In ihrem schwarzen Geländewagen fährt Christina Grätz durch die Gemeinde Birkenwerder im Norden von Berlin. Es ist viertel vor sechs am Morgen, auf den Dorfstraßen ist nicht viel los.
"Wir fahren jetzt an die Autobahn zu dem Nest, das wir heute umsetzen wollen", sagt sie.
Trotz sommerlicher Temperaturen tragen Grätz und ihre Mitarbeiterin Karina Möller feste Arbeitskleidung und hohe Arbeitsstiefel. Hinten am Auto hängt ein langer Anhänger:
"Wir müssen ja das Ameisenvolk einladen, viele denken, dass das nur die kleine Nestkuppel ist, das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Vor zwei Wochen hatten wir ein Nest, da musste der große Anhänger vollgeladen werden, da hatten wir 120 Papiersäcke voll."
Grätz hat sich mit ihrem Unternehmen auf die Renaturierung von Landschaften spezialisiert. Auch der Umzug von Ameisen gehört zu ihrem Metier. Im Norden Berlins arbeitet sie mit ihren Angestellten derzeit im Akkord. Rund 200 Nester müssen sie vor dem Bagger retten.
Früh am Morgen, bevor die Tierchen richtig in Gang kommen, fangen die Biologen und Landschaftsgärtner mit der Arbeit an. Drei, vier, fünf Nester schafft ein Zweierteam an einem Tag.
Mit behandschuhten Händen rein in den Bau
Auf dem Parkplatz einer Autobahnraststätte kommen wir zum Stehen. Karina Möller geht zum Anhänger, sie klappt die weiße Plane hoch:
"Das Equipment sind die Papiersäcke an sich. Spaten ist wichtig, und wenn man einen Baustumpf mit drin hat, braucht man auch mal die Kettensäge."
Durch Brennessel und über einen Wassergraben geht es zu dem auf der Karte markierten Nest. Es liegt gerade einmal zwei Meter von der Leitplanke der Autobahn entfernt.
Grätz kniet sich davor und zieht ein paar Handschuhe über ihre roten, von Ameisensäure verätzten und geschwollenen Hände. In das Gewimmel zu fassen, ist das Letzte, was man sich eigentlich vorstellen kann. Sie geht mit beiden Händen mitten rein:
"Also beim ersten Mal nehme ich die weichen Nestbestandteile und erst jetzt sehe ich, wie es den Tieren geht. Hier kommen die Puppen, also dann geht es ihnen gut."
Karina Möller steht mit einem großen festen Papiersack daneben. Ameisen, die verpuppten Eier, die Larven, Gräser und was sonst noch zum Nest gehört, wird systematisch in die Säcke gepackt. Schon rennen mehrere Tierchen auf Christina Grätz' Armen Richtung Kopf, sie krabbeln in den Nacken und vorne in den Ausschnitt des T-Shirts hinein:
"Normalerweise habe ich kein Problem damit, dass die da rumkrabbeln. Aber der Rücken sieht so aus wie unsere Hände, der Hals auch, verätzt und mit Wunden, das ist jetzt langsam, ja, schmerzhaft."
Ein großes Ameisennest kann bis zu zwei Meter tief und rund anderthalb Meter breit sein. Dieses hier ist jedoch klein, es geht nur knapp 50 Zentimeter in den Boden. Schon nach einer halben Stunde ist alles in zwölf Papiertüten verstaut. In das Loch im Boden legt Grätz nun ein paar Holzzweige:
"Es können ja Zauneidechsen oder andere Kleintiere in die Löcher fallen, und die kommen nicht so einfach da raus", sagt Grätz.
Ameisen werden an ungefährdete Stellen umgesiedelt
Kurz darauf sitzen wir schon wieder im Auto. Hinten auf dem Anhänger die in Tüten verpackten Ameisen. Das Ziel: ein nahegelegenes Waldstück:
"Das ist ja eine Formica Pratensis, Wiesenwaldameise, die will am Rand sein, wo auch ein paar Wiesen sind und da habe ich hier eine schöne Stelle auch schon mal gesehen und da würden wir jetzt hinfahren."
Doch bevor es an dem neuen Standort wieder mit der Arbeit losgeht, holt Grätz eine Schüssel mit kaltem Gemüseauflauf aus dem Wagen:
"Naja, wenn man um drei Uhr aufgestanden ist und gefrühstückt hat und um vier im Gelände ist, dann ist es um acht Mittag."
Zum Einzug gibt es Haushaltszucker
Auf sonnigem, weichem Waldboden findet Grätz schließlich einen schönen Platz für das neue Zuhause. Sie hebt eine kleine Grube aus und holt die Ameisen und das Nestmaterial wieder aus den Säcken. Kaum in Freiheit, fangen die Tierchen schon wieder an überall rumzukrabbeln. Einige tragen direkt Puppen ins Innere des neuen Baus, andere ziehen los und erkunden die Gegend.
Grätz holt nun noch ein Paket Haushaltszucker aus dem Wagen, damit zieht sie einen weißen Kreis um das Nest.
"Denn wir wollen, dass die sich heute nur mit Nestbau beschäftigen, und nicht auf Futtersuche gehen müssen, damit sie was zu fressen haben und sich um ihr Haus kümmern können."
Ob ihre Platz-Wahl auch den Tieren gefällt, wird Grätz erst in ein paar Tagen wissen. Manchmal ziehen die Ameisen ihr neues Nest auch einfach ein paar Meter um.