die deutsche "Colonia", die um 1849 herum vom Hamburger Kolonial-Verein gegründet wurde und damals "Dona Francisca" hieß; die Stadt, die heute an dieser Stelle steht, heißt Joinville - und noch in sechster Generation sprechen viele hier kaum ein Wort brasilianisches Portugiesisch; und fühlen sich allemal als die Tüchtigeren neben den Einheimischen, die sie "Caboclos" nennen. Hermann Schucher zum Beispiel, heute 70 und schon in Joinville geboren:
"Was die "Caboclos" von uns, den Deutsch-Brasilianern, denken: kalt, dickköpfig, unfreundlich - dann diese Pünktlichkeit! Und an die Unpünktlichkeit im Land will ich mich gar nicht gewöhnen."
Keine Chance für deutsche Tugenden, deutsche Kultur, außerhalb der eigenen Gemeinde:
"Kunst und Kultur sind für den "Caboclo" böhmische Dörfer - wir singen wenigstens noch - das kann man gar nicht oft genug machen."
Frau Brand, an der nächsten Station des Rundgangs, ist die Musiklehrerin für die Deutschen von Joinville:
"Es steht schon in der Bibel: Was nicht mit Schmerzen erarbeitet wird, wird nicht mit Freude genossen."
Ottilie Kurz ist 93 - und die deutschen Weisheiten sind der Siedlerin ins Herz geschrieben. Und Jorge Hildebrandt, schon geboren vor Ort, machte Karriere als Lokalpolitiker:
"Die Regierungspartei wollte einen starken Gegenkandidaten für ihren eigenen Bewerber, das war ein Großindustrieller. Einen, der bekannt war in der Kolonisation, den auch die Bauern kannten und da sind sie auf mich verfallen; das kann nur der Hildebrandt machen!"
Auch jetzt noch staunt der Hamburger Schauspieler Michael Wittenborn, der da gerade den teuto-brasilianischen Dorfschulzen spielt, über andere Einlassungen der befragten Deutsch-Brasilianer:
"Da wird genau unschuldig vom "deutschen Blut" geredet, ein Begriff, den wir kaum noch in den Mund zu nehmen wagen, kommt da ganz leicht über die Lippen: Unser deutsches Blut wurde anders gelernt - hat mir einer genau so gesagt!"
Andere Geschichten wirken tieftragisch - die von Balthasar Koch etwa, die Wittenborns brasilianischer Schauspiel-Kollege Alexandre Krug spielt. Als er (ein Traum wurde wahr!) nach Deutschland fuhr Anfang der 30er-Jahre, traf er prompt auf den deutschen Faschismus: einen SA-Mann, der ihn fragte:
"Was? Was bist Du? Du bist Brasilianer? Nein - voce e Alemão! / Nein, wart’ mal - eu sou Alemão, mas especial, do exterior: auslandsdeutsch!"
Von wegen: Auslandsdeutscher - als Verräter galt er den Deutschen. Und wieder daheim galt er den Brasilianern als deutscher Kriegstreiber; so sind gerade die Gutmütigen zerrissen worden ...
"Ich heiße Diane, habe fünf Jahre in Deutschland gelebt und diese ganze Geschichte mit der türkischen Immigration miterlebt, bin dann aber hier nach São Paulo zurückgekommen, um meinen Doktor zu machen."
... so meldet sich übrigens eine junge Deutsch-Brasilianerin beim Gespräch im Goethe-Institut von São Paulo zu Wort; und Karin Beier spricht über die multikulturellen Grundmotive dieser Recherche in der Fremde, über das Denken in parallelen Welten:
"Das hat mich ja als Erstes interessiert - weil wir ja auch in Deutschland Lösungen finden müssen: Dass man nicht mehr linear denkt, eingleisig, dass in Alternativen gedacht wird; wo es auch mir sehr schwer fällt, Sachen einfach mal nebeneinander stehen zu lassen. Aber das ist die Zukunft."
- … die die deutschen Brasilianer nicht mit machen?
"Ja ja, aber hier kann ich zeigen, wie falsch das ist, aber an einem deutschen Beispiel! Und man will doch immer die Welt zum Besseren wenden."
"Hej, Alemão, voce! - Du, Deutscher, Du bist gemeint!" Die brasilianische Schauspielerin Mariana Senne sprach Elfriede Jelineks Kommentar zum überdeutschen Wesen in kolonialer Fremde; "Deutschen-Bashing" nennt auch Karin Beier das. Und dieser zweite Teil der Aufführung, quase der Epilog der Aufseherin in der Ausstellung, wird bei der Ankunft des Stückes Anfang nächsten Jahres in Hamburg belegen, wie nahe der Besuch in der Fremde dem Spiel im Hier und Heute kommen wird.
