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Ungarn bewegt sich "in Richtung kommunistischer Überwachungsdiktatur"

"Das wird schwer verdaulich sein für Europa", resümiert der Grünen-EU-Politiker Cohn-Bendit die Einrichtung einer Medienüberwachungsbehörde in Ungarn - das die kommende Ratspräsidentschaft übernehmen soll. Cohn-Bendit sagt Ungarn unangenehme Debatten voraus.

23.12.2010
    Jasper Barenberg: Seit er die Macht von den Sozialisten geerbt hat, hat Ungarns rechtskonservativer Ministerpräsident Orban schon etliche Male die Verfassung des Landes geändert. Eine Zweidrittelmehrheit im Parlament im Rücken, baut der Ministerpräsident das Land schnell und kompromisslos um. Abschied vom Rechtsstaat? Manche befürchten das und sehen sich durch das neue Mediengesetz bestätigt.
    Am Montag hat das Parlament in Budapest das Mediengesetz verabschiedet. Jetzt folgen Proteste in der Europäischen Union. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn zum Beispiel vergleicht Ungarn mit dem autoritär geführten Regime von Alexander Lukaschenko in Weißrussland. Die Bundesregierung mahnt rechtsstaatliche Standards an und Kritik hagelt es auch von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und aus den Reihen der EU-Parlamentarier in Brüssel. – Vor der Sendung habe ich mit Daniel Cohn-Bendit darüber gesprochen, dem Vorsitzenden der Grünen-Fraktion. Er hält das Mediengesetz für einen Anschlag auf die Pressefreiheit.

    Daniel Cohn-Bendit: Im Grunde genommen hat die ungarische Regierung eine Zensurbehörde in Ungarn ins Leben gerufen, und jetzt werden die Medien überwacht, und sollten die Medien dieser Zensurbehörde nicht gefallen, dann gibt es hohe Geldstrafen. Damit versucht die Regierung einfach, Medienfreiheit einzuschränken.

    Barenberg: Die Regierung in Budapest schwört ja, dass das neue Mediengesetz europäischem Recht entspricht, europäischen Standards. Die EU-Kommission will nun prüfen, ob das alles so stimmt. Haben Sie da noch Zweifel?

    Cohn-Bendit: Ich habe keine Zweifel, das entspricht nicht … Warum braucht man heute eine Überwachungsbehörde für Medien? Das braucht man einfach nicht. Und wenn man sie auch noch politisch so besetzt, im Grunde genommen mehrheitlich mit Abgeordneten oder Menschen, die von der Regierungspartei ausgesucht wurden, die an sich schon 75 Prozent der Stimmen hatte, also im Grunde genommen die absolute Mehrheit im Parlament hat, das ist wahnwitzig. Die Regierung hat ja mehrere im Grunde genommen Verfassungsänderungen durchgebracht mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament und das ist schon abenteuerlich. Ungarn bewegt sich rückwärts wieder in Richtung kommunistischer Überwachungsdiktatur.

    Barenberg: Der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler von der konservativen EVP-Fraktion, er kann sich nicht vorstellen, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, und sein Rat ist, das Gesetz erst mal jetzt in seiner praktischen Anwendung zu beurteilen und das abzuwarten. Geben Sie ihm Recht?

    Cohn-Bendit: Ich finde, dass dieser CDU-Abgeordnete oder die Konservativen, die immer right or wrong meine Partei - in dem Fall gehört ja die Partei von Herrn Orban, die Fidesz, der Europäischen Volkspartei an -, das ist schon wirklich erstaunlich, wie diese Menschen, wenn es mit Recht - wenn es darum geht, zum Beispiel Fidel Castro, Kuba anzugreifen, dann sind sie immer da, aber sobald sie eine Partei haben, die in ihrer Nähe ist, dann werden sie wieder blind. Insofern sind sie wie die Linken. Die Linken sind nach links blind und die Rechten sind nach rechts blind. Und ich finde, man sollte einfach überhaupt nicht blind sein, sondern rechts und links genauso maßregeln und angreifen, wenn sie eben gegen demokratische Grundrechte verstoßen.

    Barenberg: Macht sich Ministerpräsident Viktor Orban daran, einen autoritären Staat zu schaffen?

    Cohn-Bendit: Er macht sich nicht nur daran, der bewegt sich im Eiltempo in dieser Richtung. Das stimmt! Das ist schon unglaublich, was da passiert, und das wird schwer verdaulich sein für Europa. Das Problem ist: wir haben Ungarn, wir haben einen entsetzlichen Medienzustand in Rumänien, wir haben den Medienzustand in Italien. Also es gibt Orte in der Europäischen Union, oder Länder, wo die Demokratie schlecht bestellt ist.

    Barenberg: Die Bundesregierung beschränkt sich ja bisher darauf, Ungarn zu warnen, rechtsstaatliche Standards im Umgang mit den Medien einzuhalten. Ist das genug, oder ist die Grenze nicht schon überschritten? Muss nicht mehr geschehen?

