2010 ist kein Beethoven-Jahr, ein 240ster Geburtstag wird schließlich nicht gefeiert. Doch Beethoven ist niemand, dessen Popularität vom Kalender abhängt, und so erschienen just – ohne weiteren Anlass - gleich mehrere Aufnahmen einer Werkgruppe, die der 1770 in Bonn geborene Komponist zu bis dahin ungeahnten Höhen geführt hat: Aufnahmen der Sonaten für Klavier und Violine. Drei dieser Aufnahmen stellen wir Ihnen heute vor: eine Gesamtaufnahme aller zehn Sonaten mit Renaud Capuçon und Frank Braley beim Label Virgin Classics, dann die erste Folge einer noch in Aufbau befindlichen Gesamtaufnahme mit Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien beim Eigenlabel der Londoner Wigmore Hall und schließlich die Sonaten 3 und 9, eingespielt auf historischen Instrumenten von Viktoria Mullova und Kristian Bezuidenhout bei Onyx Classics.
"Einleitung, Kreutzer-Sonate, Viktoria Mullova"
Vor dieser Einleitung hat jeder Geiger weiche Knie: Ungeschützt, weil vom Klavier unbegleitet, öffnet ein knappes Duzend schwieriger Doppelgriffe den harmonischen und melodischen Raum. Es entsteht der Eindruck, der Solist hebe an zu einer weiten Kadenz, die Vorangegangenes summieren und variieren möchte, doch sind diese gebundenen Akkorde selbst das, was vorausgeht – vorausgeht einem Sonatensatz, der in der Musikgeschichte ein ganz neues Kapitel aufschlägt.
"Einleitung, Kreutzer-Sonate, Viktoria Mullova"
Es war Wolfgang Amadeus Mozart, der Klavier und Violine erstmals als gleichberechtigte Partner behandelte, die Violine befreite vom alten Statistendasein. Bis dahin gab das Klavier immer den Ton an, und wenn die Geige mitspielen wollte, dann musste sie meist damit vorlieb nehmen, das zu wiederholen oder zu begleiten, was das Klavier vorgab. Mozart stellte beide Instrumente auf Augenhöhe: die Rollenverteilung entschied von Fall zu Fall das musikalische Material und nicht mehr die alte Hierarchie. Damit allerdings war erst der Anfang gemacht.
Es ist kaum zu glauben: Keine 20 Jahre trennen die späten Sonaten Mozarts von dieser hier, der Sonate Opus 47 in A-Dur von Ludwig van Beethoven. Acht Kompositionen für diese Besetzung hatte Beethoven bis dahin bereits geschrieben, in jeder das Gattungsschema erweitert und verändert. 1802 begann er dann die Arbeit an einer Duo-Sonate, die endgültig heraussollte aus dem Dunstkreis der häuslichen Kammermusik, in dem Werke für diese Besetzung bis dahin steckten: Sonaten spielte man allein oder mit und unter Freunden. Opus 47 aber sollte anders sein, Musik ohne Zugeständnisse, Musik für Virtuosen und ein großes Publikum. "Geschrieben in einem sehr konzertanten Stil ähnlich einem Konzert" , setzte Beethoven in der Originalausgabe dem Titel hinzu – ein stolzer Zusatz, der wohl auch eine Warnung sein sollte: für die, die diese Sonate wagten zu spielen, und auch die, die sie hörten.
Wie schockierend das Werk einmal geklungen haben mag in den Ohren von Beethovens Zeitgenossen, kann man ahnen, wenn man diese Aufnahme hört: Die eigentlich klassisch ausgebildete Geigerin Viktoria Mullova, Gewinnerin des Sibelius- und des Tschaikowsky-Wettbewerbs in den frühen 80er-Jahren, nähert sich mit dem in Südafrika geborenen Fortepianisten Kristian Bezuidenhout auf historischen Instrumenten dem vermutlichen Originalklang und macht spürbar, wie gefährlich diese Musik einst geklungen haben muss: Welche ungeheure Zumutung sie war für die wenigen Interpreten, die ihr technisch gewachsen waren, und für das Publikum, das von einer Violinsonate gehobene Unterhaltung erwartete und mit einem weit über halbstündigem Werk konfrontiert wurde, das in allen Belangen den Rahmen sprengte.
