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Unselds Geist und andere Gespenster:

Muss man von dieser Nachricht Aufhebens machen? Das hängt davon ab, was uns Suhrkamp, der Hausverlag der Kritischen Theorie, Hort der literarischen Moderne der Bonner Republik, noch bedeutet. Irrationalismus an der Spitze eines Verlags, der für Aufklärung steht, wäre ein schlechter Witz. Die tagespolitischen Einlassungen der neuen Chefin sind fragwürdig, ihr Verhältnis zum Okkultismus ist ungeklärt, und ihr hohepriesterliches Auftreten vor grossem Publikum schmeckt so gar nicht nach der vielzitierten Suhrkamp-Kultur. Sodann wäre der Wille Siegfried Unselds zu achten. Am Neujahrstag 2002, zehn Monate vor seinem Tod, stellte Unseld in einem Gespräch mit dem Norddeutschen Rundfunk klar, dass Günter Berg für ihn der künftige Verleger Suhrkamps ist. Ein Verleger freilich ohne die materielle Verantwortung, die er, Unseld, getragen habe. Dafür sei dann die Familienstiftung da, zunächst mit ihm, nach seinem Ableben dann mit seiner Frau Ulla an der Spitze.

Joachim Güntner |
    Die Details der Stiftungskonstruktion sind kompliziert, unmissverständlich jedoch ist, wie sich Siegfried Unseld die Zukunft seines Verlages vorstellte: Günter Berg, seit sechzehn Jahren im Haus und vom Lektor der Brecht-Ausgabe zum Allrounder gereift, der das Lizenzgeschäft ebenso wie das Marketing beherrscht, sollte als der eigentliche Macher im Verlag das Programm bestimmen, die Verträge mit den Autoren schliessen usf. Die Stiftung hätte die Rolle einer Mehrheitsgesellschafterin mit den üblichen Aufsichtspflichten zu spielen, und weil Unseld zeit seines Wirkens seine grossen Autoren nicht nur verlegt, sondern auch zur Beratung herangezogen hatte, installierte er zusätzlich einen Stiftungsrat: Gebildet aus Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Adolf Muschg und Wolf Singer, sollte dieses ideelle Lenkungsorgan «Kontinuität, Ruf und literarischen Anspruch» der Verlagsgruppe wahren.
    Eine Teilnahme am operativen Verlagsgeschäft hat Siegfried Unseld, sofern wir seinen öffentlichen Bekundungen mehr trauen als Gerüchten über Vermächtnisse auf dem Sterbebett, für seine Frau nie vorgesehen. Deren Beförderung zu Geschäftsführerin mit Sprecherstatus ist darum, sportlich gesprochen, regelwidrig. Es ist auch noch gar nicht so lange her, dass Suhrkamps Presseabteilung jedem Neugierigen versicherte, Ulla Berkéwicz sei mit ganzem Herzen Autorin und am Verlagsgeschäft nicht interessiert. Offenbar war das eine Fama, denn heute lautet die Version, das Leben an der Seite Siegfried Unselds habe Frau Berkéwicz seit zehn Jahren auf die Verlegerei vorbereitet.
    Noch sind die Kompetenzen in der zur Quadriga erweiterten Geschäftsführung nicht spezifiziert. Dass aber Ulla Berkéwiczs Einstieg auf Kosten von Günter Berg geht, liegt auf der Hand. Eine symbolische Demonstration der Kräfteverhältnisse bot die Gedenkveranstaltung für Siegfried Unseld vergangene Woche in der Paulskirche, wo der Verlagsleiter keinen Redebeitrag liefern durfte. Ob dieser Demontage spricht der Berliner «Tagesspiegel» heute schrill vom «Krieg» bei Suhrkamp, der von der kalten in die heisse Phase getreten sei. Ein Machtkampf zwischen den Anhängern von Berg und Berkéwicz ziehe sich durch alle Einrichtungen des Verlags. Autoren berichten von Mobbing, von unglücklichen Mitarbeitern. Sicher ist: Verliesse Berg das Haus, würden die zentrifugalen Kräfte enorm zunehmen. Martin Walsers jüngste Interview-Äusserungen weisen bereits in diese Richtung.
    Eigentlich schlüge jetzt die Stunde des Stiftungsrates. Aber Habermas & Co. sind uneins. Lauter Protest gegen den Umbau der Geschäftsführung ist von ihnen nicht zu erwarten. Natürlich kann man das Votum von Siegfried Unseld für Günter Berg beiseite schieben. Suhrkamp war ein Patriarchat, warum sollte dieser Verlag,der der Autorität so nachtrauert, es jetzt nicht mit einem Matriarchat versuchen? Die neue Chefin habe Charisma, sagen ihre Fans. Ja sicher, doch es könnte das falsche sein.