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Unpolitische Jugend?

Mit Politik wollen die meisten Schüler nichts zu tun haben. Das fand ein Wissenschaftlerteam der Universität Halle in einer Studie heraus. In einer repräsentativen Untersuchung an Schulen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt fragten die Forscher Schüler nach ihrem politischen Interesse, ihrer politischen Einstellung und nach ihrer Nähe zu rechtsextremen Gesinnungen.

Von Bettina Köster | 29.06.2006
    In einem weiteren qualitativen Teil der Untersuchung beobachteten die Wissenschaftler beispielsweise, wie die Schüler mit Mitschülern ausländischer Herkunft umgehen und wie Konflikte mit ihnen ausgetragen werden. Eine nordrhein-westfälische Hauptschule stilisierte sich dabei selbst zur besten Integrationsklasse der Welt.

    David: " Mit Politik will ich eigentlich gar nichts zu tun haben. Politik ist nichts für mich. Ich habe gar keine Lust mich dafür zu interessieren sag ich jetzt mal."

    Janina: " Ja, ich lese schon Zeitung, aber es dann mehr die Bildzeitung und das ist ja nicht viel, nur die erste Seite, wo was über Politik drin steht und das interessiert mich eigentlich nicht wirklich. Nur wenn es jetzt so um die Zigarettensteuern oder so was geht, dann rege ich mich doch schon auf, aber so. Man kann ja eh nichts ändern."

    Dovian: " Politik auch kein Interesse, weil man kann alleine eh nichts ändern. Vielleicht, wenn ich mal älter bin, kann schon sein. wie zum Beispiel meine Eltern, die gucken Nachrichten und interessieren sich eigentlich dafür. Ich finde es schöner jetzt noch draußen zu sein, als mir Nachrichten anzugucken, Spaß zu haben."

    Janina: " Wenn ich die Merkel wäre, dann würde ich was ändern, dann glaube ich schon das man was ändern könnte, aber die reden immer viel zu viel und machen gar nichts. Vielleicht ist das auch nicht so einfach, wie man sich das von unten vorstellt, aber so schwer kann das ja auch nicht sein ein paar Arbeitsplätze zu schaffen. Es gibt so viel, was gemacht werden muss, aber das sehen die nicht, die sehen einfach nur ihr Geld."

    David, Janina und Dovian sind nicht die einzigen Jugendlichen in Deutschland, die sich wenig für Politik interessieren und auch keinen Sinn darin sehen sich politisch zu engagieren. Die drei besuchten bis vor einem Jahr noch eine Hauptschule in Bochum. Und diese Hauptschule war eine von 43 Schulen in NRW und Sachsen-Anhalt, die von einem Forscherteam der Universität Halle in einer breit angelegten Untersuchung unter die Lupe genommen wurde. Die Wissenschaftler befragten insgesamt 4700 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 14 und 16 Jahren nach ihrer politischen Einstellung, ihrem politischen Wissen und nach ihrem politischen Engagement. Dr. Hans Hermann Krüger, Prof. für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Halle.

    " Insgesamt decken sich die Ergebnisse teilweise mit dem, was man aus der anderen Studie bei internationalen Studie Civic Education, wo 14-Jährige befragt wurden in 30 internationalen Ländern, vergleichbar auf der Ebene des Allgemeinen Interesses an Politik sind Jugendliche an sich quantitativ gesehen recht wenig an Politik interessiert, was die Parteienorientierung angeht und die rechten Orientierungen ist es so, dass es sich an sich nur um kleine Minderheiten handelt. Bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren in beiden Bundesländern die rechte Parteien oder auch hart rechtsextreme Orientierungen vertreten, das sind so Gruppen zwischen drei und fünf Prozent, Sachsen-Anhalt vielleicht ein bis zwei Prozent mehr, aber man findet da keine dramatischen Ost-West-Unterschiede, zumindest nicht bei dieser Altersgruppe der 14-16-Jährigen."

    An Gymnasien ist das politische Interesse der Schüler tendenziell stärker ausgeprägt als an Real- und Hauptschulen. Hauptschüler sind allerdings eher bereit ihre Ärmel hochzukrempeln und beispielsweise bei einem Streik mitzumachen als Gymnasiasten. Grundsätzlich prägen Familie und Peer-Groups die politische Orientierung von Schülerinnen und Schülern stärker als die Schule. Das heißt: Haben die Eltern oder der Freundeskreis politische Ambitionen, sind in einer Partei oder engagieren sich in einer Bürgerinitiative, so ist deren Einfluss viel stärker als der der Lehrer und des Politikunterrichts. Dabei unterscheiden sich Mädchen und Jungen in der Form der politische Partizipation. Prof. Krüger und Dr. Werner Helsper, Prof. Schulpädagogik und Schulforschung.