"Opus 47, zweiter Satz "
Spannend und auch ein wenig beängstigend, auf jeden Fall riskant und gefährlich klingt die sogenannte Kreutzer-Sonate bei Mullova und Bezuidenhout aber nicht allein des Instrumentariums wegen. Riskant und gefährlich ist diese Musik – wieder – weil die beiden, beflügelt von der klanglichen Transparenz und Prägnanz ihrer Instrumente, den Notentext so genau absuchen nach Überraschungen und Fallstricken, nach den für Beethoven typischen plötzlichen dynamischen Explosionen oder den Tempo- und sogar Metrumwechseln, mit denen hier alle Erwartungen hintergangen werden. Der Widmungsträger Conradin Kreutzer, als Geiger eine Berühmtheit damals, hat das Werk nie aufgeführt. Er hielt es für unspielbar, und von den Aufführungen, die es durch andere Musiker gab, wissen wir, wie ungeheuer verstörend sie waren für das Publikum damals. Mit Mullova und Bezuidenhout fällt es nicht schwer, das nachzuvollziehen.
"Einleitung, Kreuzer-Sonate, Renaud Capuçon"
Auch der Franzose Renaud Capuçon ist ein konventionell ausgebildeter Geiger, doch im Gegensatz zu seiner älteren Kollegin Mullova bleibt Capuçon seinem modernen Instrument treu, auch bei Beethoven. Das muss kein Nachteil sein: Capuçon fehlt es auch nicht an Willen, die Revolution erlebbar zu machen, die Beethoven anzettelte. Er bringt die Energie, die Emphase, gelegentlich auch den Zorn mit, den es wohl braucht, zumindest für den mittleren und späten Beethoven. Nicht ganz so verstörend genau und blitzschnell wie Mullova, aber doch aufmerksam registriert Capuçon die formalen und klanglichen Erschütterungen dieser Sonate und auch der anderen. Technisch hat er alles im Griff: fester noch als es Mullova möglich ist mit alten Darmsaiten und historischem Bogen.
Sein Partner am Klavier Frank Braley beeindruckt Capuçon damit allerdings nicht: Braley spielt eher artig als aufregend, fügt sich in die Rolle des Begleiters, die Beethoven aber gar nicht mehr von ihm verlangt. Eine auch von diesem Standpunkt aus gesehen ausgesprochen klassische Aufnahme der Sonaten also mit einem sehr guten, gleichwohl eben klassischen Geigers, der, trotz aller Dynamik, in allen Lagen ausgesprochen schön und sicher klingt - vielleicht ein klein wenig zu schön und sicher für diese Musik.
Wer lieber den modernen als den historischen Klang mag, aber es dennoch richtig knistern hören möchte, wer die Spannung liebt und auch nichts vom feinen Dialog verpassen will, den Beethoven in der Zweistimmigkeiten seiner Sonaten komponiert hat, dem sei ein drittes Duo empfohlen: die gebürtige Russin Alina Ibragimova und der Franzose Cédric Tiberghien. In der altehrwürdigen Wigmore-Hall, der besten Adresse Londons für Kammermusik, haben die beiden jungen Musiker an drei Abenden alle zehn Klavier-Violin-Sonaten von Beethoven aufgeführt und jetzt den ersten Teil dieses Projekts beim hauseigenen Wigmore-Hall-Label als Konzertmitschnitt präsentiert. Zwar steht die größte Kraftprobe, die Kreutzer-Sonate, noch aus, doch schon die frühen, wenige Jahre zuvor entstandenen Opusnummern 12, 23 und 30 spielen die beiden mit solcher Intensität und inneren Freiheit, dass man sich um Opus 47 und das Spätwerk Opus 96 keine Sorgen machen muss.
Wie aus dem Augenblick heraus, fast improvisatorisch, entwickeln Ibragimova und Tiberghien die einzelnen Sätze, wechseln mit spielerischer Leichtigkeit Vorder- und Hintergrund, thematische Führung und Begleitung, ergänzen und belauschen sich und finden einen gemeinsamen Tonfall, ohne den jeweils eigenen Klangcharakter zu schmälern. Auch auf dem modernen Konzertflügel und einer Geige mit Stahl- und Kunststoffsaiten klingt dieser Beethoven drum authentisch: Wie Mullova und Bezuidenhout, ermöglichen Ibragimova und Tiberghien, über diese Werke wieder zu staunen – nach mehr als zweihundert Jahren.
Das Presto, der erste Satz aus der zweiten Sonate für Klavier und Violine von Ludwig van Beethoven - in einer neuen Aufnahme von Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien, sie ist erschienen beim Label Wigmore Hall. Außerdem stellten wir Ihnen vor: die Gesamtaufnahme der Beethovenschen Violinsonaten mit Renaud Capuçon und Frank Braley beim Label Virgin Classics und die Neueinspielung der Sonaten 3 und 9 von Viktoria Mullova und Kristian Bezuidenhout bei Onyx Classics.
