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Und er liest doch

Mario Vargas Llosa wird die Buchmesse von Buenos Aires eröffnen. Mit ihrer Initiative, das zu verhindern, schoss eine Gruppe regierungsnaher argentinischer Intellektueller und Schriftsteller offenbar übers Ziel hinaus. Präsidentin Cristina Kirchner selbst bremste die Aktion gegen den Literaturnobelpreisträger. Es dürfe kein Zweifel an der Meinungsfreiheit gelassen werden.

Von Victoria Eglau | 09.03.2011
    Erzürnt hatte die Intellektuellen Vargas Llosas vernichtende Kritik an Argentinien und seinen peronistischen Regierungen:

    "Wenn ich nach Argentinien schaue, möchte ich weinen. Ich habe dieses Land immer sehr bewundert. Doch politisch hat Argentinien Rückschritte gemacht, es ist arm und unterentwickelt geworden. Schuld sind Demagogie und Populismus."
    Die argentinische Präsidentin und ihren im vergangenen Jahr verstorbenen Ehemann, Ex-Präsident Nestor Kirchner, hatte Vargas Llosa sogar direkt angegriffen:

    "Wie ist es möglich, dass ein Ehepaar wie die Kirchners Argentinien regiert? Was für ein politischer und kultureller Abstieg! Die Argentinier haben sich im letzten halben Jahrhundert für die schlechtesten politischen Optionen entschieden. Für den Peronismus zu stimmen, heißt den Irrtum zu wählen, auf dem Irrtum zu beharren, trotz der Katastrophen in der modernen Geschichte Argentiniens. Die Argentinier wollten offenbar arm sein, wollten unter Diktaturen leben."

    Die Romane des Peruaners Mario Vargas Llosa werden in Argentinien gern gelesen, aber sein hartes Urteil nicht nur über die Regierung, sondern auch über die Regierten, geht vielen zu weit. Für die Intellektuellen der Gruppe Carta Abierta – Offener Brief - sind die Aussagen des Nobelpreisträgers nicht nur anmaßend, sondern sie meinen, dass dieser aus der Perspektive eines Vertreter der politischen Rechten Lateinamerikas spricht. Vargas Llosa bewarb sich 1990 in Peru als Vertreter einer Mitte-Rechts-Koalition erfolglos für das Präsidentenamt. In Buenos Aires will er im April nicht nur die Buchmesse eröffnen, sondern er nimmt auch an einer Tagung der Neoliberalismusfreundlichen internationalen Mont-Pelerin-Gesellschaft teil.

    "Dass Vargas Llosa in Argentinien zuerst an einem Weltkongress der Rechten teilnehmen will, um gleich danach die Buchmesse zu eröffnen, erschien uns unangebracht. Wir haben also der Buchmesse vorgeschlagen, dass er nicht der Eröffnungsredner ist, sondern lediglich während der Messe einen Vortrag hält," erklärte im Fernsehsender Telesur Horacio Gonzalez, Direktor der argentinischen Nationalbibliothek und Mitglied von Carta Abierta. Gonzalez legte der Buchmesse in der vergangenen Woche in einem Brief nahe, Vargas Llosa als Eröffnungsredner auszuladen. Dessen Auftritt werde die Veranstaltung politisch färben, befürchtet Gonzalez:

    "Unter dem Etikett Vargas Llosa verbirgt sich sowohl ein Mann, der im Namen der internationalen Rechten handelt, als auch der Romancier, dessen Werke wir alle gelesen haben: Von 'Die Stadt' und die 'Hunde' bis 'Der Traum des Kelten'."
    Nach dem Einschreiten der Präsidentin nahm Gonzalez in einem zweiten Brief Abstand von dem Ansinnen, Vargas Llosas Eröffnungsrede zu verhindern. Der angesehene argentinische Schriftsteller Martín Kohan hielt dieses Ansinnen von Anfang an für falsch:

    "Dass Gonzalez jetzt zurückrudert, erkenne ich an, denn es ist gut, Irrtümer zu korrigieren. Für mich war es irritierend ungeschickt, jemandem wie Mario Vargas Llosa, dem es so leicht fällt, seine politischen Positionen als wohlmeinend und tolerant zu verkleiden, weiteren Anlass zu liefern, uns zynische Lektionen zu erteilen."

    Vargas Llosa hat bereits angekündigt, in Buenos Aires über seine Überzeugungen und Ideen zu sprechen. Zum Skandal könnte es trotzdem noch kommen, falls die Kirchner-nahe Organisation Campora den Eröffnungsakt stört. Bei der Messe 2010 protestierte sie gegen die Vorstellung eines regierungskritischen Buches.