    Krüger: " Was das Interesse an Parteipolitik oder offizieller Politik angeht, ist das Interesse der Jungen in der Regel deutlich höher als der Mädchen, weil sich Mädchen für offizielle Politik nicht so stark interessieren, anders sieht das hingegen aus bei Engagementformen, ehrenamtlichen E. oder anderen Formen von E., da sind die Mädchen in der Regel engagierter als Jungen."

    Helsper: " In einer der qualitativen Studien haben wir auch also innerhalb einer gymnasialen Kultur, die sehr stark an demokratischen Prinzipien, kritischer Öffentlichkeit etc. orientiert war, haben wir zwei Gruppierungen einerseits Mädchen, einerseits Jungen genauer untersucht und beide verorten sich eher in einem linken kritischen engagierten Spektrum und hier war sehr interessant zu sehen, dass die Jungen im gewissen Sinne sich als die politisch überlegenen gegenüber den Mädchen gebärdeten in dem Sinne, dass sie ihnen eigentlich die volle Teilhabe an dieser Form von politischer Kultur absprachen, sich also im gewissen Sinne als die Wissenderen auch die Kritischeren stilisierten, aber die Mädchen im Grunde genommen diejenigen waren, die faktisch das politische Handeln sozusagen organisiert haben."

    Offene Rechtsextreme und fremdenfeindliche Haltungen sind bei Jungen doppelt so hoch wie bei Mädchen. Die Jungen organisieren sich auch eher in entsprechenden Jugendgruppen wie beispielsweise bei den Skinheads. Insgesamt fanden die Forscher rechte Orientierungen nur bei 8-10 Prozent aller befragten Schüler. Es gab jedoch bereits vermutete Unterschiede in den Bundesländern.


    " Weit verbreitete fremdenfeindliche Haltungen auch in der Tendenz durchaus nationalistische Haltungen, die in der Tendenz in den neuen Bundesländern also in Sachsen-Anhalt doch deutlich höher sind als in NRW. Und das könnte man zum Teil mit der Kontakthypothese erklären, dass natürlich also in dem Maße wie auch die Möglichkeit besteht, dass Schüler unterschiedliche Nationalitäten und Ethnien sich untereinander kennen lernen können, einerseits steigen natürlich die Möglichkeiten für Konflikte, andererseits lernt man sich auch ein Stück besser kennen und gewinnt Freunde und vor dem Hintergrund werden auch Stereotype, die ansonsten eher entstehen, eher abgebaut werden können."

    Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund liegt in Sachsen-Anhalt nur bei zwei Prozent. In NRW dagegen im Durchschnitt bei 10 bis 15 Prozent. Haupt- und Gesamtschulen haben dort teilweise sogar einen Ausländeranteil von bis zu 60 Prozent. Je nach Schulleitung und Schulkultur steht hier die Integration der ausländischen Schülerinnen und Schüler im Vordergrund. ZUM BEISPIEL bei der Hauptschule in Bochum, die Integration nicht im Sinne von Anpassen versteht, sondern im Sinne von Aushalten von Differenzen.

    Und in derartigen Klassen haben wir hospitiert und hier haben wir ein Phänomen gefunden, dass uns ganz außerordentlich beeindruckt hat, nämlich eine Klasse, die sich selbst wieder ein Stück stilisiert hat als die beste Klasse der Welt. Wir haben danach gesagt, es ist natürlich nicht die beste Leistungsklasse der Welt, sondern es ist die beste Integrationsklasse der Welt.

    David: " Weil wir alle Mann gut miteinander klar kamen, wir hatten auch nie Stress in der Klasse, von wegen Schlägerei oder so was hatten wir echt nie und überhaupt alles hat bei uns so gestimmt."

    " Vielleicht auch wegen unserer Lehrerin, die hat uns ja gut erzogen. Die hat immer so oft uns gelobt auch und die hat auch immer so Sachen wie z. B. Tee kochen in der Klasse und Kekse da und hin und her."

    Janina: " Also ich glaub auch wegen unserer Klassenlehrerin, dass wir gut miteinander umgehen sollen. Auch wenn irgendeiner Probleme hatte, auch die ganze Klasse dann hinter der Person dann stand, die Probleme hatte und nicht halt noch dagegen gedrückt hat."

    Sascha: " Einfach nur Unterricht mit Liebe. Wir haben uns alle gut verstanden und ich hab mich auch immer richtig gefreut auf Schule und so."

