Archiv


Universalcomputer Großhirnrinde

Neurologie. – Die Funktionsweise des Gehirns ist eines der großen Rätsel der Wissenschaft – und das gilt nicht nur für das menschliche. Nur annäherungsweise ist etwa bekannt, in welche Zentren die Großhirnrinde unterteilt ist, wie sich diese gegeneinander abgrenzen und mit einander in Verbindung stehen. Eine Tagung mit dem imposanten Titel "Internationaler Gipfel der Hirnforscher" suchte heute in Berlin nach weiteren Erkenntnissen.

    "Wir glauben, man kann ein Stück der Sehrinde nehmen und es in die Hörzentren stecken und es wird funktionieren. Wir betrachten es als eine Art universalen Computerchip", erklärt Henry Markram. Er ist Professor am "Brain-Mind"-Institute in Lausanne und erforscht die funktionelle Einheit, aus der die ganze Großhirnrinde aufgebaut ist: das so genannte Mikronetzwerk. "Es ist unglaublich dicht", erklärt Markram, "bei einer Ratte passen in einen Stecknadelkopf 10.000 Nervenzellen, beim Menschen sogar 70.000." Dabei ist auch nach Jahrzehnten intensiver neurologischer Forschung die genaue Struktur dieses Mikronetzwerks unbekannt. In Lausanne versucht man daher seit rund fünf Jahren diese Netzwerke nachzubauen und in ihren einzelnen Regelkreisen zu erforschen. Die Arbeitsweise ist immer gleich. Die Forscher picken Elektroden in mehrere Nervenzellen und leiten so die Details ihre Elektrische Aktivität ab. Jede Zelle wird dabei durch 140 verschiedene Messwerte charakterisiert. Im nächsten Schritt zeichnen die Forscher auf, wie sich die verschiedenen Zellen gegenseitig beeinflussen. Anschließend wird der Zellsaft abgesaugt. Denn darin lässt sich die Aktivität von weit über 30 Genen bestimmen. Als letztes wird ein Farbstoff injiziert, der noch in die feinsten Verästelungen der Nervenzelle vordringt. Unter dem Mikroskop zeigen sich dann die Form des Neurons und vor allem ihre Verbindungen.

    In den Grundzügen haben diese Detailarbeiten bereits Früchte gezeigt. Markram: "10.000 Nervenzellen arbeiten als Gruppe zusammen und übernehmen eine bestimmte Aufgabe." 80 Prozent dieser Zellen sind erregend und aktivieren andere Neuronen, mit denen sie in Kontakt stehen, allerdings gibt es auch die 20 Prozent hemmende Nervenzellen, die die Aktivität der anderen bremsen und so die elektrische Aktivität des Netzwerks kontrollieren und steuern. Diese Basiseinheiten, so glauben Markram und seine Kollegen leisten dann keine spezifische Datenverarbeitung etwa für das Seh- oder das Hörzentrum, sondern verarbeiten jede einlaufenden Daten in gleicher Weise. Allerdings greifen die spezialisierten höheren Zentren der Großhirnrinde dann wieder nur die Informationen auf, mit denen sie etwas anfangen können. Markram will in den kommenden drei bis fünf Jahren mit Hilfe von Supercomputern die Funktionsweise eines Mikronetzwerkes von 10.000 Nervenzellen nachbilden. Und allein das sollte die Fähigkeiten der künstlichen Gehirne relativieren.

    [Quelle: Volkart Wildermuth]