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Uli Hoeneß als Kommentator
RTL setzt auf den Dino

Uli Hoeneß kommentiert künftig bei RTL Spiele der Fußball-Nationalmannschaft der Herren. Für den Sender ist das ein Coup, der Publikum anzieht. Rein fernsehgeschichtlich ist dieses Ereignis aber eine Rolle rückwärts, kommentiert Christian Gampert.

Ein Kommentar von Christian Gampert | 25.03.2021
Uli Hoeneß, Ehrenpräsident vom FC Bayern, 2019 mit Blumenstrauß bei einer Ehrung im Stadion
Uli Hoeneß: Der Ehrenpräsident vom FC Bayern wird Kommentator bei RTL (picture alliance/dpa | Matthias Balk)
Unter all den Fußballern, die nach Karriereende zum Fernseh-Experten mit Analyse-Kompetenz befördert wurden, war zweifellos der frühere Mittelfeldstratege Günter Netzer der intelligenteste, schlagfertigste und humorvollste – im Zusammenspiel mit einem gleichwertigen Gegenüber, dem Moderator Gerhard Delling. Die beiden hatten etwas, was Ulrich Hoeneß, dem jetzt erstmals antretenden Novizen des Gewerbes, zeitlebens abging: Selbstironie. Hoeneß steht für die bierernste Abteilung Attacke, allerdings mit einem erheblichen theatralen Unterhaltungswert bei hohem Hasspotential für den jeweiligen Gegner.
"Da muss ich ehrlich sagen, der ist einer derjenigen, wo ich heute nicht mehr die Hand geben wollte."
Ums Handgeben geht es in dem neuen Job nur am Rande. Hoeneß wird auf die Fragen des RTL-Moderators Florian König antworten müssen. Auch auf solche, die ihm vielleicht nicht liegen.
"Das ist eine Scheißfrage, auf Deutsch gesagt. Vielleicht mal eine vernünftige Frage?"
Oder vielleicht mal eine bescheuerte Frage?
"Diese total bescheuerte Frage."

Stärke in der Eskalation von Konflikten

Das wird also eher anstrengend werden. Betrachtet man all die Systemdenker und Feinanalytiker, die - nach ihrer gerade zu Ende gegangenen Karriere – heute jeden Spielzug quasi-wissenschaftlich zu zerlegen vermögen, also Sandro Wagner oder auch das Duo Thomas Broich/ Jérôme Polenz – dann, ja dann kommt der 70er-Jahre-Kicker Ulrich Hoeneß aus dem Pleistozän des Profifußballs. Und rhetorisch liegt Hoeneß‘ Stärke in der Eskalation von Konflikten, nicht im mikroskopischen Blick.
"Da ist doch unglaublich! Was glaubt ihr eigentlich, was wir das ganze Jahr über machen, damit wir euch für sieben Euro in die Südkurve gehen lassen können? Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert?"
30 Jahre Sport im Pay-TV
Am 2. März 1991 gab es in Deutschland zum ersten Mal Livesport im Bezahlfernsehen. Seither ist das Angebot deutlich gewachsen und beschränkt sich längst nicht mehr aufs lineare Fernsehen. Zum größten Gewinner wurde der Fußball.
Ulrich Hoeneß finanzierte sich immer selbst. Bisweilen war es nicht ganz sauber, aber gerade deshalb ist sein Auftritt bei RTL für den Sender ein Coup, der Publikum zieht.
Doch rein fernsehgeschichtlich ist dieses Ereignis eine Rolle rückwärts. Man setzt auf den Dino, auf die Emotion. Als RTL Hoeneß engagierte, hatte Jogi Löw seinen Rücktritt noch nicht verkündet, und der Sender hoffte wohl, dass der neue Experte den schwachen Bundestrainer in die Tonne treten würde. Jetzt, da Löws Abgang terminiert ist, wird Hoeneß eher einen Gang zurückschalten und Löw seine ganz persönlichen Vorstellungen zur Nationalmannschaft unterbreiten.

Warum kommen die Experten immer von Bayern München?

Dazu gehört vor allem, dass Thomas Müller wieder mitspielen darf, wogegen gar nichts zu sagen wäre – würde die Forderung nicht mit bajuwarischer Penetranz täglich wiederholt. Genauso wie andere Litaneien.
"Manuel Neuer ist doch viel besser. Und viel erfahrener. Da gibt’s doch gar keine Diskussion für irgendjemand auf der Welt, daran zu zweifeln, dass Manuel Neuer bei uns in Deutschland im Tor steht."
Bei RTL soll es aber Diskussionen geben, dazu ist so ein TV-Experte ja da. Ob das wohl gelingt?
"So geht’s schon mal los, ja? Und dann kannst du dir deine Dinge hinter die Ohren schmieren."
Es wird also nur am Rande darum gehen, ob die Viererkette wieder zu hoch stand oder die Angreifer sich defensiv richtig bewegt haben. Hoeneß wird ganz allgemeine Einschätzungen geben, so wie letzthin der freundliche Stammler Bastian Schweinsteiger, der schon auf dem Platz nicht gerade ein Intellektueller war. Warum kommen die Experten immer von Bayern München? Mehmet Scholl, Oliver Kahn - die Ahnenreihe geht zurück bis zu Franz Beckenbauer, bei dem man in den 1990er-Jahren nie wusste, ob er als Experte oder als Vertreter des FC Bayern sprach.
100 Jahre "Kicker"
Wer sich heute über Fußball informiern will, hat die Qual der Wahl. In der Masse von gedruckten und digitalen Angeboten sticht ein Magazin heraus: Der "Kicker" wird am 14. Juli 100 Jahre alt. Eine Suche nach dem Erfolgsrezept.
Derlei Unterscheidungen werden auch bei Ulrich Hoeneß schwierig. Und mancher Zuschauer wird sich fragen, ob ein verurteilter Steuerflüchtling nun unbedingt als Experte nobilitiert werden muss. Aber:
"Hört endlich mal auf, in jeder Suppe ein Salz zu finden!"
Gut, machen wir. Hauptsache, Thomas Müller fährt mit zur Europameisterschaft. Dann kann Ulrich Hoeneß wieder ruhig schlafen. Und der Rest der Nation wahrscheinlich auch.
"Schönen Abend, tschüss."
*Alle Zitate in diesem Beitrag stammen von Uli Hoeneß