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Umweltpolitik war bis vor kurzem ein Fremdwort

Fünf Jahre ist es her, da ließ der Staat in Nigeria den Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa hinrichten, einen Mann, der sich für die Rechte des Ogoni-Volkes in einer besonders ölreichen Region des Landes eingesetzt hatte. Seitdem ist viel passiert, die Regierung des Staates wechselte und die Ölindustrie, die von vielen für den Tod von Ken Saro Wiwa mit verantwortlich gemacht wurde, geriet international unter Druck, die Umweltzerstörung in der Region ernst zu nehmen. Mein Kollege Thomas Mösch hat jetzt Nigeria besucht und er berichtet im Folgenden darüber, was sich in der Umweltpolitik in dem Land seitdem getan hat.

von: Thomas Mösch |
    Bevor der Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa Anfang der 90er Jahre begann, den Widerstand gegen die Ölindustrie zu organisieren, war Umweltpolitik in Nigeria außerhalb akademischer Zirkel praktisch ein Fremdwort. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas glaubte bis vor 18 Monaten sogar, ohne ein eigenes Umweltministerium auszukommen. Erst nach dem Ende der Militärdiktatur fasste der neu gewählte Präsident Olusegun Obasanjo die auf verschiedene Ministerien und Verwaltungen verteilten Kompetenzen zusammen. Von ein paar engen Büros in Nigerias neuer Hauptstadt Abuja aus wachen die Beamten nun über Nationalparks, Umweltverträglichkeitsstudien, Wildtiere, Boden-Erosion und natürlich die Ölindustrie. Letztere will Staatsminister Imeh Okopido nun dazu bringen, bald auf das umwelt- und klimagefährdende Abfackeln von Erdgas zu verzichten. Das Gas tritt zusammen mit dem Erdöl an die Oberfläche.

    Imeh Okopido: Zwei große Ölfirmen, darunter Agip, haben zugestimmt, das Abfackeln von Gas auf dem Land bis Mitte 2001 zu beenden. Bis 2004 soll das auch in den Sumpfgebieten passieren. Darüber hinaus fordern sie die anderen Firmen des Erdölsektors auf, ihnen ihr Erdgas zuzuleiten. Sie würden es dann in die Lagerstätten zurückführen, so dass es später noch genutzt werden kann. Schließlich haben wir mehr Gas als Öl.

    Okopido ist zuversichtlich, dass auch der größte Ölförderer des Landes, Shell, das Angebot von Agip annehmen wird. Der Weltkonzern betont bisher, auf das Abfackeln des Erdgases erst in acht Jahren verzichten zu können. Ken Saro-Wiwa hatte die oft in unmittelbarer Nähe von Dörfern brennenden riesigen Fackeln Flammen der Hölle genannt. Nigerias Regierung will sich jetzt auch endlich für die Modernisierung der veralteten Ölförderanlagen einsetzen. Immerhin besitzt der Staat rund 60 Prozent Anteile an den Gemeinschaftsfirmen mit internationalen Ölkonzernen. Besonders schwierig dürfte es sein, die Sabotage an den Erdölleitungen zu bekämpfen. Zum Teil stecken mafiöse Organisationen dahinter, die bis in die staatliche Erdölgesellschaft reichen. Andererseits hoffen verarmte Bauern immer wieder mittels eines Pipeline-Lecks an Entschädigung zu kommen, weiß auch Staatsminister Okopido.

    Imeh Okopido: Wir möchten, dass die Menschen diese Projekte als ihre eigenen ansehen. Sie befinden sich auf ihrem Land und sie sind eine wichtige Grundlage der Wirtschaft unseres Landes. Das Traurige ist doch, dass die Leute dort nicht einmal Trinkwasser haben. Die Quartiere der Ölfirmen dagegen haben Wasser und Strom, während die Leute darumherum nicht wie Menschen behandelt werden.

    Doch die Ölindustrie ist nicht das einzige Umweltproblem des westafrikanischen Landes, das zweieinhalb Mal so groß ist wie Deutschland. Der Abbau von Bodenschätzen, Zinn zum Beispiel, zerstört die Landschaft auch in anderen Regionen Nigerias. Der trockene Norden des Landes leidet unter Wüstenbildung; im Süden, an der Küste, gilt es, die Mangrovenwälder vor einer von den britischen Kolonialherren eingeführten Palmenart zu schützen.

    Imeh Okopido: Es ist eine stark wuchernde Pflanze, die die Mangrove zu verdrängen droht. Wir sind dabei, diese Palme zu bekämpfen und die Mangrove wieder anzusiedeln, denn sie ist die Brutstätte unserer Fischvorkommen.

    Mangrovenwälder stehen mit den Wurzeln im Wasser und sind ökologisch ähnlich bedeutsam wie Wattgebiete.

    Ein für Mitteleuropäer kaum vorstellbares Ausmaß haben die Umweltbelastungen in den Städten erreicht. Die nigerianische Metropole Lagos erstickt am Verkehr. Selbst an der so genannten frischen Luft hat man Atemprobleme. Hunderttausende schrottreifer Autos und LKWs stoßen blaue, schwarze und graue Wolken aus. Während der häufigen Stromausfälle kommen noch die Diesel-Generatoren hinzu. Ähnlich groß sind die Probleme bei Müll und Abwasser. Bisher scheinen die Nigerianer diese gesundheitliche Dauerbelastung klaglos hinzunehmen. Die meisten von ihnen sind ohnehin damit beschäftigt, einfach zu überleben. Im Umweltministerium sind die Probleme bekannt, überzeugende Konzepte zu ihrer Lösung gibt es offenbar noch nicht.