Wir queren den Rhein mit einer kleinen Personenfähre. Hinter uns das Denkmal von Kaiser Wilhelm I.. Über uns die Seilbahngondeln, die den Kaiser quer über den Rhein hoch oben mit der preußischen Festung Ehrenbreitstein verbinden. Der Rhein, ein deutscher Schicksalsfluss, mit Mythen und Interpretationen. Und das geben wir weiter an Professor Dr. Joachim Hofmann-Göttig....
"Ja der Rhein ist wirklich sehr vieles. Er ist Handelsstraße, die meist befahrenen Schifffahrtsstraße Europas. Es war früher Grenze, ist heute verbindendes Element in Europa. Es ist eine Flusslandschaft, die kulturell enorm aufgeladen ist und deswegen auch von der UNISCO zum Weltkulturerbe Oberes-Mittel-Rheintal erhoben wurde. Und der erste Reiseführer, der hier über die Region entstand, das war von Karl Baedeker, ein Koblenzer."
Der Baedeker als Reise- und Kulturführer und Sie haben mir noch ein anderes Buch mitgebracht. Das ist ein ganzer Band mit Bildern von William Turner. Und da ist auch eine Annäherung an Koblenz. Wir haben hier einen Blickwinkel, das ist eine Moselbrücke, die er gezeichnet hat, mit neun Bögen? Da sind die Ufer noch nicht befestigt. Da sind Menschen, es sind Kähne hier unterwegs.
"Der William Turner gehört ja zu den Begründern der Rheinromantik und er hat einen ganzen Lebenszyklus gemacht über den Rhein. Und hat damit dazu beigetragen den Rhein gewiss in romantischer Weise zu verklären, ihn aber auch interessant zu machen. Das von ihnen grade genannte Bild hat im Mittelpunkt die berühmte althistorische Balduinbrücke, jedenfalls zeigt sie einen Blick auf die Festung Ehrenbreitstein. Und das Ganze mit einer heimlichen Atmosphäre, die Neugierde stimuliert. Wenn man sich sagt, da musst du mal gewesen sein."
Sowohl Baedeker wie auch William Turner waren ja Vollprofis. Der Turner hat das hier nicht festgehalten und gesagt, das häng ich mir über das Nachtkästchen. Das ist 1842 gezeichnet worden. Hat er sich das mit rüber genommen, mit einer Unmenge anderer Skizzen. Und hat das im Winter ausgemalt, dieser Profi. Und hat es dann an seine Freunde und Gönner und seine Anhänger drüber, für etwa 500 Pfund, das war damals ein sehr gutes Geld:
"Er hat gewiss mit seinen Bildern in England sehr dazu beigetragen den Mittelrhein populär zu machen, ihn neugierig zu machen. Und es sind ja dann auch Tausende von Engländern gekommen, die von seinen Bildern her stimuliert waren."
Sie sind der Oberbürgermeister von Koblenz. Und eine etwas aprilscherzige Frage. Sind Sie damals noch hier von den Kurfürsten eingesetzt worden, oder später von den Preußen? Damals musste man sich, glaube ich, so einen lukrativen Job erkaufen.
"Da ich 60 Jahre alt bin, also Nachkriegskind, stehe ich mit beiden Beinen auf der demokratischen Seite Deutschlands. Man wird als Oberbürgermeister urgewählt von der Bevölkerung. Ich übe dann über acht Jahre dieses Amt aus."
Und dann beendet unser Bötchen unsere kunsthistorische Flussanreise nach Ehrenbreitstein. Wir legen an. Der Kapuzinerplatz. Kapuziner, Kapuzen, Mönche, eine barocke Klosterkirche. Die Kapuziner, ein Zweig der Bettelorden des Franz von Assisi. Gelebte Armut und Nächstenhilfe statt aufgeschwemmter Leckermäuler. Wir lesen:
"Die Kapuziner werden in den Wirren des 30-jährigen Krieges vom trierischen Kurfürsten angesiedelt. Franzosen und Schweden belagern die Festung, zerstören im hin und her dabei das Rheintal und auch den Ort Ehrenbreitstein."
