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Umstrittene Rede
Ein Schatten auf Sibylle Lewitscharoff und die deutsche Debattenkultur

Zwar hat Sibylle Lewitscharoff inzwischen Teile ihrer Aussagen über Reproduktionsmedizin zurückgezogen. Aber nur wenig überzeugend, kommentiert Hajo Steinert. Nicht mehr aus ihrer Biografie tilgen könne sie die Affäre, die auch mal wieder unsere notorische Debattenkultur beleuchte.

Von Hajo Steinert | 09.03.2014
    Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff am Rednerpult bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises.
    Sibylle Lewitscharoff ist mit ihrer Aussage zu künstlich gezeugten Menschen zurückgerudert. (dpa picture alliance / Andre Hirtz)
    Deutsche Buchhändler bekommen ein Problem. Stolz, die aktuelle Büchner-Preisträgerin für eine Lesung aus ihrem ersten Kriminalroman "Killmousky" in diesem Frühjahr gewonnen zu haben, müssen sie sich nun darauf einstellen, dass es Moderatoren und Publikum weniger um Literatur gehen könnte als um die skandalösen Äußerungen Sibylle Lewitscharoffs in ihrer "Dresdner Rede". Wer durch künstliche Befruchtung erzeugte Kinder als "Halbwesen" ansieht, als "zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas", muss damit rechnen, dass der Schuss in die falsche Richtung losgeht. Gestern kam mir zu Ohren, dass ein Buchhändler eine geplante Lesung der Autorin nicht nur aus dem Programm nehmen will, sondern andere Buchhändler in der Region anregt, das gleiche zu tun.
    Allerdings: Auch wenn sich Sibylle Lewitscharoff am Tag nach dem Tag, an dem sie ihren Ausrutscher noch verteidigte, für ihre Wortwahl entschuldigt hat - die provokativ gemeinten, am Ende nur törichten Aussagen im Stile einer radikalen Rhetorik, wie sie von Kanzeln oder politischen Bühnen herunterkommt, aber auch die wenig überzeugende Zurücknahme von Teilen des Gesagten, wird aus ihrer Biografie nicht zu tilgen sein. Vom heftigen Gegenwind erfasst, ist sie gewarnt, vor lauter Terminen abseits literarischer Auftritte die Übersicht nicht zu verlieren, was und wie und wo sie redet und redet und redet. Bezeichnenderweise für die Wertschätzung ihrer Macht über die Worte war es der Altar einer Kirche, der Stadtkirche zu Darmstadt, an dem sie vor Jesus am Kreuz noch vor dem Erscheinen von "Killmousky" Mitte Februar las. An solchen Orten wachsen Allmachtvorstellungen.
    Lauern auf den intellektuellen Fehltritt
    Die Dresdner Rede wirft indes nicht nur einen Schatten auf Sibylle Lewitscharoff, sondern auch auf unsere Debattenkultur. Notorisch kommt sie immer dann in Schwung, wenn ein intellektueller Fehltritt vorliegt und nicht Blitzgescheitheit aufhorchen ließ. Dass sich ein Leiter eines anderen Verlags, Jo Lendle von Hanser, prompt einmischte und Sibylle Lewitscharoff an die Seite des Teufels stellte - ist so vornehm nicht. Dass der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck, die rabiaten Bemerkungen der Autorin - sie ist selbst Mitglied dieser Vereinigung - "auf Schärfste" zurückwies, wird der Autorin kaum weniger gefallen haben. Ihr Verlag, Suhrkamp, hat sich, was nicht schön für die weitere Zusammenarbeit ist, von den Aussagen seiner Starautorin distanziert.
    Die öffentliche Distanzierung namhafter Schriftstellerkollegen wie Judith Schalansky und John von Düffel, die aus eigener Erfahrung glaubhaft widersprechen, können Sibylle Lewitscharoff nicht lieb sein. Auch nicht das Entsetzen derer, die es vorziehen, ihr ihre Meinung persönlich zu sagen. Sollte sich die Hoffnung der Schriftstellerin Ulrike Draesner erfüllen, dass sich aus persönlichem Furor heraus eine Debatte über die Grenzen der Reproduktionsmedizin auf sachlicher, medizinischer, philosophischer und religiöser Basis entwickelt, hätte die im doppelten Sinn des Wortes anstößige Rede der Sibylle Lewitscharoff dann doch etwas für sich. Ihren neuen Roman wollen wir von dieser Diskussion trennen. Das Erzählen ist ihr Metier.