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Universität im Schatten des Nahost-Konflikts

Verlässlich planbar ist wenig für die beiden Wissenschaftler Jamal Amro und Dr. Latif Abu Hishle von der palästinensischen Universität Birzeit. Ob und wie sie reisen können, das entscheidet sich manchmal von einer Stunde zur anderen. Und so kam der Besuch an der Universität Dortmund auch nur mit Hindernissen zustande. Eine Partnerschaft und ein gemeinsames Projekt der Institute für Raumplanung, das im Februar starten soll, verbinden die beiden Hochschulen. Es ist ein Kooperation und ein Wissenstransfer in Zeiten des Krieges. Noch bis zum Wochenende bleiben die beiden Palästinenser in Dortmund.

    Wir versuchen unser Bestes, unsere normalen Leben trotz der harten Umstände zu leben. Wir bestehen darauf, unsere Arbeit zu tun, und unser Leben weiterzuführen.

    Abu Hishle, Vizepräsident der Universität Birzeit, kämpft für einen funktionierenden Lehrbetrieb, so gut es eben geht. Die Universität liegt in der Westbank vor den Toren Ramallahs. Sie ist die älteste und wohl auch renommierteste Hochschule in Palästina. Sie gilt als weltoffen, liberal – und so hat sie viel zu verlieren durch den Nah-Ost-Konflikt. Ramallah wird als Regierungssitz von Yasser Arafat immer wieder von der israelischen Armee besetzt. Die kriegsähnlichen Zustände haben das Angebot und den Lehrbetrieb der Universität längst eingeschränkt. Das eigens für ausländische Studenten entwickelte Studienprogramm mit Schwerpunkten in arabischer Sprache und Geschichte kann zur Zeit nicht durchgeführt werden:

    Vor dieser Intifada hatten wir hier pro Semester zwischen 60 und 70 ausländische Studenten aus Europa, den Vereinigten Staaten. Sie können von überall her kommen und studieren. Im Moment ist dieses Programm aber eingefroren. Der Grund: Diese Studenten haben Angst, sie fürchten sich zu kommen und unter diesen harten Umständen zu leben. Seit wir dieses Programm gestartet haben, ist es das erste Semester, in dem wir keine Auslandsstudenten haben.

    Für die 5500 palästinensischen Studenten, die in Birzeit eingeschrieben sind, gilt: Von einem ungestörten und normalen Studienalltag kann keine Rede sein. Straßensperren, Kontrollen, Campus- und Universitätsbesetzungen durch die israelische Armee verdichten das Gefühl, als Gefangene im eigenen Land zu leben. Studieren, so sieht es Dr. Abu Hishle, ist eine Art Widerstand geworden. Sie wollen den Lehrbetrieb aufrechterhalten, auch wenn Ihnen zwischendurch der Zugang zu Ihrer Universität verwehrt wird, eine Notsituation, die erfinderisch macht:

    Unser akademisches Jahr ist in drei Teile geteilt: erstes, zweites und Sommersemester. Im zweiten Semester vergangenes Jahr saßen wir alle zu Hause, Fakultät und Studenten haben nichts getan, weil die Israelis Ramallah und die Birzeit-Gegend wieder besetzt hatten. Keiner von uns konnte auf den Campus gehen, seine Arbeit tun. Wir fingen an zu überlegen, was man tun könne. Wir wollten das Semester zu Ende bringen. Wir haben ein neues Programm gestartet, bei dem die Studierenden übers Internet lernen können. Die finden dort Kurse und Materialien. Wir haben die Website von Birzeit entwickelt, wo alle Fakultätsmitglieder ihre Materialien und Mitschriften hinterlegen sollen. Auf diese Weise konnten wir das zweite Semester zu Ende bringen.

    Mit dem Online-Angebot gegen Straßen- und Zugangsperren. Ein kleiner Erfolg in Zeiten des Notstands und des Mangels. Denn Intifada und Besatzung haben auch die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes aufgezehrt. So verzichten alle Dozenten der Universität Birzeit seit einem Jahr auf die Hälfte ihres Gehaltes. Die Studenten stehen selbst nach einem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums vor einer bedrückenden Zukunft. Die Arbeitslosigkeit in der Westbank und in Gaza liegt bei rund 50 Prozent. Zudem hat die Spirale der Gewalt die Städte und Hochschulen in Palästina weitgehend isoliert. Wenn jetzt mit Hilfe der Partneruniversität Dortmund der Ausbau der Raumplanung weiter entwickelt wird, dann ist es auch der Versuch, international Reputation zu gewinnen und diese Isolation zu durchbrechen. Erst einmal sind es Dozenten der Uni Dortmund, die nach Birzeit gehen, wie die Raumplanerin Dr. Viktoria Waltz, Initiatorin des Projektes, erläutert:

    Wir haben für den ersten Durchgang, quasi die ersten zwei Jahre, - dann wird man mit Master oder Diplom aufhören - vorgesehen, dass wir die Lehre mit unterstützen. Es gibt auch Ökonomen, es gibt Soziologen in Birzeit, die werden kooperieren, aber sie sind nicht spezialisiert auf räumliche Planung. Das bringen wir mit. In kooperativen Veranstaltungen, es werden Lehrende kommen, und ein Blockseminar machen, eine Projektbegleitung, Einführung betreiben dann machen die Lehrenden dort weiter und im zweiten Durchgang dann werden wir erst mit dem Studentenaustausch anfangen.

    Und wie ihre Kollegen von der Universität Birzeit ist Viktoria Waltz nach ihren Aufenthalten in Birzeit und Ramallah letztlich überzeugt, dass es irgendwie doch weitergehen wird, und dass dieses Projekt erfolgreich durchgeführt werden kann:

    Die Studenten versuchen alles, um zu kommen, die Lehrenden versuchen alles um zu kommen. Man kann sagen, dass 70 bis 80 Prozent der Studierenden wirklich da sind, also sie sind auch Meister im Überleben und Organisieren und im wesentlichen findet der Lehrbetrieb statt.

    Autor: Jörg Beuther

    Links zum Thema

    Birzeit University