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Um Leben und Tod

"Before life and after" heißt die CD von Tenorsänger Mark Padmore und Pianist Roger Vignoles. Musik, bei der vor allem die Stimme im Vordergrund steht - und natürlich die Kompositionen von Benjamin Britten.

Von Falk Häfner | 19.07.2009
    Um Leben und Tod geht es auf der neuen CD von Mark Padmore. "Before life and after", so hat der Tenor sein Album mit Musik von Bejamin Britten genannt. Das möchte ich Ihnen heute vorstellen. Am Mikrofon begrüßt Sie Falk Häfner

    Klar, rein, strahlend, sicher in der Höhe – das allein sind schon klangliche Qualitäten, die einen lyrischen Tenor ausmachen. Doch bei Mark Padmore kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: Er klingt immer natürlich. Keine Spur von verkünstelter Sängerattitüde, nichts Aufgesetztes, nichts Überhöhtes. Mark Padmore ist ganz er selbst, wenn er singt. Damit rührt er die Herzen seiner Zuhörer. Und allein das würde schon reichen, um eine große Karriere zu machen. Und wäre doch gleichzeitig viel zu wenig für einen wie Mark Padmore. Denn sich auf Wohlklang auszuruhen, das ist nicht sein Ding. Mark Padmore ist einer, der sich mitteilen möchte. Seine Liederabende, das sind Reden, Erzählungen, Klagen, Mythen. Die Sprache steht dabei immer an vorderster Stelle. Die Musik, so scheint es, dient eher als Mittel zum Zweck, um die Botschaft noch deutlicher zu formulieren.

    So erklärt sich auch die Programmauswahl seiner neuesten CD. Denn Padmore hat Benjamin Brittens Volksliedbearbeitungen, dessen Zyklus "Winter words" und einige Arrangements von Purcell-Kompositionen einem sperrigen, aber bewegenden Werk Benjamin Brittens gegenübergestellt: Den "Holy Sonnets of John Donne". Im Jahre 1945 vertonte Britten diese etwa 400 Jahre alte Lyrik. Doch ging es ihm hierbei nicht nur um eine abstrakte Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben, sondern um die Verarbeitung eines persönlichen Erlebnisses. Kurz nach der Kapitulation Deutschlands hatte er 1945 gemeinsam mit Yehudi Menuhin deutsche Konzentrationslager aufgesucht. Das Grauen dort erfasste ihn auch körperlich: Heftige Fieberschübe beutelten Britten. In der Musik, die kurz darauf – in nur zehn Tagen - entstand, ist das Entsetzen regelrecht greifbar. Seufzer, absteigende Akkordfolgen, heftige Dissonanzen, harmonisch schmerzhafte Reibungen, das sind die musikalischen Bausteine, die mit der dunklen, todessehnenden Lyrik von John Donne korrespondieren.

    Death, be not proud (aus "The Holy Sonnets of John Donne, op. 35”)

    "Death, be not proud” – Tod, sei nicht stolz – so sang Mark Padmore gerade. Eine trotzige Abrechnung mit dem Tod, dem hier seine furchteinflößende Wirkung abgesprochen wird. Da heißt es: "Von Ruhe und Schlaf, die nur Dein Abbild sind, fließt schon so viel Freude, von Dir muss sie noch größer sein". Entsprechend dieser Aussage verändert sich auch Mark Padmores Stimme. Im Verlauf des Liedes weicht alles Zarte, Wohlklingende zugunsten eines metallischen, fordernden, entschlossenen Klanges. Für die Interpreten wie für die Hörer ist das keine leichte Kost – doch wer den Text zur Hand nimmt, wird sich der musikalisch-genialen Umsetzung kaum entziehen können.