Die Trierer Kurfürsten verlagern 1632 ihre Residenz moselabwärts nach Ehrenbreitstein, weil sie sich jenseits des Rheins und unterhalb der trutzigen Festung vor den Franzosen sicherer fühlen. Wir gehen nun über die breite, immer noch pompöse Hofstraße, Richtung ehemaliges Fürstbischöfliches Schloss Philippsburg. Und man kann sich (mit etwas Fantasie) vorstellen, wie vor gut 250 Jahren hier die luxuriöse 6-spännige kurfürstliche Kutsche entlang rollt. Begleitet von Hornbläsern, Bodyguards, Pagen als lebende Wagenverzierung. Wie die Ehrenbreitsteiner ihre devote, tiefe Verbeugung oder die Damen einen Hofknicks machen.
Wir kommen am Haus des kurtrierischen Hofkanzlers Georg Michael Frank von La Roche vorbei. Hier wohnt er mit seiner Gattin Sofie von La Roche von 1771 bis 1780, also neun Jahre. Der Hofkanzler ist die oberste Adresse im kurfürstlichen Kabinett. Der 22-jährige Jungjurist und Reiseschriftsteller und Dramatiker Johann Wolfgang Goethe schreibt über seinen ersten Besuch 1772:
"Über alles aber herrlich und majestätisch erschien das Schloss Ehrenbreitstein, (......) wo ich leicht zu der Wohnung des Geheimrates von La Roche finden konnte. Das ganze Haus stand ein wenig erhöht über dem Fluss gelegen, hatte die freie Aussicht.... den Strom hinabwärts.
Die Zimmer waren hoch und geräumig, die Wände galerieartig mit an einander stoßenden Gemälden behangen. Jedes Fenster machte den Rahmen zu einem natürlichen Bilde, das durch den Glanz einer milden Sonne sehr lebhaft hervor trat. Ich glaube, nie so heitere Morgen und so heitere Abende gesehen zu haben."
Heitere Morgen und Abende. Und dazu habe ich eine kleine Kopie eines Bildes. Titel "Goethe im Garten des Hauses La Roche". Man sitzt im Schatten eines Baumes, direkt am Rheinufer, locker tafelnd. Es wird diskutiert. Auf dem Fluss kleine Schiffe, Nachen, die gondoliereartig stehend gesteuert werden. Und da wo eben unsere Personenfähre den Rhein querte, da ist 1772 eine sogenannte fliegende Brücke. Also ein auf Bootskörpern schwimmender Holzdamm montiert. Den konnte man in der Mitte aufklappen, um Schiffe durchzulassen. Und auf der gegenüberliegenden Rheinseite sieht man die Großbaustelle eines neuen Schlosses für die bauwütigen Trierer Kurfürsten. Man gönnte sich ja sonst nichts.
Und ich möchte ein zweites, ein "erfundenes" Bild dazu montieren. Vielleicht kommen die feinen Speisen auf dem Gartentisch des kurfürstlichen Hofkanzlers La Roche direkt aus der Ehrenbreitsteiner Schlossküche Phillipsburg, 250 Meter entfernt. Ein paar liebevoll angerichtete Platten, angerichtet vom kurfürstlichen Dreisterne-Oberhof-Koch Johann Heinrich Keverich. Keverich wird der Großvater von Ludwig van Beethoven. Darauf kommen wir noch Wenn man sich etwas von dem Glanz des La Roche Hauses vorstellen will, dann sollte man sich heute das sogenannte Coenen’sche Palais mit der imposanten Freitreppe ansehen. Heute die feinste Adresse im Barockviertel von Ehrenbreitstein, für kleine Festlichkeiten, Weinproben, Lesungen oder Musiken.
