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Überraschung aus der Eiszeit

Paläontologie. – Das Bild vom Neandertaler hat sich in den 150 Jahren seit der Entdeckung der ersten Knochen stark gewandelt. Vom "tumben Toren" von einst bleibt immer weniger übrig. Ein Buch von Paläoanthropologen der Universität Tübingen zeichnet das komplexe Bild unseres nächsten Verwandten nach.

Von Dagmar Röhrlich | 26.03.2006
    Der Fund im Neandertal vor 150 Jahren war eine Sensation – und es ist fast unglaublich, dass an diesen Fund im Jahr 1999 angeknüpft werden konnte. Damals wurden weitere Knochen ausgegraben, die zum ersten Neandertaler von 1856 gehören. Zu den Entdeckern gehört Ralf Schmitz, der zusammen mit Michael Bolus ebenfalls die Geschichte unseres entfernten Verwandten erzählt.

    Der war anscheinend nicht der harte "Eiszeittyp", als der er gerne dargestellt wird. Vielmehr verstand er es, sich überwiegend in den gemäßigteren Breiten Europas aufzuhalten und das Land vor den Gletschern nach Möglichkeit zu meiden. Er kümmerte sich um seine Alten und Kranken, kannte sich wohl mit Heilpflanzen aus, bestattete seine Toten. Der Frage nach dem Kannibalismus wird ebenso nachgegangen wie der nach ihrem ästhetischen Empfinden. "Dachte der Neandertaler anders als wir", fragen sich die beiden Buchautoren. Ihre Antwort ist: Ja. Er sei zwar zweifellos ein fürsorglicher, vorausplanender und komplex handelnder Mensch gewesen, der auch gesprochen haben muss. Aber ob er auch ein künstlerischer Mensch war, da äußern die beiden Privatdozenten an der Universität Tübingen ihre Zweifel.

    Ein rundum lesenswertes und gut geschriebenes Buch, das auch mit unbekannten Geschichten und Geschichtchen rund um die Neandertalerforschung aufwartet. Sehr empfehlenswert.

    Michael Bolus, Ralf W. Schmitz: Der Neandertaler
    ISBN: 3-7995-9088-9
    Thorbecke Verlag, 192 Seiten, 19,90 Euro