    Der Barock-Komponist Henry Purcell war eines der großen Vorbilder für den 1913 geborenen Benjamin Britten. In den Liederabenden, die Britten gemeinsam mit seinem Partner, dem Tenor Peter Pears gab, bildeten Purcells Lieder oft den Grundstock. In den Bearbeitungen von Purcells Musik geht Britten allerdings über das hinaus, was das damals übliche Cembalo als Begleitinstrument leisten konnte. Britten nutzt die klangliche Bandbreite, die der moderne Flügel bietet: die dynamische Differenzierung, das Pedal, das Legatospiel. Die Gesangsstimme belässt er nah am Original und folgt in "A morning hymn" aus Purcells "Harmonia sacra" dem ariosen Stil der Urfassung.

    A Morning Hymn

    Er habe "flüssige Glut in der Stimme", so wurde einmal über den 1961 geborenen Tenor Mark Padmore geschrieben. Aber mehr noch als die Glut ist es wohl die Wahrhaftigkeit, die seinen Gesang so eindringlich macht. Was Padmore singt, das nimmt man ihm ab: Egal, ob er von Liebe, vom Tod, von Sehnsucht oder von Erfüllung spricht.

    Wie man sich in Musik ausdrückt, das hat der Brite umfassend gelernt. Den ersten musikalischen Hinweis in seiner Biografie gibt es im Jahre 1965. Da bringt Santa Claus dem Vierjährigen eine Blockflöte. Von nun an wird Musik zur beherrschenden Größe in Padmores Leben. Zum achten Geburtstag ist es schon eine LP von Mr. Acker Bilk, die den musikbegeisterten und Klarinette lernenden Knaben glücklich macht. Mit elf tritt er in den Schulchor ein und lernt auch zusätzlich noch Klavierspielen. Später wird er Chorknabe im berühmten Chor des Kings College Cambridge. Gleichzeitig spielt er in einem Jugendorchester Klarinette.
    Von da an ist der Weg zum Sänger im Hilliard Ensemble nicht mehr weit. Und in den 90ern entdecken ihn auch die wichtigsten Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis. Padmore gastiert mit französischem Barockrepertoire regelmäßig bei William Christie und Les Arts Florissants und singt bei Philippe Herreweghe und dem Collegium Vocale Gent vor allem Bach. Padmore ist mit seinem strahlenden Timbre und seiner beeindruckenden Diktion DER ideale Evangelist.

    Inzwischen ist der Liedgesang zu einem der wichtigsten Bereiche seiner Arbeit geworden. Auf der neuen CD hat sich Padmore auch noch einem weiteren – vielleicht sogar dem gelungensten Liedzyklus von Benjamin Britten zugewandt -"Winter words". Im Jahr 1953 ist der acht Lieder umfassende Zyklus auf Gedichte von Thomas Hardy entstanden. Darunter "Before life and after" – das Lied, das dem neuen Album von Mark Padmore auch seinen Titel gab:

    "Es gab eine Zeit, wie man vermuten könnte,
    und wovon die Erde zeugt,
    als es das Bewusstsein noch nicht gab
    und alles gut noch ging.

    Niemand litt an Krankheit; Liebe oder Verlust,
    keine kannte Reue, Hoffnungslosigkeit oder Herzeleid,
    keinen kümmerte es, ob Unfall oder Unheil
    den Dingen Verderben brachte.

    Wenn etwas verging, trauerte keine Stimme,
    wenn jemand weinte oder jammerte, zerbrach kein Herz.
    Wenn das Licht verlosch und es dunkel wurde
    rührte das niemanden.

    Doch dann keimte die Krankheit des Gefühls,
    und das anfangs Richtige nahm die Farbe des Falschen an;
    Wie lang, bis das Unbewusste wieder hergestellt sein wird,
    wie lang?


    Before life and after

    "Before life and after”, das neue Album des britischen Tenors Mark Padmore mit Kompositionen von Benjamin Britten. Am Klavier begleitet wird Padmore von Roger Vignoles. Die CD ist jetzt bei harmonia mundi erschienen.
    Das war eine Empfehlung von Falk Häfner.


    CD-Titel "Before life and after"
    Komponist: Benjamin Britten
    Mark Padmore, Tenor & Roger Vignoles, Klavier
    (harmonia mundi HMU 907443 / LC: 07045)