"Ludwig van Beethoven: Sonaten für Klavier und Violine
Viktoria Mullova, Violine
Kristian Bezuidenhout, Fortepiano
Sonaten op. 12/3 und op.47
Onyx Classics 4050 (LC 19017)
Renaud Capuçon, Violine
Frank Braley, Klavier
Sonaten 1-10
Virgin Classics 50999 642001 0 1 (LC 7873)
Alina Ibragimova, Violine
Cédric Tiberghien, Klavier
Sonaten – Teil 1
Wigmore Hall Live 0036 (LC 14458)"
"Einleitung, Kreutzer-Sonate, Viktoria Mullova"
Vor dieser Einleitung hat jeder Geiger weiche Knie: Ungeschützt, weil vom Klavier unbegleitet, öffnet ein knappes Duzend schwieriger Doppelgriffe den harmonischen und melodischen Raum. Es entsteht der Eindruck, der Solist hebe an zu einer weiten Kadenz, die Vorangegangenes summieren und variieren möchte, doch sind diese gebundenen Akkorde selbst das, was vorausgeht – vorausgeht einem Sonatensatz, der in der Musikgeschichte ein ganz neues Kapitel aufschlägt.
"Einleitung, Kreutzer-Sonate, Viktoria Mullova"
Es war Wolfgang Amadeus Mozart, der Klavier und Violine erstmals als gleichberechtigte Partner behandelte, die Violine befreite vom alten Statistendasein. Bis dahin gab das Klavier immer den Ton an, und wenn die Geige mitspielen wollte, dann musste sie meist damit vorlieb nehmen, das zu wiederholen oder zu begleiten, was das Klavier vorgab. Mozart stellte beide Instrumente auf Augenhöhe: die Rollenverteilung entschied von Fall zu Fall das musikalische Material und nicht mehr die alte Hierarchie. Damit allerdings war erst der Anfang gemacht.
Es ist kaum zu glauben: Keine 20 Jahre trennen die späten Sonaten Mozarts von dieser hier, der Sonate Opus 47 in A-Dur von Ludwig van Beethoven. Acht Kompositionen für diese Besetzung hatte Beethoven bis dahin bereits geschrieben, in jeder das Gattungsschema erweitert und verändert. 1802 begann er dann die Arbeit an einer Duo-Sonate, die endgültig heraussollte aus dem Dunstkreis der häuslichen Kammermusik, in dem Werke für diese Besetzung bis dahin steckten: Sonaten spielte man allein oder mit und unter Freunden. Opus 47 aber sollte anders sein, Musik ohne Zugeständnisse, Musik für Virtuosen und ein großes Publikum. "Geschrieben in einem sehr konzertanten Stil ähnlich einem Konzert" , setzte Beethoven in der Originalausgabe dem Titel hinzu – ein stolzer Zusatz, der wohl auch eine Warnung sein sollte: für die, die diese Sonate wagten zu spielen, und auch die, die sie hörten.
Wie schockierend das Werk einmal geklungen haben mag in den Ohren von Beethovens Zeitgenossen, kann man ahnen, wenn man diese Aufnahme hört: Die eigentlich klassisch ausgebildete Geigerin Viktoria Mullova, Gewinnerin des Sibelius- und des Tschaikowsky-Wettbewerbs in den frühen 80er-Jahren, nähert sich mit dem in Südafrika geborenen Fortepianisten Kristian Bezuidenhout auf historischen Instrumenten dem vermutlichen Originalklang und macht spürbar, wie gefährlich diese Musik einst geklungen haben muss: Welche ungeheure Zumutung sie war für die wenigen Interpreten, die ihr technisch gewachsen waren, und für das Publikum, das von einer Violinsonate gehobene Unterhaltung erwartete und mit einem weit über halbstündigem Werk konfrontiert wurde, das in allen Belangen den Rahmen sprengte.
"Opus 47, zweiter Satz "
Spannend und auch ein wenig beängstigend, auf jeden Fall riskant und gefährlich klingt die sogenannte Kreutzer-Sonate bei Mullova und Bezuidenhout aber nicht allein des Instrumentariums wegen. Riskant und gefährlich ist diese Musik – wieder – weil die beiden, beflügelt von der klanglichen Transparenz und Prägnanz ihrer Instrumente, den Notentext so genau absuchen nach Überraschungen und Fallstricken, nach den für Beethoven typischen plötzlichen dynamischen Explosionen oder den Tempo- und sogar Metrumwechseln, mit denen hier alle Erwartungen hintergangen werden. Der Widmungsträger Conradin Kreutzer, als Geiger eine Berühmtheit damals, hat das Werk nie aufgeführt. Er hielt es für unspielbar, und von den Aufführungen, die es durch andere Musiker gab, wissen wir, wie ungeheuer verstörend sie waren für das Publikum damals. Mit Mullova und Bezuidenhout fällt es nicht schwer, das nachzuvollziehen.