Und diese kleine musikalische Erfrischungspause kommt genau aus jener Zeit der La Roches. Eingespielt von Isabelle Roger und Michael Sonne. Und hätten diese beiden Musiker vor 250 Jahren gelebt, dann wären sie sicher toupiert, gepudert und bezopft auch zu den Soiree oder in den Salon der Madame La Roche eingeladen worden. Oder sie hätten auf der kurfürstlichen Prunkjacht diskret die Zeit überspielt, wenn Ihro Gnaden auf Amüsierreisen unterwegs sind. Um rheinaufwärts, von Ehrenbreitstein nach Mainz zum dortigen Kurfürsten und Onkel zu reisen, braucht man, von Pferden auf dem Saumweg getreidelt, also gezogen, braucht man etwa 2 volle Tage. Rheinab bis nach Bonn zum Kölner Erzbischof Clemens August dauert es nur einen dreiviertel Tag. Ein Konzert’chen, gar eine Oper in Bonn, etwas turteln bei der Falkenjagd. Ein paar amüsante Tage zum Ausspannen.
Oder war das verschwenderische Leben bei Hofe nicht auch eine Provokation für die kleinen Steuerzahler, wenn das Geld nur zum offenen Fenster rausgeworfen wurde? Udo Liessem:
"Ob man Geld hatte, ist die zweite Frage. Man gab Geld aus. Also viele Schulden sind ja gemacht worden."
So, wie das heute auch ist. Man gab aus und überlegt nachher erst. Oder sagte, Kanzler, lass dir was einfallen. Wie viele Kurfürsten waren das?
"Acht. Ab 1632, wo sie hier residiert haben. Und für Ehrenbreitstein ist der Erste sehr wichtig, weil er hier die Residenz hingelegt hat, das Schloss hat bauen lassen. Und auch ganz wichtig hier in Ehrenbreitstein Schönborn, der hier dieses schlossartige Dikasterialgebäude hat bauen lassen, von Balthasar Neumann. Balthasar Neumann gehört zu den wirklich großen europäischen Architekten dieser Zeit. War am Hofe Schönborn tätig. Und war sowohl im Süddeutschen Bereich als auch hier in Koblenz, genau gesagt in Ehrenbreitstein dabei. Er hat ja in Koblenz ein riesiges Schloss gebaut für die Trierer Kurfürsten, von dem aber kein Stein mehr steht. Nicht hier, in Koblenz Kesselheim. Da war ein sehr großes Schloss mit einer wunderbaren Treppe. Aber da kennt man nur die Zeichnungen, weil das von den Franzosen abgerissen worden ist, als die im Zuge der Französischen Revolution hier am Rhein waren."
Zurück auf die Luxusjacht. Da, wo heute in Ehrenbreitstein das Rheinmuseum steht, da ist vor 300 Jahren das kleine Hafenbecken mit der geankerten Prunkjacht. Ein solches Schiff kann man im Modell im Museum sehen. Und zu der Jacht gehört auch ein spezielles Kochschiff, mit dem der Oberhofkoch Keverich seinen Kurfürsten auf Reisen begleitet, für den kleinen Hunger zwischendurch. Und so gehen wir in die verwickelten Gässchen der Ehrenbreitsteiner Altstadt und kommen zum Museum, vormals das Wohnhaus des Oberhofkochs Keverich.
Dessen erst 19-jährige Tochter Maria Magdalena, gerufen "Lenchen", sie ist aber schon verwitwet, heiratet in Bonn den kurkölnischen Musiker Johann van Beethoven. Und ihren Sohn nennen sie Ludwig. Ludwig van Beethoven. Karin Ostermann:
"So ist es so, dass Lenchen eine sehr gute Mutter gewesen sein muss. Denn der große Komponist hat sich sehr positiv über seine Mutter ausgelassen. Zum Tod seiner Mutter ist er eiligst von Wien zurückgekehrt. Und das sollte ja seine große Ausbildungsreise bei Mozart werden. Er hat sehr wohl erkannt, als junger Mensch, dass nur Erfolg nach dem Preis kommt. Und nachdem er im richtigen Fahrwasser war und gemerkt hat, dass ihm weder sein Vater, noch die darauf folgenden sehr ausgezeichneten Lehrer in Bonn nicht mehr weiterhelfen konnten, da sah er sich am Wendepunkt seines Lebens, wo er gesagt hat, ich muss jetzt den größten meiner Zeit zum Ausbilder nehmen. Und das ist in erster Linie damals Mozart. Sicherlich auch seine zweite Reise nach Wien, Ausbildung bei Haydn."