    " Ich als Ukrainer wurde auch oft reingelegt, heute morgen auch noch. Russland hat keine Fahne, Flagge eigentlich heißt das oder so was. Das ist Spaß."

    Natürlich lief auch in dieser Klasse nicht immer alles reibungslos. Aber die Art und Weise, wie die Schülerinnen und Schüler mit Problemen umgingen, war eben anders als in anderen Klassen. Besonders gefordert wurde die Klassengemeinschaft, als sie einen schwarzen Mitschüler bekam, der unangenehm roch und niemand so recht wusste, wie man es ihm sagen sollte, ohne ihn zu verletzen. Die Lehrerin Ilka Kohlmann.


    " Ich hab den Klassensprecher angesprochen, der sich auch schon bei mir beschwert hatte und habe es mit ihm gemeinsam gemacht. Das Problem war, dass wir vorher Vorurteile durchgenommen hatten und da war ein Vorurteil, dass Ausländer oder Schwarze stinken. Und das war jetzt natürlich ganz doof, weil wir ja jetzt nicht das Vorurteil benutzen wollten und deswegen mussten wir da ganz vorsichtig mit sein. Und da fand ich es wichtig, dass das ein Schüler aus der Klasse stellvertretend und vorsichtig sacht und das hat der Fefzi damals auch sehr vorsichtig gemacht. Der hat gesagt: Wir wollen dich nicht angreifen, aber es ist uns aufgefallen, dass und dann haben wir das einfach besprochen mit ihm zusammen und dann war's okay."

    Der betroffene Junge war zwar anfangs schon irritiert, aber die Lehrerin bettete sein Problem geschickt in ein allgemeines Adoleszenzproblem ein. Also, dass eben alle Schüler, wenn sie in die Pubertät kommen strenger riechen als zuvor und es keine Frage der Herkunft ist. Dieser offene und klare Umgang miteinander ist durchaus ein Stück gelebte Demokratie im Klassenraum. Prof. Helsper und Prof. Krüger.


    " Auf der einen Seite können wir zwar mit einem Außenblick auf die Jugendlichen, sehr wohl das rekonstruieren, was sie in ihrem täglichen Handeln getan haben, als gelebte Politik, als politisches Handeln, auch wenn sie es selbst nicht so begreifen, aber der ganz wichtige Punkt ist der, wenn es darum geht, dass aus dem engen Nahraum, also man könnte sagen aus der verschwisterten Solidargemeinschaft Klasse herauszunehmen, es auf die nächste Umgebung also auch auf das Tätigwerden in der Gemeinde man könnte sagen, auf die nächste institutionelle Rahmung, die diese Schule umgibt, zu beziehen, geschweige denn Partizipation im gesellschaftlichen Raum, da findet dieser Transfer nicht statt."
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    " Aber das wäre aus meiner Sicht gerade die Aufgabe politischer Bildung in der Schule, Aufgabe auch der Lehrer in der Schule, genau diesen Transfer herzustellen. Das man sagt, genau dieses kleine Handeln im Alltagsraum ist Teil von Demokratie und man muss dann die Brücke schlagen im Bereich der politischen Bildung halt zu den großen Formen von Politik, nur das ist ja teilweise schwierig, wenn man sich das Stundenvolumen anguckt für so Fächer wie politische Bildung in Deutschland zum Beispiel, da hat man oft in vielen Bundesländern eine Stunde politische Bildung und Sozialkunde und dann auch oft ab der 8.Klasse bis zur 10. Klasse nur. Und ich denke mir einfach, dass der Raum für politische Bildung in der deutschen Schule insgesamt zu gering ist."

    Politisches Bewusstsein gepaart mit gutem Willen garantieren aber kein demokratisches Verhalten unter den befragten Jugendlichen. So fanden die Forscher heraus, dass es auch im linken Spektrum der Jugendlichen durchaus fremdenfeindliche Orientierungen gab. Das zeigte sich bei einem weiteren Fallbeispiel, einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen, dessen Lehrerinnen und Lehrer einen sehr hohen Anspruch an kritischer Reflexion hatten. Helsper:

    " Innerhalb dieses Zusammenhangs wurden Jugendlichen zum Beispiel Möglichkeiten der Partizipation und auch kritischer Äußerungen eingeräumt und dort sind wir auf eine Jungenclique getroffen, die sich auch als linkskritisch oppositionell verstand, ((((die ihrerseits aber gegenüber den Mädchen schon feine Formen der subtilen Abwertung sozusagen innerhalb ihrer Deutungen transportierte und in einem Konflikt, den wir dort beobachtet haben, wo diese Clique involviert war und gleichzeitig ein türkischer Jugendlicher involviert war, konnten wir feststellen, dass es auch subtile Formen sozusagen der Abwertung dieses türkischen Jugendlichen gab, wobei diese Abwertungen gegenseitig waren. Also man kann sagen die linken Orientierungen auch die linken Stilisierungen bewahren nicht davor mit abwertenden Äußerungen gegenüber Jugendlichen aus anderen Ethnien aufzuwarten und das war hier sehr stark der Fall, dass er in Bezug auf sein Aussehen auf seine etwas dunklere Hautfarbe etc. in feinen Anspielungen eigentlich gekränkt wurde und er seinerseits diese Kränkungen auch zurückgegeben hat."

    Der Konflikt spitzte sich so zu, dass er beinahe in eine Schlägerei mündete, hätte nicht die Schulleitung eingegriffen. Der Streit zwischen den Jugendlichen wurde öffentlich gemacht und die betroffenen Schülerinnen und Schüler stellten sich in einem moderierten Gespräch. Die Probleme wurden also nicht unter den Teppich gekehrt, sondern ernst genommen und ausgetragen.

    Die Forscher fanden bei ihrer Untersuchung auch Schulen, die ihre Probleme mit direkter oder subtiler Fremdenfeindlichkeit nicht offen angingen. Prof. Krüger:

    " Das ist vor allen Dingen ein Muster, was man an einigen Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt findet, dass man einfach die politischen Probleme sozusagen nach außen trägt und einfach sagt, man nimmt wahr, dass man rechte Schüler in der Schule hat und macht das aber an der Schule zum Tabuthema, sagt dem Schüler, seine rechten Sprüche kann er ablassen, aber bitte vorm Schultor und das ist natürlich sozusagen der Bankrott einer Form von pädagogischen Umgang mit rechten Jugendlichen, dass man sagt, wir in der Schule machen das zum Tabuthema und die sollen das 300 Meter vorm Schultor dann austragen."

    Das Land Sachsen-Anhalt hat jedoch auch besonders schwierige Rahmenbedingungen, denn es ist durch den häufigen Regierungswechsel durch eine inkonsistente Bildungspolitik geprägt. Außerdem wurden in den vergangenen Jahren wegen des Schülerrückgangs immer mehr Schulen zusammengelegt. Die immer wieder neu zusammengewürfelten Kollegien sind dann schließlich nicht mehr so motiviert, ihre schulspezifischen Probleme aktiv anzugehen, so die Einschätzung der Forscher. Die Lehrerinnen und Lehrer brauchen viel mehr selbst Unterstützung, um die Umbrüche an den Schulen auffangen zu können. Prof. Helsper


    " Es müsste also so etwas dort laufen wie ne Stärkung des Kollegiums selbst, also ich kann im Grunde genommen nicht erwarten, dass diese Lehrkräfte intensiv mit den Konfliktdynamiken innerhalb der judendkulturellen Szenerie und der politischen Orientierungen arbeiten, wenn sie nicht gleichzeitig selbst wahrgenommen werden und ihrerseits sozusagen sozial gestärkt werden, also würde das heißen zum Beispiel Organisationsentwicklung vor Ort. Welche Probleme gibt es dort, Flankierungen, wenn die Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt, die ein Stück mal entwickelt war, also abgeschafft wurde, dann trifft das natürlich vor allem Schulen dieser Art. Man könnte sagen ne verstärkte Zusammenarbeit von Schule- und Jugendhilfe, das müsste wieder umfassender angedacht werden."


    Weitere Empfehlungen der Wissenschaftler: Die Schulen in den neuen Bundesländern sollten sich generell stärker international orientieren. ZUM BEISPIEL durch den Aufbau von Europa- oder Unesco-Schulen, aber auch durch mehr internationalen Schüleraustausch, so dass die Schülerinnen und Schüler auf der einen Seite reale Erfahrungen mit Fremden machen können, auf der anderen Seite selber erleben, wie es ist Fremder zu sein. So können die Schulen die demokratische Handlungskompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler stärken. Entscheidend für politisches Interesse und Bewusstsein sei jedoch an allen Schulen, dass die Jugendlichen nicht nur rein formal Funktionen wie Schul- oder Klassensprecher in der Schule übernehmen können, sondern in ihrem Amt, aber auch als Mensch ernst genommen und geachtet werden. Entsprechende Appelle richteten die Forscher auch an die untersuchten Schulen in NRW, die an Rückmeldung interessiert waren.