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Ukraine-Konflikt
Ein "existenzieller Kampf" für Putin und Poroschenko

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko habe sich einen Vertrauensspielraum erarbeitet, um in den Gesprächen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin etwas erreichen zu können, sagte der SPD-Außenpolitiker Gert Weissenkirchen im DLF. Er glaube nicht, dass Poroschenko sich darauf einlasse, Teile der Souveränität der Ukraine aufzugeben.

Gert Weissenkirchen im Gespräch mit Dirk Müller | 26.08.2014
    Schwierige Vermittlung: Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko (Mitte) mit Waldimir Putin (l.) und Petro Poroschenko
    Schwierige Vermittlung: Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko (Mitte) mit Waldimir Putin (l.) und Petro Poroschenko (afp / Kirill Kudryavtsev)
    Dirk Müller: Was kann dieses Treffen bringen, mitten im Krieg, mitten in der militärischen Auseinandersetzung zwischen der ukrainischen Armee und den russischen Separatisten, wo schon ein Hilfskonvoi beide Seiten nahezu zur weiteren Eskalation zwingt, wo jetzt gerade ein zweiter geplanter Konvoi wieder dazu beiträgt, die Situation noch weiter zu verschärfen? Die beiden Präsidenten wollen miteinander reden, Petro Poroschenko und Wladimir Putin, unter vier Augen vielleicht, wenn das so klappt wie geplant, in Weißrussland, in der Hauptstadt Minsk. Die beiden „Feinde" treffen aufeinander. Der SPD-Außenpolitiker und Osteuropa-Kenner Gert Weisskirchen ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Tag! Die Tatsache an sich, dass dieses Treffen vermeintlich in wenigen Stunden stattfindet, ist das schon Entspannung?
    Gert Weisskirchen: Auf jeden Fall! Immerhin treffen sich die beiden Kontrahenten und es wäre gut, sie würden zu einer einvernehmlichen Lösung kommen.
    Müller: Und das ist für Sie schon eine realistische Perspektive, eine einvernehmliche Lösung zu finden? Das hört sich so viel an.
    Weisskirchen: Das wäre ein Beginn eines Prozesses, an dessen Ende ganz gewiss etwas steht, das wir heute noch nicht kennen, worauf aber dann die beiden sich verständigen müssen. Der Anfang jedenfalls, wenn er denn stattfindet, ist vielversprechend. Zumindest bedeutet er, dass die Gesprächsfäden zwischen den Kontrahenten neu geknüpft werden.
    "Die Integrität und Identität der Ukraine muss erhalten bleiben"
    Müller: Die meisten, Herr Weisskirchen, sagen ja, auch bei uns in den Medien, vor allem Wladimir Putin muss sich bewegen. Muss sich auch Poroschenko bewegen?
    Weisskirchen: Das ist ganz schwer zu beurteilen. Soweit Poroschenko überhaupt bewegungsfähig ist, zum Beispiel darüber mit Putin zu verhandeln am Ende, ob die Integrität der Ukraine, so wie sie jetzt im Status quo sich befindet, bleiben kann, das ist etwas, was er dann gegenüber seiner politischen Elite zu vermitteln hätte, wenn es denn anders käme, als er jetzt in das Gespräch hereingeht. Sein Ziel ist natürlich ganz klar und eindeutig und muss es sein: Die Integrität und Identität der Ukraine muss erhalten bleiben.
    Müller: Das heißt, absolute Priorität hat jetzt einmal die Deeskalation im Osten des Landes?
    Weisskirchen: So ist es. Und diese Deeskalation wird natürlich auch einen Preis von ihm verlangen, und die Frage ist, welchen Preis kann Putin für sich selber und für seine Situation, in die er sich hineinmanövriert hat, weil er den Druck von rechts und von unten doch sehr stark bekommt, welche Ziele können sie beide aufeinander so formulieren, dass am Ende ein vernünftiges Ergebnis steht.
    "Hier treffen sich zwei autonome Regierungschefs"
    Müller: Wenn wir über den Preis reden, Gert Weisskirchen, ist es unrealistisch, unwahrscheinlich zu sagen, das ist die Krim?
    Weisskirchen: Das kann ich natürlich überhaupt nicht selbst beurteilen und es ist auch nicht klug, wenn von außen jemand, der jetzt in dieser doch existenziellen Phase sich befindet, wenn man ihm von außen Ratschläge gibt. Sie wissen, was Johannes Rau dazu gesagt hat, das sind auch Schläge. Nein, das darf auf keinen Fall von außen in irgendeiner Weise signalisiert werden. Aber der entscheidende Punkt ist, hier treffen sich zwei autonome Regierungschefs und sie müssen dafür sorgen, dass aus diesem Gesprächsbeginn ein Prozess sich entwickelt, an dessen Ende ein vernünftiges, von beiden Seiten geteiltes Ergebnis sich entwickelt.
    Müller: Da möchte ich Sie, Herr Weisskirchen, nicht nach einem Ratschlag fragen, sondern unter uns die Frage noch mal aufwerfen. Könnte dieser Preis die Krim sein?
    Weisskirchen: Das kann ich nicht beurteilen und es ist auch nicht die Frage, die von uns zu beantworten ist. Dies ist ein autonomer Prozess von zwei Kontrahenten, die in einem existenziellen Kampf sich gegenseitig befinden. Putin hat den Kampf erzeugt, aber es ist ein existenzieller Kampf für ihn geworden, die Macht in Russland zu befestigen, zu halten, zu erweitern. Das ist sein Ziel und die Frage ist, ob Poroschenko sich darauf einlassen kann, Teile der Souveränität der Ukraine aufzugeben. Das halte ich für fast aussichtslos.
    Müller: Sie haben eben zu Beginn des Interviews auch gesagt, es ist nicht ganz klar, wie groß sein Spielraum ist. Sie kennen die Eliten gut. Wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, ich möchte Sie das dennoch abschließend fragen. Hat Poroschenko dennoch genügend Vertrauensvorsprung, um ein bisschen was machen zu können, um ein bisschen was entscheiden zu können?
    "Er hat sich diesen Vertrauensspielraum erarbeitet"
    Weisskirchen: Ich glaube, dass er sich diesen Vertrauensspielraum erarbeitet hat, und die Frage ist, inwieweit kann Putin und wie weit kann er gehen, inwieweit kann er sich bewegen, um sich mit Poroschenko zu treffen.
    Müller: Bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk der SPD-Osteuropa-Kenner Gert Weisskirchen. Danke für das Gespräch und vielen Dank dafür, dass Sie so kurzfristig eingesprungen sind.
    Weisskirchen: Danke, Herr Müller!
    Müller: Schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.