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Umweltfreundliche Lacke

Die Zeit läuft: Noch etwas mehr als zwei Jahre haben deutsche Lackierereien und Hersteller von Lacken Zeit, die VOC-Richtlinie der Europäischen Union umzusetzen. Die Volatile Organic Compounds – also leicht flüchtigen, organischen Lösemittel – sollen verschwinden, weil sie für die Entstehung des bodennahen, schädlichen Ozons verantwortlich gemacht werden. Eine ganze Branche muss sich bis Ende 2006 umstellen. Volkmar Stenzel vom Materialforschung IFAM:

Von Folkert Lenz |
    Insgesamt sind etwa 18.000 Betriebe in Deutschland betroffen von der Richtlinie. Mein Eindruck ist, dass es durchaus eine ganze Reihe von Betrieben gibt, die das Thema verdrängen. Dabei kann das hingehen bis zu einer Schließung der Lackieranlage.

    So sind es noch vor Allem die Großen der Branche, die fieberhaft nach Alternativen für lösemittelhaltige Lacke suchen: Autohersteller, Flugzeugbauer, Karosseriereparaturbetriebe und natürlich die Farbhersteller: Sie alle müssen sich sputen, um das Ziel – eine deutliche Reduzierung des Ausstoßes von Lösemitteln - zu erreichen. Bei Chemikern wie Volkmar Stenzel herrscht derzeit Hochkonjunktur, denn sie müssen die neuen Lacke entwickeln.

    Das können beispielsweise Wasser verdünnbare Lacke sein. Das können aber auch Pulverlacke sein. High-Solid-Lacke sind Lacksysteme, die einen hohen Festkörperanteil haben und dem entsprechend weniger Lösemittel. Festkörper sind Bindemittel, also meistens Pigmente oder Füllstoffe, die letzten Endes den Lack dann darstellen, wenn er getrocknet ist. Das ist auch eine Möglichkeit, den Lösemittelausstoß zu reduzieren. Denn wenn der Lack von vorne herein weniger Lösemittel hat, dann kommen auch weniger Lösemittel aus der Lackiererei raus.

    Doch können die neuen Lacke überhaupt das, was ihre schädlichen Vorgänger alles konnten? Bei den meisten Anstrichen geht es schließlich nicht nur um die Optik oder die Farbgebung, gibt Volkmar Stenzel zu bedenken und verweist auf Speziallackierungen.

    Also Flugzeuglack wird dramatisch stärker beansprucht. Das liegt zum Einen an der Flughöhe – so 10 bis 11.000 Meter. Da ist die UV-Strahlung wesentlich härter, wesentlich intensiver als am Boden. Das heißt, der Lack muss also enorm UV-Strahlung aushalten können. Die Temperaturschwankungen, die bewegen sich im Bereich von plus 90 Grad, wenn das Flugzeug in der Wüste steht, bis hin zu minus 55 Grad, die in der Troposphäre oder der Tropopause herrschen, wo die Flugzeuge fliegen. Und vor Allem muss der Temperaturunterschied in wenigen Minuten bewältigt werden, wenn das Flugzeug eben startet oder landet.

    ... und wenn hühnereigroße Hagelkörner auf den Rumpf prasseln, dann darf die Schutzschicht auch nicht gleich abplatzen. Hinzu kommt die Verarbeitung. Das Auftragen von Lacken muss in schwül-heißen Gefilden genau so funktionieren wie in arktischer Umgebung. Ob das funktioniert, testen die Experten am Bremer IFAM-Institut in einer neuartigen Lackierkabine.

    Und wir können hier Luftfeuchten fahren von 20 Prozent relativer feuchte bis 85 Prozent. Das Ganze bei 15 bis 45 Grad Celsius. Das heißt, wir können jedes industriell relevante Klima hier simulieren. Wenn Sie an die Luftfeuchte denken: In Malaysia herrscht in der Regel eine große Luftfeuchte. Und da muss natürlich der Wasserlack so eingestellt sein, dass er eben nicht zu Läufern neigt. Während in Deutschland natürlich trockenere Luft in der Regel vorhanden ist und der Lack halt eher trockener auf dem Blech ankommt und entsprechend weniger gefährdet ist, dass er abläuft.

    Denn das kostbare Vehikel soll schließlich später keine sichtbaren Lacktropfen an Stoßstange oder Kotflügel haben. Die IFAM-Experten entwickeln deshalb mit den Firmen ein Anforderungsprofil für die Wasser- oder Pulverlacke und kontrollieren dann, ob der Anstrich dieses in der Praxis erfüllt. Ein falscher Lack am falschen Ort könnte sonst teure Folgen haben, sagt Volkmar Stenzel.

    Zum Beispiel, wenn jetzt jemand Möbelgriffe lackiert. Dass der plötzlich einen Wasser verdünnbaren Lack einsetzt, den er nicht durchgeprüft hat. Dass es dann zu Abrieberscheinungen kommen kann am Endprodukt. Das wäre katastrophal für den lackierenden Betrieb. Und da setzen wir ein mit entsprechenden Prüfungen, machen die entsprechenden Recherchen nach alternativen Lacksystemen zu den lösemittelhaltigen, die aktuell eingesetzt werden.

    Zirka ein Jahr dauert es, bis eine neue, umweltfreundlichere Lackart die so genannte Qualifizierung – also zahlreiche Einsatztests - hinter sich gebracht hat. Für die Hersteller von Nischenprodukten – zum Beispiel von Beschichtungen in der Luft- und Raumfahrt bleibt also nicht mehr viel Zeit, um die Lösemittel-Richtlinie noch rechtzeitig zu erfüllen.