"Einleitung, Kreuzer-Sonate, Renaud Capuçon"
Auch der Franzose Renaud Capuçon ist ein konventionell ausgebildeter Geiger, doch im Gegensatz zu seiner älteren Kollegin Mullova bleibt Capuçon seinem modernen Instrument treu, auch bei Beethoven. Das muss kein Nachteil sein: Capuçon fehlt es auch nicht an Willen, die Revolution erlebbar zu machen, die Beethoven anzettelte. Er bringt die Energie, die Emphase, gelegentlich auch den Zorn mit, den es wohl braucht, zumindest für den mittleren und späten Beethoven. Nicht ganz so verstörend genau und blitzschnell wie Mullova, aber doch aufmerksam registriert Capuçon die formalen und klanglichen Erschütterungen dieser Sonate und auch der anderen. Technisch hat er alles im Griff: fester noch als es Mullova möglich ist mit alten Darmsaiten und historischem Bogen.
Sein Partner am Klavier Frank Braley beeindruckt Capuçon damit allerdings nicht: Braley spielt eher artig als aufregend, fügt sich in die Rolle des Begleiters, die Beethoven aber gar nicht mehr von ihm verlangt. Eine auch von diesem Standpunkt aus gesehen ausgesprochen klassische Aufnahme der Sonaten also mit einem sehr guten, gleichwohl eben klassischen Geigers, der, trotz aller Dynamik, in allen Lagen ausgesprochen schön und sicher klingt - vielleicht ein klein wenig zu schön und sicher für diese Musik.
Wer lieber den modernen als den historischen Klang mag, aber es dennoch richtig knistern hören möchte, wer die Spannung liebt und auch nichts vom feinen Dialog verpassen will, den Beethoven in der Zweistimmigkeiten seiner Sonaten komponiert hat, dem sei ein drittes Duo empfohlen: die gebürtige Russin Alina Ibragimova und der Franzose Cédric Tiberghien. In der altehrwürdigen Wigmore-Hall, der besten Adresse Londons für Kammermusik, haben die beiden jungen Musiker an drei Abenden alle zehn Klavier-Violin-Sonaten von Beethoven aufgeführt und jetzt den ersten Teil dieses Projekts beim hauseigenen Wigmore-Hall-Label als Konzertmitschnitt präsentiert. Zwar steht die größte Kraftprobe, die Kreutzer-Sonate, noch aus, doch schon die frühen, wenige Jahre zuvor entstandenen Opusnummern 12, 23 und 30 spielen die beiden mit solcher Intensität und inneren Freiheit, dass man sich um Opus 47 und das Spätwerk Opus 96 keine Sorgen machen muss.
Wie aus dem Augenblick heraus, fast improvisatorisch, entwickeln Ibragimova und Tiberghien die einzelnen Sätze, wechseln mit spielerischer Leichtigkeit Vorder- und Hintergrund, thematische Führung und Begleitung, ergänzen und belauschen sich und finden einen gemeinsamen Tonfall, ohne den jeweils eigenen Klangcharakter zu schmälern. Auch auf dem modernen Konzertflügel und einer Geige mit Stahl- und Kunststoffsaiten klingt dieser Beethoven drum authentisch: Wie Mullova und Bezuidenhout, ermöglichen Ibragimova und Tiberghien, über diese Werke wieder zu staunen – nach mehr als zweihundert Jahren.
Das Presto, der erste Satz aus der zweiten Sonate für Klavier und Violine von Ludwig van Beethoven - in einer neuen Aufnahme von Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien, sie ist erschienen beim Label Wigmore Hall. Außerdem stellten wir Ihnen vor: die Gesamtaufnahme der Beethovenschen Violinsonaten mit Renaud Capuçon und Frank Braley beim Label Virgin Classics und die Neueinspielung der Sonaten 3 und 9 von Viktoria Mullova und Kristian Bezuidenhout bei Onyx Classics.
"Ludwig van Beethoven: Sonaten für Klavier und Violine
Viktoria Mullova, Violine
Kristian Bezuidenhout, Fortepiano
Sonaten op. 12/3 und op.47
Onyx Classics 4050 (LC 19017)
Renaud Capuçon, Violine
Frank Braley, Klavier
Sonaten 1-10
Virgin Classics 50999 642001 0 1 (LC 7873)
Alina Ibragimova, Violine
Cédric Tiberghien, Klavier
Sonaten – Teil 1
Wigmore Hall Live 0036 (LC 14458)"