"Was die "Caboclos" von uns, den Deutsch-Brasilianern, denken: kalt, dickköpfig, unfreundlich - dann diese Pünktlichkeit! Und an die Unpünktlichkeit im Land will ich mich gar nicht gewöhnen."
Keine Chance für deutsche Tugenden, deutsche Kultur, außerhalb der eigenen Gemeinde:
"Kunst und Kultur sind für den "Caboclo" böhmische Dörfer - wir singen wenigstens noch - das kann man gar nicht oft genug machen."
Frau Brand, an der nächsten Station des Rundgangs, ist die Musiklehrerin für die Deutschen von Joinville:
"Es steht schon in der Bibel: Was nicht mit Schmerzen erarbeitet wird, wird nicht mit Freude genossen."
Ottilie Kurz ist 93 - und die deutschen Weisheiten sind der Siedlerin ins Herz geschrieben. Und Jorge Hildebrandt, schon geboren vor Ort, machte Karriere als Lokalpolitiker:
"Die Regierungspartei wollte einen starken Gegenkandidaten für ihren eigenen Bewerber, das war ein Großindustrieller. Einen, der bekannt war in der Kolonisation, den auch die Bauern kannten und da sind sie auf mich verfallen; das kann nur der Hildebrandt machen!"
Auch jetzt noch staunt der Hamburger Schauspieler Michael Wittenborn, der da gerade den teuto-brasilianischen Dorfschulzen spielt, über andere Einlassungen der befragten Deutsch-Brasilianer:
"Da wird genau unschuldig vom "deutschen Blut" geredet, ein Begriff, den wir kaum noch in den Mund zu nehmen wagen, kommt da ganz leicht über die Lippen: Unser deutsches Blut wurde anders gelernt - hat mir einer genau so gesagt!"
Andere Geschichten wirken tieftragisch - die von Balthasar Koch etwa, die Wittenborns brasilianischer Schauspiel-Kollege Alexandre Krug spielt. Als er (ein Traum wurde wahr!) nach Deutschland fuhr Anfang der 30er-Jahre, traf er prompt auf den deutschen Faschismus: einen SA-Mann, der ihn fragte:
"Was? Was bist Du? Du bist Brasilianer? Nein - voce e Alemão! / Nein, wart’ mal - eu sou Alemão, mas especial, do exterior: auslandsdeutsch!"
Von wegen: Auslandsdeutscher - als Verräter galt er den Deutschen. Und wieder daheim galt er den Brasilianern als deutscher Kriegstreiber; so sind gerade die Gutmütigen zerrissen worden ...
"Ich heiße Diane, habe fünf Jahre in Deutschland gelebt und diese ganze Geschichte mit der türkischen Immigration miterlebt, bin dann aber hier nach São Paulo zurückgekommen, um meinen Doktor zu machen."
... so meldet sich übrigens eine junge Deutsch-Brasilianerin beim Gespräch im Goethe-Institut von São Paulo zu Wort; und Karin Beier spricht über die multikulturellen Grundmotive dieser Recherche in der Fremde, über das Denken in parallelen Welten:
"Das hat mich ja als Erstes interessiert - weil wir ja auch in Deutschland Lösungen finden müssen: Dass man nicht mehr linear denkt, eingleisig, dass in Alternativen gedacht wird; wo es auch mir sehr schwer fällt, Sachen einfach mal nebeneinander stehen zu lassen. Aber das ist die Zukunft."
- … die die deutschen Brasilianer nicht mit machen?
"Ja ja, aber hier kann ich zeigen, wie falsch das ist, aber an einem deutschen Beispiel! Und man will doch immer die Welt zum Besseren wenden."
"Hej, Alemão, voce! - Du, Deutscher, Du bist gemeint!" Die brasilianische Schauspielerin Mariana Senne sprach Elfriede Jelineks Kommentar zum überdeutschen Wesen in kolonialer Fremde; "Deutschen-Bashing" nennt auch Karin Beier das. Und dieser zweite Teil der Aufführung, quase der Epilog der Aufseherin in der Ausstellung, wird bei der Ankunft des Stückes Anfang nächsten Jahres in Hamburg belegen, wie nahe der Besuch in der Fremde dem Spiel im Hier und Heute kommen wird.