Ukraine
Timoschenko dirigiert die Opposition

Auf dem Maidan ist Julia Timoschenko allgegenwärtig. Wer glaubt, die gigantischen Porträts der inhaftierten Ex-Premierministerin seien ein pflichtschuldiger Tribut der Opposition und ansonsten ist sie vergessen, verkennt die Realität. Ihr Einfluss ist enorm, ja sie dirigiert geradezu die Oppositionspolitiker auf dem Maidan, ist Roman Bessmertnij überzeugt. Denn als die Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften drohten, in einen Bürgerkrieg überzugehen, war es Timoschenko, so der Politologe, die die Gewaltbereiten unter den Demonstranten adelte. Sie bezeichnete sie als Helden, das Blut dieser Helden klebe an den Händen des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, hatte die 53-Jährige geschrieben.

"Nehmen wir den 19. Januar. Als sich der Konflikt in einen Krieg verwandelte. Klitschko sprach von Provokateuren, Tjagnibok sprach von Provokateuren, Jazeniuk sprach von Provokateuren. Und was sagte Timoschenko? Dass sie Helden sind. Ich bewerte nicht, was der eine ohne andere gesagt hat, aber es ist klar, dass sie aus der Entfernung von 400 Kilometern die Ereignisse besser versteht als diejenigen, die hier sind. Darum geht es."

Wo immer die Oppositionspolitiker Klitschko, Tjagnibok und Jazeniuk auftauchen, tun sie es zu dritt. Ihr Statthalter Jazeniuk kommt in den Umfragen auf keinen grünen Zweig, da er nicht als eigenständige Figur wahrgenommen wird. Sollte er andererseits versuchen, sich von Timoschenko abzusetzen, würde er von ihr kaltgestellt werden, liefe die Kommunikation über einen neuen Vertrauten. Timoschenko orchestriert das Geschehen, sagt Roman Bessmertij.

"Nicht die drei führen, sondern sie. Sie gibt die Kommandos, wie gehandelt werden muss. Nehmen sie die Briefe, die sie schreibt. Und schauen sie auf das, was die drei tun. Was von ihr geschrieben wurde, erfüllen sie."

Überbringerin zahlreicher Botschaften ist die Tochter Jewgenia Timoschenko. Sie teilt in Interviews mit, dass die Opposition nicht in eine Regierung Janukowitsch geht, als ihr Statthalter Jazeniuk dies noch nicht ausgeschlossen hatte. Sie lässt die Gegner wissen, dass sie bei vorgezogenen Wahlen kandidieren will, denn sie sei und bleibe die wichtigste Opponentin der Machthaber und verfügt, dass alle Oppositionskandidaten einzeln an der Präsidentschaftswahl teilnehmen sollten und sich alle im zweiten Wahlgang hinter der oder dem mit den meisten Stimmen versammeln.

Arseni Jazeniuk, der seine eigene Partei, die Front Smin, gegründet hatte, aber sie mit Timoschenkos Vaterlandspartei vereinigte, fordert, wenn er die Freilassung der inhaftierten Demonstranten verlangt, immer auch ihre Freiheit. Doch von Herzen wünschen kann sich keiner ihre Freiheit, nicht Präsident Janukowitsch, nicht die Troika.

"Von allen Oppositionsführern ist Julia Timoschenko die populistischste und radikalste. Viel radikaler als alle drei zusammengenommen. Wenn man sie frei ließe, würde das die Situationen von Grund auf verändern. Für alle Beteiligte. Sie würde ein sehr großes Problem für alle darstellen. Sie ist bislang eine Waffe, von der noch kein Gebrauch gemacht wurde, die aber alles einschneidend verändern kann."

Deshalb habe keiner der Oppositionsführer ein wirkliches Interesse an ihrer Freilassung, mutmaßt der Politologe Andrej Portnow. Der frühere Abgeordnete Roman Bessmerntnij beschreibt Timoschenko als eine Person vom Schlage Berlusconi. Eine Spielerin. Unmöglich, sie nicht zu bemerken, sie nicht zu sehen auf dem Spielfeld. Würde Julia Timoschenko jetzt tatsächlich begnadigt, müsste Jazeniuk in die zweite Reihe treten, wäre das Trio abgemeldet und sie die Galionsfigur.