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Ungeliebter Nachbar und unberechenbarer Partner

Nach dem NATO-Luftangriff hat Pakistan seine Teilnahme an der Afghansitan-Konferenz in Bonn abgesagt. Seither wächst die Sorge, dass sich das Land ganz offen vom Westen abkapseln könnte. Doch für die Lösung aller drängenden Probleme in Afghanistan ist Pakistan wichtig und für den Westen als Partner nicht austauschbar.

Von Kai Küstner | 03.12.2011
    Tod den Taliban – Tod Pakistan. Mit diesen Worten auf den Lippen marschierten Ende September Protestler durch die Straßen Kabuls. Kurz zuvor hatte ein Selbsmordattentäter Burhannudin Rabbani getötet. Den ehemaligen Präsidenten und Chef des Hohen Friedensrates. Also den Mann, der eigentlich Gespräche mit den Taliban anbahnen sollte. Ein Mord, der die Afghanen tief schockiert, tief frustriert hat.

    Dass sich die Wut gegen Pakistan richtete, ist kein Zufall: Der Nachbar ist mittlerweile verhasst in der Bevölkerung. Viel zu sehr mische der sich in afghanische Angelegenheiten ein, finden die Menschen. Ein Beobachter fasst dieses Gefühl in dem Satz zusammen: Wenn die Müllabfuhr nicht kommt, vermuten die Afghanen dahinter den pakistanischen Geheimdienst ISI. Das mag übertrieben klingen - aber dass Afghanistan Teil des sogenannten großen Spiels ist, bei dem alle mitmachen wollen, und bei dem jeder seine Machtpflöcke in den afghanischen Boden zu rammen versucht, ist auch unter Politikexperten unumstritten:

    "Abdul Waheed Wafa: Was unsere Sicherheit angeht, so glaubt keiner im Ernst daran, dass Pakistan uns nach dem Rückzug der internationalen Truppen in Ruhe lässt."

    Der Sicherheitsberater des afghanischen Präsidenten, Spanta, ist ohnehin seit Jahren überzeugt, dass der Westen sich mit seinem Land – überspitzt formuliert – sozusagen in der Adresse geirrt habe und am falschen Schauplatz kämpfe. Das eigentliche Problem, so Spanta, liege jenseits der Grenze:

    "Wenn Sie die Finanzkrise in Griechenland bekämpfen wollen, gehen Sie auch nicht in die Türkei."

    Seit Jahren – im Grunde seit Pakistan 2001 die Taliban offiziell fallen ließ und Verbündeter im Kampf gegen den Terror wurde – muss sich das Land den Vorwurf gefallen lassen, eine zweigleisige Strategie zu fahren: Es bekämpft, mit vielen Opfern, die Teile der Taliban, die den eigenen Staat gefährden. Verschont aber die, die es in Afghanistan noch braucht, wenn der Westen wieder weg ist. Und die für Anschläge auf die westlichen Truppen dort verantwortlich sind:

    "Als wir mit den Drohnen-Angriffen begannen, gaben wir den Pakistanis Hinweise, wohin wir zielen würden. Und jedes Mal war das Ziel hinterher verschwunden. Man musste nicht Sherlock Holmes sein, um da eins und eins zusammenzuzählen."

    So der ehemalige CIA-Offizier Bruce Riedel in einer Dokumentation der britischen BBC. In der auch Taliban-Kämpfer zu Wort kommen, die bekunden, vom pakistanischen Geheimdienst trainiert worden zu sein.
    Pakistans Armee weist all das entrüstet von sich. Und verweist beständig auf die Opfer, die es im Kampf gegen den Terror in den Stammesgebieten zu beklagen hat. Trotzdem: Der Vorwurf, dass die pakistanische Armee insgeheim als viel gefährlicheren Feind immer noch Indien sah und sich deshalb Teile der Taliban als zukünftige Verbündete noch warm halten wollte, war nicht aus der Welt zu räumen.