    Cohn-Bendit: Na ja, diese Regierungen sind alle unfähig. Sie haben ja auch gegen das, was in Italien passiert, nichts gesagt, was in Bulgarien und Rumänien passiert nichts gesagt. Also die Regierung ist einfach unfähig, mal Tacheles zu reden. Das ist schon enttäuschend.

    Barenberg: Kann Ungarn denn am eins zu eins den Ratsvorsitz antreten unter diesen Voraussetzungen?

    Cohn-Bendit: Na ja, das entscheiden wir leider nicht und ich entscheide das noch weniger. Ungarn wird den Ratsvorsitz antreten und ich glaube, Orban muss sich auf eine stürmische Parlamentsdebatte vorbereiten, wenn er dann Anfang Januar im Europäischen Parlament seine sechsmonatige Ratspräsidentschaft vorstellen wird. Das wird für ihn unangenehm.

    Barenberg: Nun sind Sie ja nicht, Herr Cohn-Bendit, der einzige, der sich empört und der kritisiert, was in Ungarn vor sich geht. Aber das Mediengesetz ist ja nun nicht vom Himmel gefallen. Also warum gab es bisher im Vorfeld der Entscheidung des Parlaments keine Kritik?

    Cohn-Bendit: Es gab Kritik. Nur bis zuletzt gab es ja Versuche, die ungarische Regierung abzubringen, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Natürlich gab es Kritik. Ich selbst habe das vorgetragen Herrn Orban vor ein paar Wochen, als ich mit den anderen Fraktionsvorsitzenden in Budapest war.

    Barenberg: Aber insgesamt schaut doch die Europäische Union diesem Treiben in Ungarn recht kommentarlos zu bisher, oder haben Sie einen anderen Eindruck?

    Cohn-Bendit: Ja, das ist für die Kommission unangenehm. Aber diese Kommission Barroso, Herrn Barroso haben wir als Grüne, als europäische Grüne nicht gewählt. Herr Barroso tut sich immer schwer, gegen bestimmte Regierungen dann etwas zu sagen, wenn es notwendig ist. Wissen Sie, das Problem der Europäischen Union, also der Institution: Wenn es darum geht, Grundfreiheiten irgendwo weit weg zu verteidigen, dann sind wir da. Wenn es um Europa geht, dann sind wir einfach von der Erdoberfläche verschwunden, also die Institutionen, und das ist eine der Debatten, die wir auch im Europaparlament im Januar haben werden. Wir werden versuchen als europäische Grüne, die Kommission darauf zu bringen zu überprüfen, ob nicht dieses Mediengesetz gegen Artikel 7 der europäischen Verträge verstößt, und dann würde das nach sich ziehen, wenn es verstößt, dass einfach dann Sanktionen gegen Ungarn ausgesprochen werden müssen bis hin zu, dass man ihnen das Stimmrecht wegnehmen würde. Das würde bedeuten, dass man ihnen auch die Präsidentschaft wegnehmen müsste, und dann muss man sehen, ob wir dahin kommen.

    Barenberg: Nun hat ja die Europäische Union keine sehr guten Erinnerungen an die Sanktionen, die beispielsweise gegen Österreich verhängt wurden, als damals die Mitte-Rechts-Koalition von Wolfgang Schüssel ins Amt gekommen ist, Wolfgang Schüssel und Jörg Haider zusammen im Jahr 2000. Ist das möglicherweise ein Grund, warum auch jetzt die ersten Reaktionen, die ersten Äußerungen sehr zurückhaltend ausfallen?

    Cohn-Bendit: Das Problem ist, dass damals gegen Haider gab es den Artikel 7 der Verträge nicht. Dieser Artikel ist nachträglich aufgrund dessen, was in Österreich passiert ist, dann in die europäischen Verträge aufgenommen worden, nach dem Vertrag von Nizza. Deswegen haben wir jetzt eine juristische Möglichkeit, die wir so im Grunde genommen im Jahre 2002 nicht hatten.

    Barenberg: Und wie zuversichtlich sind Sie, dass diese harten Schritte verfolgt werden und dass sie dann am Ende greifen werden?

    Cohn-Bendit: Also wenn wir, die europäischen Grünen, die Mehrheiten im Europaparlament hätten, wäre ich zuversichtlich. Aber wenn ich mir die Regierungen ansehe, die Freidemokraten, wenn es darum geht, plötzlich eine Position einzunehmen, die gegen die Position ihrer eigenen Bundesregierung, also gegen ihren eigenen Außenminister steht, dann sind sie nicht da. Die CDU das gleiche. Es ist umgekehrt so, dass die SPD nie da ist, wenn es um sozialdemokratische Regierungen geht. Das ist das Problem. Aber ich glaube, dass viele im Europäischen Parlament da ein schlechtes Gewissen haben und mal sehen, wie die Sache sich entwickelt.

    Barenberg: ... , sagt der Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit, einer der beiden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion in Brüssel. Danke schön für das Gespräch.

    Cohn-Bendit: Bitte sehr! Schönen Tag noch.