Und im kleinen Kammermusiksaal spielt der Jazzpianist Ralph Schäfer ein paar Variationen aus Beethovens "Freude schöner Götterfunken". Und der kleine Götterfunken aus Bonn, gemeint ist Ludwig, soll an der Hand seiner Mutter Lenchen auch mehrfach Ehrenbreitstein besucht haben. Ob das von seinem Vater vermarktete "Wunderkind" dabei auch an ein Cembalo im Schloss gesetzt wurde, ist nicht belegt. Seine Karriere ist hier im Mutter-Beethoven-Museum sehr verständlich ausgestellt. Aber auch alles Wissenswerte über Sofie von La Roche ist hier zu sehen. Sie kommt als 40-jährige nach Ehrenbreitstein. Editha Pröbstle:
"Hier hat sie wieder Fuß gefasst in Literatur und sie war "die Dame". Sie hat einen Überraschungscoup gelandet. Die Sofie von La Roche war praktisch die Vorreiterin, sie hat den ersten großen Frauenroman geschrieben. Und den ersten großen Literatursalon, sie hat ja praktisch ihre Gäste, ob das Goethe war, oder Klopstock oder Lenz mit offenen Armen empfangen. Sie war die Person, die die Gäste hierher gezogen hat. Durch sie ist auch Ehrenbreitstein in der Literatur bekannt geworden. Sie hat dann auch ihre Fähigkeit in ihren Enkel, den Clemens Brentano, der hier geboren ist, weitergegeben. Und den hat sie ja erzogen, weil ihre Tochter leider nicht mehr lebt."
Sofie von La Roches Frauenroman "Geschichte des Fräuleins von Sternheim", liegt hier unter Glas. Er soll eine literarische Sensation gewesen sein. Doch Madame La Roche selber verfährt mit ihrer eigenen Tochter Maximiliane konservativ. Sie verheiratet sie an den schon ältlichen, langweiligen, hoch begüterten Großkaufmann Brentano nach Frankfurt Und hinter der 17-jährigen Maximiliane ist auch der junge Goethe her. Er kommt 1772 auf der Flucht vor seiner Liebelei mit der Lotte Buff aus Wetzlar hier nach Ehrenbreitstein. Goethe macht aus der temperamentvollen Maximiliane auch literarisch, sein doppeltes Lottchen.
Und nun spazieren wir wieder durch die Hofstraße. Und einige Jahre später wird die wenig glücklich verheiratete Maximiliane Brentano hier in Ehrenbreitstein die Mama von Clemens Brentano. Der Enkel Clemens Brentano, teilweise von seiner Oma La Roche erzogen, geniest, erwachsen, großzügig alimentiert, das Leben eines romantischen Dichters und Lebe-Manns. 1805 schreibt er, da ist er 28-Jahre alt, an seinen Schwager Achim von Arnim.
"Ich habe Dir einen Vorschlag zu machen, nämlich ein wohlfeiles Volksliederbuch zu unternehmen. (...) Es muss sehr zwischen dem Romantischen und Alltäglichen schweben … "
Das ist Clemens Brentanos Vorschlag, gemeinsam eine Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" zusammenzutragen. Er schreibt weiter:
"Wenn Du den Sommer hier bist, wollen wir den Rhein wieder sehn und die alten Schlösser beweinen und besingen."
Und William Turner und andere malen dann die romantischen Bilder dazu. Heinrich Heine verfasst aus einer Brentano Vorlage sein unsterbliches "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?" Zu der Zeit hat Ehrenbreitstein längst seinen Status einer kurtrierischen Residenzstadt verloren. Wird dafür eine preußische Militärgarnison. Und deswegen ist für jeden heutigen Besucher auch eine Visite der massiven Feste Ehrenbreitstein eingeplant. Doch aus der patriotischen und unbezwingbaren "Wacht am Rhein" ist heute ein Fummelplatz der jüngeren Generation geworden. Da oben gibt es zum Turteln und Händchenhalten Konzerte und eine Jugendherberge der Extraklasse. Da, wo vorher Drill und Kanonen-Einfetten auf dem Plan standen. Wie sagt doch eben noch der Ehrenbreitsteiner Clemens Brentano, etwas abgewandelt. "Wenn wir im Sommer hier sind, wollen wir den Rhein wieder sehn und die alten Schlösser beweinen und besingen."
