Die Schädelfragmente der drei fossilen Menschen aus der Bärenhöhle sind hervorragend erhalten: sowohl der Unterkieferknochen, als auch das fast vollständige Gesicht und das Bruchstück aus der Schläfenregion. Der Unterkiefer ist inzwischen auf 35.000 Jahren datiert worden. Damit gehört er zum ältesten modernen Menschen Europas. Noch wichtiger aber ist, daß alle Knochen ungewöhnliche Merkmale zeigen, erklärt der Anthropologe Erik Trinkaus von der Washington-Universität in St. Louis. Seiner Meinung nach hat sich der moderne Mensch bei seiner Einwanderung nach Europa mit den hier ansässigen Neandertalern vermischt:
Wir sehen bestimmte Merkmale moderner Menschen: etwa ein vorstehendes Kinn oder daß er keine hervorstehenden Brauenbogen hat. Dazu kommen andere Merkmale in Gesicht, an Nase und Ohrregion, die belegen, daß diese fossilen Menschen zu den anatomisch modernen Menschen zählen. Gleichzeitig tragen sie aber auch Merkmale, die bei einem heute lebenden Menschen sehr ungewöhnlich wären - und sie wären sogar ungewöhnlich für einen fossilen modernen Menschen jener Zeit. So sind die Backenzähne inklusive der Weisheitszähne sehr groß und deshalb ist es auch der Kiefer an sich.
Um Weisheitszähne dieser Dimension zu finden, muß man sich ansonsten eine halbe Million Jahre weit in die Menschheitsgeschichte zurückbegeben. Archaisch sind bei diesen 35.000 Jahre alten Fossilien auch die Größe der Gesichter, die stark vorstehenden Wangenkochen sowie die Wulst in der Ohrregion. Alle diese Merkmale kennen die Anthropologen von den Neandertalern.
Die an Neandertaler erinnernden Merkmale im Unterkiefer sind bei lebenden Menschen sehr selten, treten aber bei der Hälfte der Neandertaler auf und sind wahrscheinlich diagnostisch für sie. Andere archaische Merkmale kennzeichnen zwar nicht allein die Neandertaler, aber der moderne Mensch hatte sie damals schon lange verloren. Wenn die Fossilien diese Merkmale tragen, haben sie sie entweder nach ihrem Auswandern aus Afrika erneut entwickelt oder sie haben sich mit den letzten Neandertalern in Osteuropa vermischt. Ich glaube an diese Vermischung, und daß wir deshalb diese Merkmale in den frühen modernen Menschen Osteuropas sehen.
Das ist Öl in eine Debatte, deren Brand schon seit längerem schwelt. Denn Erik Trinkaus und seine Kollegen haben vor einigen Jahren in einem in Portugal gefundenen Kinderskelett Anzeichen für eine Vermischung von homo sapiens sapiens und homo sapiens neanderthalensis festgestellt. Das sei auch zu erwarten, so der Forscher. Denn als unsere Ahnen nach Europa zogen, war der Kontinent sehr dünn mit Neandertalern besiedelt. Im Verhalten ähnelten sich die beiden Menschenarten, und weil potentielle Partner damals auf beiden Seiten rar waren, warum soll man sich nicht bei den anderen umgesehen haben, fragt Trinkaus:
Alle waren sehr schmutzig, alle haben gestunken, alle waren - je nach Geschmack - gleich anziehend oder abstoßend. Ich bezweifle, daß moderne Menschen und Neandertaler Hemmungen hatten, gemeinsam Nachkommen zu zeugen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Und ich glaube, daß sich diese Gelegenheit während einer Übergangszeit von mindestens 5000 bis 6000 Jahren öfters ergeben hat. Daß sich die modernen Menschen letztendlich durchgesetzt haben, mag daran liegen, daß sie in größeren Gruppen lebten als die Neandertaler und deshalb der Überlebenskampf leichter war. Aber das ist nur eine Vermutung.
Im kommenden Jahr wollen die Forscher jedenfalls in Rumänien nach neuen Fossilien suchen, um ihre Theorie von der Vermischung zu stützen.