    Die bislang undiplomatischste Formulierung wählte im September Mike Mullen, damals noch US-Stabschef, als er öffentlich erklärte: Eine Taliban-Gruppierung, namentlich das Haqqani-Netzwerk, wirke "als wahrhaftiger Arm des pakistanischen Geheimdienstes ISI". Schon mit der Tötung Osama bin Ladens waren die US-pakistanischen Beziehungen erheblich erkaltet. Nach den Mullen-Äußerungen nun wiesen sie sichtbare Frostbeulen auf. Ganz so scharf wie Mullen umriss der Chef der NATO-Truppen in Afghanistan, John Allen, die Rolle Pakistans in dem Konflikt deshalb im Interview mit dem ARD-Hörfunkstudio Südasien nicht:

    "Pakistan leidet seit Langem unter dem Extremismus. Es gibt eine große Zahl von Aufständischen, bei denen wir heftig einer Meinung sind, dass sie eine Gefahr sowohl für Pakistan als auch für Afghanistan und unsere Mission darstellen. Es gibt andere, bei den wir uns wünschen, dass Pakistan uns mehr helfen würde – die Haqqanis sind ein gutes Beispiel."

    Genau diese Forderungen, im berüchtigten Nord-Waziristan gegen die Taliban vorzugehen – was Pakistan bislang ablehnt -, dürften nun in nächster Zeit leiser werden – oder gar ganz verstummen. Ende November beschoss die NATO mit Helikoptern und Kampfflugzeugen zwei pakistanische Grenzposten und tötete dabei 24 Soldaten. Damit haben die westlichen Truppen sinnlos Menschenleben zerstört – und gleichzeitig alle zarten Versuche, die Beziehungen wiederzubeleben.

    Gegen Amerika hilft nur der "Heilige Krieg". Dass Islamisten mit Slogans wie diesen auf die Straße gehen, ist nicht weiter ungewöhnlich. Nach dem NATO-Angriff auf pakistanische Soldaten waren es aber auch Anwälte, Politiker, Menschenrechtsgruppen, die in den Protestchor einstimmten.

    Die Wut auf die USA in Pakistan ist gewaltig. Im Grunde ist sie unterschwellig immer da, nach Ereignissen wie dem NATO-Angriff aber wird sie erst recht spürbar. Die Regierung: gerne als US-Marionette verhöhnt – seit Jahren zum Zerreißen gespannt zwischen dem Geldgeber und Bündnispartner Amerika, der an einem Arm zieht und einer anti-westlichen Bevölkerung, die am anderen zerrt. Wobei sich ein Rollenwechsel vollzogen hat: Pakistan ist nach dem NATO-Luftangriff zum Ankläger geworden. Vorher saß es immer wieder selbst auf der Anklagebank. Formbarer, beeinflussbarer im Sinne des Westens dürfte das Land damit nicht geworden sein – im Gegenteil. Dabei wissen alle ganz genau: Für die Lösung im Grunde aller drängenden Probleme in Afghanistan ist Pakistan wichtig. Und daher für den Westen als Partner nicht austauschbar. Ob es darum geht, die Taliban zu bekämpfen oder mit ihnen zu sprechen.

    "Ohne grünes Licht vom pakistanischen Geheimdienst und Militär wird es keine Friedensverhandlungen mit den Taliban geben."

    So Afghanistans Sicherheitsberater Spanta. Daher ist die Befürchtung, dass sich Pakistan nicht mehr nur heimlich, sondern ganz offen vom Westen und damit auch von dessen Wünschen abkapselt, groß. Ausgerechnet jetzt, wo man Erfolge braucht, um den Afghanen die Angst zu nehmen, dass ihr Land nach 2014 wieder in der Finsternis versinken werde. Pakistan, so formulierte es unlängst der ISAF-Chef John Allen, sei Teil der Lösung, nicht Teil des Problems. Schwierig wird es nur, wenn Pakistan eine ganz andere Lösung will als der Westen.