"Ja der Rhein ist wirklich sehr vieles. Er ist Handelsstraße, die meist befahrenen Schifffahrtsstraße Europas. Es war früher Grenze, ist heute verbindendes Element in Europa. Es ist eine Flusslandschaft, die kulturell enorm aufgeladen ist und deswegen auch von der UNISCO zum Weltkulturerbe Oberes-Mittel-Rheintal erhoben wurde. Und der erste Reiseführer, der hier über die Region entstand, das war von Karl Baedeker, ein Koblenzer."
Der Baedeker als Reise- und Kulturführer und Sie haben mir noch ein anderes Buch mitgebracht. Das ist ein ganzer Band mit Bildern von William Turner. Und da ist auch eine Annäherung an Koblenz. Wir haben hier einen Blickwinkel, das ist eine Moselbrücke, die er gezeichnet hat, mit neun Bögen? Da sind die Ufer noch nicht befestigt. Da sind Menschen, es sind Kähne hier unterwegs.
"Der William Turner gehört ja zu den Begründern der Rheinromantik und er hat einen ganzen Lebenszyklus gemacht über den Rhein. Und hat damit dazu beigetragen den Rhein gewiss in romantischer Weise zu verklären, ihn aber auch interessant zu machen. Das von ihnen grade genannte Bild hat im Mittelpunkt die berühmte althistorische Balduinbrücke, jedenfalls zeigt sie einen Blick auf die Festung Ehrenbreitstein. Und das Ganze mit einer heimlichen Atmosphäre, die Neugierde stimuliert. Wenn man sich sagt, da musst du mal gewesen sein."
Sowohl Baedeker wie auch William Turner waren ja Vollprofis. Der Turner hat das hier nicht festgehalten und gesagt, das häng ich mir über das Nachtkästchen. Das ist 1842 gezeichnet worden. Hat er sich das mit rüber genommen, mit einer Unmenge anderer Skizzen. Und hat das im Winter ausgemalt, dieser Profi. Und hat es dann an seine Freunde und Gönner und seine Anhänger drüber, für etwa 500 Pfund, das war damals ein sehr gutes Geld:
"Er hat gewiss mit seinen Bildern in England sehr dazu beigetragen den Mittelrhein populär zu machen, ihn neugierig zu machen. Und es sind ja dann auch Tausende von Engländern gekommen, die von seinen Bildern her stimuliert waren."
Sie sind der Oberbürgermeister von Koblenz. Und eine etwas aprilscherzige Frage. Sind Sie damals noch hier von den Kurfürsten eingesetzt worden, oder später von den Preußen? Damals musste man sich, glaube ich, so einen lukrativen Job erkaufen.
"Da ich 60 Jahre alt bin, also Nachkriegskind, stehe ich mit beiden Beinen auf der demokratischen Seite Deutschlands. Man wird als Oberbürgermeister urgewählt von der Bevölkerung. Ich übe dann über acht Jahre dieses Amt aus."
Und dann beendet unser Bötchen unsere kunsthistorische Flussanreise nach Ehrenbreitstein. Wir legen an. Der Kapuzinerplatz. Kapuziner, Kapuzen, Mönche, eine barocke Klosterkirche. Die Kapuziner, ein Zweig der Bettelorden des Franz von Assisi. Gelebte Armut und Nächstenhilfe statt aufgeschwemmter Leckermäuler. Wir lesen:
"Die Kapuziner werden in den Wirren des 30-jährigen Krieges vom trierischen Kurfürsten angesiedelt. Franzosen und Schweden belagern die Festung, zerstören im hin und her dabei das Rheintal und auch den Ort Ehrenbreitstein."
