Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ukraine und Russland streiten um Timoschenko

Julia Timoschenko sitzt seit einer Woche in Untersuchungshaft. Dafür hat sich die Ukraine auch Kritik aus Russland eingehandelt. Dabei geht es dem Kreml jedoch nur vordergründig um einen fairen Prozess gegen die ehemalige Premierministerin.

Von Mareike Aden | 12.08.2011
    Äußerlich gab sich der gewöhnlich steife Wiktor Janukowitsch so locker wie möglich, bevor er Russlands Präsident Dmitrij Medwedew zu einem Treffen hinter geschlossenen Türen in dessen Urlaubsresidenz in Sotschi folgte. Auch Medwedew begrüßte seinen ukrainischen Amtskollegen in betont guter Laune. Und zumindest in Anwesenheit von Journalisten sprach Medwedew den Namen Julia Timoschenko nicht aus.

    "Wir werden natürlich über das Thema Gas sprechen – das ist traditionell schwierig aber unvermeidbar. Es gibt sowieso viele Fragen, über die wir sprechen können und das sollte wie immer in offener und freundlicher Atmosphäre sein. Ich hoffe, dass wir über alle Themen sprechen können, die uns interessieren."

    Hinter den Kulissen wird Medwedew seinem Gast das Thema Timoschenko kaum erspart haben. Immerhin hatten das russische Außenministerium und der Kreml die Ukraine nach der Verhaftung der früheren Regierungschefin scharf kritisiert und einen fairen Prozess verlangt. Der Moskauer Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift "Russia in Global Affairs" betont jedoch: Russland habe sich damit nicht für Timoschenko ausgesprochen, sondern für die Gasverträge, die sie Anfang 2009 mit Wladimir Putin geschlossen hat und für deren Abschluss sie nun angeklagt ist.

    "Die politische Führung der Ukraine wollte zwei Hasen mit einem Schuss zum Erliegen bringen – wie man auf Russisch sagt: Sie wollten Timoschenko aus der politischen Arena drängen und gleichzeitig die Gasverträge mit Russland in Frage stellen. Denn bei einem Schuldspruch hätte man ein neues Argument, um diese Verträge neu zu verhandeln."

    Die Ukraine möchte billiger Gas aus Russland bekommen, damit ihre energiehungrige Metallindustrie profitabel bleibt - oder zumindest mehr Transitgebühren für das Gas, das Russland durch die Ukraine nach Europa pumpt. Das muss durch ukrainische Leitungen – so wurde das Pipelinenetz zu Sowjetzeiten gebaut. Doch Russland ist zufrieden mit den von Timoschenko ausgehandelten Verträgen von 2009: Derzeit zahlt die Ukraine rund 300 Dollar pro 1000 Kubikmeter russisches Gas – 2004 waren es noch 60 Dollar.

    Dazwischen lagen mehrere Gasstreits, in denen Russland höhere Preise und Schuldenbegleichungen forderte. Der damalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko wiederum sah das als Strafe für seinen prowestlichen Kurs. Als Russland der Ukraine in bitterkalten Wintern das Gas abstellte, zweigte die Ukraine für Europa bestimmtes Transitgas ab.
    Als Wiktor Janukowitsch Anfang 2010 Präsident wurde, gab es erst einmal Einigkeit: Russland konnte den für 2017 vereinbarten Abzug seiner Schwarzmeerflotte aus der Ukraine abwenden.

    Dafür bekam Janukowitsch Gasrabatte. Weitere Großprojekte kamen nicht zu Stande – auf eine Fusion des ukrainischen Energiekonzerns Naftogas mit Gazprom hofft Russland bisher vergeblich.

    "Jeder ukrainische Präsident wird seine Politik so ausrichten, dass deutlich wird: Wir sind nicht Russland. Jeder wird versuchen so zu manövrieren, dass die Ukraine sich weiter etabliert als ein von Russland unabhängiger Staat. Auch der Fall Timoschenko zeigt, dass es keinen Sinn macht von prorussischen und prowestlichen Politikern zu sprechen: Janukowitsch hat das nur gemacht um seine eigene Position in der Ukraine zu stärken."

    Doch diese Rechnung scheint sowohl innen- als auch außenpolitisch sehr riskant. Lukjanow glaubt: Janukowitsch hat sich überschätzt, der Schaden ist längst da:

    "Wladimir Putin gefällt die Kritik an seinem Gasvertrag gar nicht, er ist sehr irritiert. Ich bin sicher, er wird all seinen Einfluss gegen die ukrainische Führung einsetzen."

    Sollte es wieder zu einem Gaskonflikt kommen, könnte die russische Führung also ein unnachgiebiger Verhandlungspartner sein – oder andere, große Zugeständnisse fordern von der Ukraine. Immerhin wird Putin vor den Parlamentswahlen im Dezember keine Schwäche zeigen wollen. Und sich zu weit abwenden vom großen Nachbarn Russland, das kann Janukowitsch wohl nicht. Zumal der Prozess gegen Timoschenko derzeit auch in den USA und der EU besonders aufmerksam verfolgt wird.