Die Trierer Kurfürsten verlagern 1632 ihre Residenz moselabwärts nach Ehrenbreitstein, weil sie sich jenseits des Rheins und unterhalb der trutzigen Festung vor den Franzosen sicherer fühlen. Wir gehen nun über die breite, immer noch pompöse Hofstraße, Richtung ehemaliges Fürstbischöfliches Schloss Philippsburg. Und man kann sich (mit etwas Fantasie) vorstellen, wie vor gut 250 Jahren hier die luxuriöse 6-spännige kurfürstliche Kutsche entlang rollt. Begleitet von Hornbläsern, Bodyguards, Pagen als lebende Wagenverzierung. Wie die Ehrenbreitsteiner ihre devote, tiefe Verbeugung oder die Damen einen Hofknicks machen.
Wir kommen am Haus des kurtrierischen Hofkanzlers Georg Michael Frank von La Roche vorbei. Hier wohnt er mit seiner Gattin Sofie von La Roche von 1771 bis 1780, also neun Jahre. Der Hofkanzler ist die oberste Adresse im kurfürstlichen Kabinett. Der 22-jährige Jungjurist und Reiseschriftsteller und Dramatiker Johann Wolfgang Goethe schreibt über seinen ersten Besuch 1772:
"Über alles aber herrlich und majestätisch erschien das Schloss Ehrenbreitstein, (......) wo ich leicht zu der Wohnung des Geheimrates von La Roche finden konnte. Das ganze Haus stand ein wenig erhöht über dem Fluss gelegen, hatte die freie Aussicht.... den Strom hinabwärts.
Die Zimmer waren hoch und geräumig, die Wände galerieartig mit an einander stoßenden Gemälden behangen. Jedes Fenster machte den Rahmen zu einem natürlichen Bilde, das durch den Glanz einer milden Sonne sehr lebhaft hervor trat. Ich glaube, nie so heitere Morgen und so heitere Abende gesehen zu haben."
Heitere Morgen und Abende. Und dazu habe ich eine kleine Kopie eines Bildes. Titel "Goethe im Garten des Hauses La Roche". Man sitzt im Schatten eines Baumes, direkt am Rheinufer, locker tafelnd. Es wird diskutiert. Auf dem Fluss kleine Schiffe, Nachen, die gondoliereartig stehend gesteuert werden. Und da wo eben unsere Personenfähre den Rhein querte, da ist 1772 eine sogenannte fliegende Brücke. Also ein auf Bootskörpern schwimmender Holzdamm montiert. Den konnte man in der Mitte aufklappen, um Schiffe durchzulassen. Und auf der gegenüberliegenden Rheinseite sieht man die Großbaustelle eines neuen Schlosses für die bauwütigen Trierer Kurfürsten. Man gönnte sich ja sonst nichts.
Und ich möchte ein zweites, ein "erfundenes" Bild dazu montieren. Vielleicht kommen die feinen Speisen auf dem Gartentisch des kurfürstlichen Hofkanzlers La Roche direkt aus der Ehrenbreitsteiner Schlossküche Phillipsburg, 250 Meter entfernt. Ein paar liebevoll angerichtete Platten, angerichtet vom kurfürstlichen Dreisterne-Oberhof-Koch Johann Heinrich Keverich. Keverich wird der Großvater von Ludwig van Beethoven. Darauf kommen wir noch Wenn man sich etwas von dem Glanz des La Roche Hauses vorstellen will, dann sollte man sich heute das sogenannte Coenen’sche Palais mit der imposanten Freitreppe ansehen. Heute die feinste Adresse im Barockviertel von Ehrenbreitstein, für kleine Festlichkeiten, Weinproben, Lesungen oder Musiken.
Und diese kleine musikalische Erfrischungspause kommt genau aus jener Zeit der La Roches. Eingespielt von Isabelle Roger und Michael Sonne. Und hätten diese beiden Musiker vor 250 Jahren gelebt, dann wären sie sicher toupiert, gepudert und bezopft auch zu den Soiree oder in den Salon der Madame La Roche eingeladen worden. Oder sie hätten auf der kurfürstlichen Prunkjacht diskret die Zeit überspielt, wenn Ihro Gnaden auf Amüsierreisen unterwegs sind. Um rheinaufwärts, von Ehrenbreitstein nach Mainz zum dortigen Kurfürsten und Onkel zu reisen, braucht man, von Pferden auf dem Saumweg getreidelt, also gezogen, braucht man etwa 2 volle Tage. Rheinab bis nach Bonn zum Kölner Erzbischof Clemens August dauert es nur einen dreiviertel Tag. Ein Konzert’chen, gar eine Oper in Bonn, etwas turteln bei der Falkenjagd. Ein paar amüsante Tage zum Ausspannen.
Oder war das verschwenderische Leben bei Hofe nicht auch eine Provokation für die kleinen Steuerzahler, wenn das Geld nur zum offenen Fenster rausgeworfen wurde? Udo Liessem:
"Ob man Geld hatte, ist die zweite Frage. Man gab Geld aus. Also viele Schulden sind ja gemacht worden."
So, wie das heute auch ist. Man gab aus und überlegt nachher erst. Oder sagte, Kanzler, lass dir was einfallen. Wie viele Kurfürsten waren das?
"Acht. Ab 1632, wo sie hier residiert haben. Und für Ehrenbreitstein ist der Erste sehr wichtig, weil er hier die Residenz hingelegt hat, das Schloss hat bauen lassen. Und auch ganz wichtig hier in Ehrenbreitstein Schönborn, der hier dieses schlossartige Dikasterialgebäude hat bauen lassen, von Balthasar Neumann. Balthasar Neumann gehört zu den wirklich großen europäischen Architekten dieser Zeit. War am Hofe Schönborn tätig. Und war sowohl im Süddeutschen Bereich als auch hier in Koblenz, genau gesagt in Ehrenbreitstein dabei. Er hat ja in Koblenz ein riesiges Schloss gebaut für die Trierer Kurfürsten, von dem aber kein Stein mehr steht. Nicht hier, in Koblenz Kesselheim. Da war ein sehr großes Schloss mit einer wunderbaren Treppe. Aber da kennt man nur die Zeichnungen, weil das von den Franzosen abgerissen worden ist, als die im Zuge der Französischen Revolution hier am Rhein waren."
Zurück auf die Luxusjacht. Da, wo heute in Ehrenbreitstein das Rheinmuseum steht, da ist vor 300 Jahren das kleine Hafenbecken mit der geankerten Prunkjacht. Ein solches Schiff kann man im Modell im Museum sehen. Und zu der Jacht gehört auch ein spezielles Kochschiff, mit dem der Oberhofkoch Keverich seinen Kurfürsten auf Reisen begleitet, für den kleinen Hunger zwischendurch. Und so gehen wir in die verwickelten Gässchen der Ehrenbreitsteiner Altstadt und kommen zum Museum, vormals das Wohnhaus des Oberhofkochs Keverich.
Dessen erst 19-jährige Tochter Maria Magdalena, gerufen "Lenchen", sie ist aber schon verwitwet, heiratet in Bonn den kurkölnischen Musiker Johann van Beethoven. Und ihren Sohn nennen sie Ludwig. Ludwig van Beethoven. Karin Ostermann:
"So ist es so, dass Lenchen eine sehr gute Mutter gewesen sein muss. Denn der große Komponist hat sich sehr positiv über seine Mutter ausgelassen. Zum Tod seiner Mutter ist er eiligst von Wien zurückgekehrt. Und das sollte ja seine große Ausbildungsreise bei Mozart werden. Er hat sehr wohl erkannt, als junger Mensch, dass nur Erfolg nach dem Preis kommt. Und nachdem er im richtigen Fahrwasser war und gemerkt hat, dass ihm weder sein Vater, noch die darauf folgenden sehr ausgezeichneten Lehrer in Bonn nicht mehr weiterhelfen konnten, da sah er sich am Wendepunkt seines Lebens, wo er gesagt hat, ich muss jetzt den größten meiner Zeit zum Ausbilder nehmen. Und das ist in erster Linie damals Mozart. Sicherlich auch seine zweite Reise nach Wien, Ausbildung bei Haydn."
Und im kleinen Kammermusiksaal spielt der Jazzpianist Ralph Schäfer ein paar Variationen aus Beethovens "Freude schöner Götterfunken". Und der kleine Götterfunken aus Bonn, gemeint ist Ludwig, soll an der Hand seiner Mutter Lenchen auch mehrfach Ehrenbreitstein besucht haben. Ob das von seinem Vater vermarktete "Wunderkind" dabei auch an ein Cembalo im Schloss gesetzt wurde, ist nicht belegt. Seine Karriere ist hier im Mutter-Beethoven-Museum sehr verständlich ausgestellt. Aber auch alles Wissenswerte über Sofie von La Roche ist hier zu sehen. Sie kommt als 40-jährige nach Ehrenbreitstein. Editha Pröbstle:
"Hier hat sie wieder Fuß gefasst in Literatur und sie war "die Dame". Sie hat einen Überraschungscoup gelandet. Die Sofie von La Roche war praktisch die Vorreiterin, sie hat den ersten großen Frauenroman geschrieben. Und den ersten großen Literatursalon, sie hat ja praktisch ihre Gäste, ob das Goethe war, oder Klopstock oder Lenz mit offenen Armen empfangen. Sie war die Person, die die Gäste hierher gezogen hat. Durch sie ist auch Ehrenbreitstein in der Literatur bekannt geworden. Sie hat dann auch ihre Fähigkeit in ihren Enkel, den Clemens Brentano, der hier geboren ist, weitergegeben. Und den hat sie ja erzogen, weil ihre Tochter leider nicht mehr lebt."
Sofie von La Roches Frauenroman "Geschichte des Fräuleins von Sternheim", liegt hier unter Glas. Er soll eine literarische Sensation gewesen sein. Doch Madame La Roche selber verfährt mit ihrer eigenen Tochter Maximiliane konservativ. Sie verheiratet sie an den schon ältlichen, langweiligen, hoch begüterten Großkaufmann Brentano nach Frankfurt Und hinter der 17-jährigen Maximiliane ist auch der junge Goethe her. Er kommt 1772 auf der Flucht vor seiner Liebelei mit der Lotte Buff aus Wetzlar hier nach Ehrenbreitstein. Goethe macht aus der temperamentvollen Maximiliane auch literarisch, sein doppeltes Lottchen.
Und nun spazieren wir wieder durch die Hofstraße. Und einige Jahre später wird die wenig glücklich verheiratete Maximiliane Brentano hier in Ehrenbreitstein die Mama von Clemens Brentano. Der Enkel Clemens Brentano, teilweise von seiner Oma La Roche erzogen, geniest, erwachsen, großzügig alimentiert, das Leben eines romantischen Dichters und Lebe-Manns. 1805 schreibt er, da ist er 28-Jahre alt, an seinen Schwager Achim von Arnim.
"Ich habe Dir einen Vorschlag zu machen, nämlich ein wohlfeiles Volksliederbuch zu unternehmen. (...) Es muss sehr zwischen dem Romantischen und Alltäglichen schweben … "
Das ist Clemens Brentanos Vorschlag, gemeinsam eine Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" zusammenzutragen. Er schreibt weiter:
"Wenn Du den Sommer hier bist, wollen wir den Rhein wieder sehn und die alten Schlösser beweinen und besingen."
Und William Turner und andere malen dann die romantischen Bilder dazu. Heinrich Heine verfasst aus einer Brentano Vorlage sein unsterbliches "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?" Zu der Zeit hat Ehrenbreitstein längst seinen Status einer kurtrierischen Residenzstadt verloren. Wird dafür eine preußische Militärgarnison. Und deswegen ist für jeden heutigen Besucher auch eine Visite der massiven Feste Ehrenbreitstein eingeplant. Doch aus der patriotischen und unbezwingbaren "Wacht am Rhein" ist heute ein Fummelplatz der jüngeren Generation geworden. Da oben gibt es zum Turteln und Händchenhalten Konzerte und eine Jugendherberge der Extraklasse. Da, wo vorher Drill und Kanonen-Einfetten auf dem Plan standen. Wie sagt doch eben noch der Ehrenbreitsteiner Clemens Brentano, etwas abgewandelt. "Wenn wir im Sommer hier sind, wollen wir den Rhein wieder sehn und die alten Schlösser beweinen und besingen."